Politiker werden durchleuchtet, kritisiert, beschimpft. Und trotzdem finden sich immer welche, die den Beruf machen wollen.

Berlin. Eigentlich ist Politik ein schönes, weites Feld. Wer sich darauf bewegt, darf Experte oder Generalist sein, kann Einfluss nehmen und Macht ausspielen. Wer Politiker ist, steht in der Öffentlichkeit. Man ist wichtig. Jeder einfache Bundestagsabgeordnete kann sich darauf verlassen, dass eine Limousine auf ihn wartet. Und das Gehalt ist ordentlich.

Politiker könnte also ein Traumberuf sein - und Kanzlerkandidat die Krönung einer Laufbahn. Peer Steinbrück erweckt momentan aber nicht den Eindruck, einen Traumjob gewonnen zu haben. Kaum war der Ex-Finanzminister von der SPD ausgerufen worden, entrüstete sich die politische Öffentlichkeit über seine Nebeneinkünfte. Steinbrück hatte nach Recht und Gesetz alle Tätigkeiten aufgelistet, aber Umfragen zeigen: Die Deutschen nehmen es ihm trotzdem übel. Das zeigt: Je mehr sich ein Politiker nach vorn wagt, desto schärfer wird über ihn geurteilt. So funktioniert Demokratie. Aber ist sie noch attraktiv genug, gestandene Persönlichkeiten für sich zu gewinnen? Warum soll es sich noch lohnen, diesen Beruf zu ergreifen? Das Abendblatt hat Politiker aus unterschiedlichsten Berufs- und Lebensphasen danach befragt.

Der Anfänger

Das Amt, das er sich vorgenommen hat, ist ein ziemlich großes: Nico Hybbeneth ist 22 Jahre alt und will Spitzenkandidat der Grünen für die Bundestagswahl 2013 werden. Zumindest kandidiert er in dem derzeit laufenden Urwahlverfahren dafür, auch wenn er weiß, dass er gegen die politischen Schwergewichte seiner Partei nur ziemlich kleine Chancen hat. "Ich bin da ganz realistisch", sagt er. Trotzdem: Hybbeneth will Politik machen - und das aus Prinzip. Er ist mit 17 bei den Grünen eingetreten, als in der Nähe von Wiesbaden, wo er zu Hause ist, ein Kohlekraftwerk gebaut werden sollte und Hessens Ex-Ministerpräsident Roland Koch mit seinem umstrittenen Wahlkampf über Ausländerpolitik polarisierte.

"Ich kann mir gut vorstellen, Politik später auch einige Jahre hauptberuflich zu machen", sagt er. Dass er durch das Urwahlverfahren von null auf 100 ins bundespolitische Rampenlicht gerutscht ist, macht ihm keine Probleme. "Ich bin erst 22 und biete zu wenig Angriffsfläche, als dass man mich medial und öffentlich in die Mangel nehmen könnte." Szenen wie jene um Steinbrück beobachtet er aber mit gemischten Gefühlen. "Einerseits muss man als Repräsentant damit rechnen, dass alle besonders genau hingucken. Das finde ich auch richtig", sagt er. Auf der anderen Seite befremdet es ihn, dass politische Themen schnell "aus macht- oder parteitaktischen Gründen in den Dreck gezogen werden, nur weil sie vom politischen Gegner stammen". Hybbeneth würde sich deshalb auch für eine andere Debattenkultur einsetzen, wenn er es mal in den Bundestag schafft.

Weil man das aber nie wissen kann, hat er einen Plan B: Er studiert Politik- und Sozialwissenschaften. Wenn das nichts wird mit Berlin, gibt es für ihn noch viele andere Möglichkeiten.

Der Wiedereinsteiger

Sein Scheitern war spektakulär. Als sich Niels Annen, der frühere Chef der Jusos, im November 2008 in Eimsbüttel um eine erneute Bundestagskandidatur bewerben wollte, stach ihn Danial Ilkhanipour mit einer spontanen Gegenkandidatur aus. Bei der Wahl 2009 holte Ilkhanipour dann ein miserables Ergebnis, Eimsbüttel ging an die CDU, und die SPD hatte zwei Verlierer produziert. Der größere Verlierer war Annen. Er hatte sich als Linker in der SPD profiliert und als Außen- und Verteidigungspolitiker Akzente gesetzt. Er galt als Mann der Zukunft. Er hatte keine Angst vor Kämpfen. Selbst die Häme, die ihm sein nicht endendes Uni-Studium einbrachte, steckte er weg.

Was vier Jahre "Zwangspause" (O-Ton Annen) so anrichten können: Er hat inzwischen einen Studienabschluss, in Washington machte er den Master of International Public Policy.

Der 39-Jährige hat die Politik als Sieger und Verlierer erlebt. Er war eigentlich schon draußen. Er sagt heute, es habe in der Zeit nach 2009 auch Momente gegeben, "in denen ich wusste, dass ich Politiker bin und in der Politik weiter mitmischen will". Annen hatte das Gefühl, dass seine Arbeit noch nicht beendet ist. Der Schnitt war zu radikal gewesen, zu fremdbestimmt. Als Politiker hat man gern selbst die Kontrolle über die Dinge, die einen betreffen. Also nutzte Annen sein Netzwerk in der SPD und schaffte es auch ohne Mandat in den Vorstand der Partei. Als Nichtberufspolitiker sei man da eine Ausnahme, weiß er. In Eimsbüttel will er es nun wieder versuchen, er ist der Favorit für die offizielle Nominierung.

Er habe jetzt besser im Blick, was wirklich wichtig ist, sagt er. "Ich habe die vier Jahre außerhalb des Bundestags und der Berufspolitik genossen." Aber er will zurück. Macht Politik süchtig? "Es gibt sicher Politiker, die es genießen, immer wieder verdeutlicht zu bekommen, dass man wichtig ist." Da falle es vielen schwer, eines Tages einen guten Abschied zu finden. Annen findet, dass er noch keinen guten Abschied gefunden hat. Aber er verspricht: "Meine Kandidatur ist keine Selbstverwirklichungsveranstaltung."

Der Aufsteiger

Er ist jetzt öfter in Berlin. In seiner Partei, der FDP, gehört Stefan Birkner zu den Wortführern in der Umweltpolitik. Er hat Auftritte in der Parteizentrale, verhandelt für die Liberalen mit der Union über das Atomendlager-Gesetz. Der 39-Jährige ist Jurist, er war Richter, seit 13 Monaten ist er niedersächsischer FDP-Landeschef, seit Januar dieses Jahres Umweltminister in Hannover. Er ist der Typ Politiker, der seiner Partei mehr vom Kümmerer-Image geben will, das der FDP so fehlt.

Birkner kannte bisher nur Aufstiege. Ernsthaft in Bedrängnis war er noch nie. Wenn die FDP eine Zukunft haben will, dann nur mit Leuten wie ihm. Möchte man meinen. In drei Monaten könnte für Birkner alles vorbei sein. Wenn die Niedersachsen am 20. Januar wählen, droht die FDP aus dem Parlament zu fliegen. Noch wartet jeden Morgen der Fahrer mit dem schicken Audi A8 vor seiner Tür, noch hat er Privilegien. Und er genießt sie. "Eine Sache ist wirklich praktisch", sagt er. "Die Bahncard 100, die ich als stellvertretendes Mitglied des Bundesrats erhalten habe." Er müsse sich so keine Gedanken über den Kauf von Fahrkarten und Reservierungen machen.

Wer in die Politik geht und Erfolg hat, wird mit Aufmerksamkeiten überschüttet. Hinzu kommt das untrügliche Gefühl, Macht zu besitzen. Macht, an die man sich schnell gewöhnt. Macht, die einem selbst gefährlich werden kann. Birkner kennt die gefährlichen Felder seines Amtes: "In meinem Verantwortungsbereich liegen Gorleben und die Asse. Wenn da was schiefgeht, muss ich politisch die Konsequenzen tragen." Er ist überzeugt, dass nicht ein Skandal an sich, sondern der Umgang eines Politikers mit dem Skandal eher zu einem Rücktritt führen kann. Birkner ist bemüht, sich gar nicht erst an das Lebensgefühl eines Berufspolitikers gewöhnen. Er weiß, dass er in seinem Alter und mit seinem Lebenslauf auch anderswo eine Position fände. Er sagt, dass er Anfang der 90er-Jahre, als er Mitglied einer darbenden FDP wurde, nicht wirklich die Chance hatte, Berufspolitiker zu werden. Es kam anders. Aber kein Glück ist von Dauer.

Die Aussteigerin

Wenn Krista Sager in einem Jahr aus dem Bundestag ausscheiden wird, kann sie auf eine beeindruckende Karriere zurückblicken: Fraktionschefin in der Hamburgischen Bürgerschaft, Bundesvorsitzende der Grünen, Zweite Bürgermeisterin in Hamburg, Fraktionschefin im Bundestag. "Politik ist das, was ich am besten kann. Ich habe den Schritt nie bereut, ich wusste immer: Ja, hier bin ich richtig", sagt sie.

Vorgezeichnet war der Weg der früheren Gymnasiallehrerin aber nicht. "Ich habe mich nicht bewusst dafür entschieden, Berufspolitikerin zu werden. Das hat sich eher so ergeben." Sie sei 1982 bei den Grünen eingetreten, weil sie sich schon immer politisch engagiert hat, in der Schule oder in Initiativen. "Ich hatte den Wunsch, dass sich in Deutschland etwas verändert."

Verändert hat sich mit der Zeit aber auch Sager selbst. "In früheren Jahren und auch als Bundesvorsitzende der Grünen war die Art der Auseinandersetzung mitunter ziemlich hart. Ich habe damals aber viel Spaß am Kämpfen gehabt, daran, auch mal polemische Formulierungen zu finden und mich mit meinen Positionen auch in der Partei durchzusetzen", sagt sie. Es ging um die ganz großen Konflikte. Für Sager ging es oft um Sieg oder Niederlage. Heute ist der 59-Jährigen der Spaß daran vergangen. "Ich habe von diesen ritualisierten Kämpfen einfach genug."

Dass es in der Politik nicht immer leicht ist, weiß sie zur Genüge. "Politik ist ein hartes Geschäft, das sehe ich ganz nüchtern. Man muss vorher wissen, dass man unter großem Druck und ständiger Beobachtung steht", sagt sie. Aber wenn man in der Politik etwas erreichen wolle, müsse man bereit sein, in Auseinandersetzungen zu gehen, das Risiko zu wagen. Geärgert habe sich Sager aber manchmal über unfaire Berichterstattung. "Man ist den Medien als Politiker ziemlich ausgeliefert und wird manchmal ungerecht behandelt. Da gewöhnt man sich schwer dran."

Wird ihr die Politik fehlen? Ja, sagt sie, "vor allem die parlamentarische Facharbeit". Sich in die Dinge einzuarbeiten und etwas zu bewegen. "Es gibt aber auch manche Querelen und unfaire Fouls, da bin ich froh, dass ich mich darüber dann nicht mehr ärgern muss."