Norddeutsche Verkehrsminister lehnen Pläne für City-Maut vehement ab. Autofahrer sollen nicht weiter belastet werden

Berlin. Für Ken Livingstone war der 17. Februar 2003 ein "historischer Tag". Der damalige Bürgermeister Londons feierte an diesem Datum die Einführung einer City-Maut in der Innenstadt der britischen Metropole - und entgegen aller Befürchtungen, entgegen aller Warnungen, trat genau der Effekt ein, den man sich gewünscht hatte: Es gab gut ein Viertel weniger Verkehr als an normalen Tagen zuvor - und keinerlei Probleme. Auch wichen die Automassen nicht auf die Randgebiete aus, um das Zentrum zu umfahren.

Geht es nach einer Expertenkommission, könnte London zum Vorbild auch für deutsche Metropolen werden. Sie hat für die Verkehrsministerkonferenz, die noch bis heute in Cottbus tagt, ein Konzept für eine City-Maut erarbeite. Wie die "Bild"-Zeitung gestern berichtete, könne eine solche Maut relativ schnell die Einnahmesituation der Städte verbessern und den Verkehr zu Stoßzeiten entzerren. Genannt werden laut Bericht 6,10 Euro als tägliche Gebühr - also etwa so viel, wie ein Tagesticket für Bus und Bahn kostet.

Den Überlegungen zugrunde liegt ein Milliardenloch bei der Finanzierung von Verkehrsprojekten - sei es die Instandhaltung von Straßen, Tunneln, Brücken oder deren Neubau. Die jährliche Deckungslücke beträgt nach Angaben des Konferenz-Vorsitzenden, Brandenburgs Verkehrsminister Jörg Vogelsänger (SPD), etwa sieben Milliarden Euro. Die Bundesländer dringen deshalb darauf, rasch mehr Geld für das Verkehrssystem bereitzustellen. Die große Frage ist aber, wo dieses Geld eigentlich herkommen soll.

Aus der City-Maut jedenfalls nicht, finden die norddeutschen Verkehrsminister. "Der Autofahrer darf nicht zum Stadtfeind Nummer eins werden", sagte Niedersachsens Ressortchef Jörg Bode (FDP) dem Abendblatt. Sowohl die City-Maut als auch die Pkw-Maut für Autobahnen seien keine Lösungen, um den Straßenbau zu finanzieren. Autofahrer würden über die Kfz- und Mineralölsteuer bereits kräftig zur Kasse gebeten. "Wer nur an die Maut denkt, betreibt Autofahrer-feindliche Politik", kritisierte Bode.

Sein Amtskollege Reinhard Meyer (SPD) aus Schleswig-Holstein sieht es ähnlich. "Uns muss mehr einfallen, als dass wir den Autofahrer zur Kasse bitten", sagte er dem Abendblatt. Jedem Bürger müsse klar werden, wenn er zur Kasse gebeten werde, wofür das Geld eigentlich sei. Wenn das nicht sichtbar werde, sei es "ganz schwierig, über eine City-Maut zu reden". Wenn so etwas überhaupt infrage kommen sollte, "dann für Metropolen, für Millionenstädte, aber nicht für kleinere Städte."

Für Meyer sind die Vorschläge der Kommission auch nicht vielschichtig genug. Man müsse etwa die Frage klären, warum in Schleswig-Holsteins Nachbarland Dänemark wesentlich günstiger und auch wesentlich schneller Autobahnen gebaut werden könnten als in Deutschland, betonte er. "Das liegt an anderen Standards, das liegt an kürzeren Planungsverfahren" so Meyer. "All das sind Dinge, die mir bei den Vorschlägen der Kommission viel zu kurz kommen." Bei der Hamburger Verkehrsbehörde von Senator Frank Horch hieß es mit Verweis auf eine Erklärung der Küstenwirtschaftsminister-Konferenz von vergangener Woche, dass die Position zum Thema City-Maut "eindeutig" sei. Die Minister hatten bei ihrem Treffen in Hamburg die Einführung einer solchen Zahlung einmütig abgelehnt.

Der Autoklub ADAC befürchtet, eine City-Maut würde den ohnehin stark überlasteten öffentlichen Personennahverkehr überfordern und in erster Linie hohe Erfassungskosten verursachen. "Die Erfahrungen mit der Lkw-Maut zeigen doch mehr als deutlich, dass damit zwar Milliarden Euro Mehreinnahmen in den Bundeshaushalt geflossen sind, aber trotzdem nicht mehr Geld für den Verkehr zur Verfügung gestellt wurde", sagte Vizepräsident Ulrich Klaus Becker.

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sagte dem Deutschlandfunk hingegen, eine City-Maut oder Nahverkehrsabgabe könnten durchaus eine Lenkungswirkung in Ballungsräumen entfalten. Das müsse aber genau geprüft werden. "Wenn wir keine neuen Instrumente finden, dann wird das Ergebnis sein, dass die Straßen verlottern, dass die Schienen immer schlechter werden", warnte er. Der Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses, Anton Hofreiter (Grüne), sagte der "Saarbrücker Zeitung", besonders für größere Städte mit relativ hohem Verkehrsaufkommen sei eine solche Gebühr zweckmäßig. "Eine City-Maut macht aber nur Sinn als Kombination: Das Geld, das eingenommen wird, muss auch sinnvoll in die Verkehrsinfrastruktur investiert werden. Vor allem in den öffentlichen Nahverkehr."

Die Einführung einer City-Maut wäre Angelegenheit der Länder und Kommunen. Die Entscheidungsgewalt liegt also nicht in Berlin. In jedem Fall gilt, dass die Einführung einer solchen Gebühr eher unbeliebt bei den Autofahrern wäre. Für Politiker ist da Herantasten an die Abgabe also heikel, auch wenn sich viele an maroden Straßen und Schlaglöchern stören. 2005 haben sich einer Umfrage der Sachverständigenorganisation Dekra drei Viertel gegen die City-Maut ausgesprochen. Mehr als zwei Drittel der Befragten hatten angekündigt, bei einer Maut das Kerngebiet einer Großstadt zu meiden und Einkaufszentren auf der "grünen Wiese" anzusteuern. In der großen Fragebogen-Aktion des Abendblatts vor wenigen Tagen plädierte eine knappe Mehrheit der 5700 teilnehmenden Hamburger dafür, die Innenstadt für Autos sogar ganz zu sperren.

Für den Londoner Bürgermeister Livingstone hat sich die Einführung der City-Maut jedenfalls nicht nachteilig ausgewirkt. Er behielt seinen Posten bis 2008. Im Jahr der Einführung der umstrittenen Zahlung wurde er wegen der Bewältigung dieses Kraftakts sogar zum "Politiker des Jahres" gewählt.