Bundestagspräsident Lammert hält eine flammende Rede für ein noch engeres Zusammenwachen der Staaten.

München/Berlin. Angesichts der Schuldenkrise haben Spitzenpolitiker am Tag der Deutschen Einheit ein noch engeres Zusammenwachsen der Staaten Europas beschworen. Beim zentralen Festakt in München mahnte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) in einem flammenden Plädoyer, es gebe keine vernünftige Alternative zu Europa. Auch andere Politiker und Kirchenleute warnten vor einem Verlust gemeinsamer europäischer Identität in der Euro-Krise und vor einem Auseinanderdriften des Kontinents.

Lammert warnte insbesondere davor, in eine „Rivalität von Nationalstaaten“ zurückzufallen. Die Weiterentwicklung Europas liege im deutschen Interesse, betonte er vor mehr als 1500 geladenen Gästen in der Münchner Staatsoper. An der zentralen Einheitsfeier nahm die gesamte politische Spitze Deutschlands teil, allen voran Bundespräsident Joachim Gauck und Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Hunderttausende Menschen strömten bei schönstem Spätsommerwetter zu einem Bürgerfest in die Münchner Innenstadt. Bis zum Nachmittag wurden rund 400.000 Besucher gezählt.

Mit Blick auf die Schuldenkrise räumte Lammert ein: „Wer heute Meldungen über Europa verfolgt, muss den Eindruck gewinnen: Es geht meist um Geld, scheinbar nur um Geld, jedenfalls immer wieder um immer mehr Geld, um Schulden und ihre Tilgung, um Schuldenschnitte und ihren Umfang.“ Europa sei allerdings „mehr als der Euro“. Wenn der europäische Integrationsprozess nicht weiter vorankomme, „dann hat Europa seine Zukunft hinter sich. Und jeder einzelne Staat ganz gewiss“, mahnte Lammert. „Nur in Europa, zusammen mit unseren Nachbarn und Partnern in der europäischen Gemeinschaft, können und wollen wir sichern, was wir im Lied der Deutschen als unsere gemeinsamen Ziele proklamieren: Einigkeit und Recht und Freiheit.“

Lammert erinnerte an die „europäische Dimension“ der deutschen Wiedervereinigung und sagte: „Ohne die Überwindung der Spaltung Europas wäre die deutsche Einheit nicht möglich gewesen. Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit unseres Landes war umgekehrt Voraussetzung für das Zusammenwachsen Europas.“ Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sagte in seiner Rede: „Deutschland ist ein wunderbares Land – und gemeinsam mit unseren Freuden haben wir alle Chancen auf eine blühende Zukunft.“

Zuvor hatten bei einem ökumenischen Festgottesdienst auch Kardinal Reinhard Marx und der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm die besondere Verpflichtung Deutschlands für die Zukunft Europas hervorgehoben. Beide warnten in der Kirche St. Michael vor deutschen Alleingängen oder deutscher Überheblichkeit. Außenminister Guido Westerwelle argumentierte in einem Grußwort zum Einheitstag ähnlich wie Lammert. Die Lehre aus der Euro-Schuldenkrise sei „mehr Europa“, betonte der FDP-Politiker.

Seehofer würdigte die Reformleistung der Ostdeutschen nach der Wende. „Viele Menschen haben nach dem Fall der Mauer die Chance ergriffen und dabei große Brüche erleben müssen. Für diese Anpassungsprozesse sollten wir den Menschen in Ostdeutschland großen Respekt zollen“, sagte er. München war in diesem Jahr Gastgeber des Festakts, weil Bayern derzeit den Bundesrats-Vorsitz innehat.

In Berlin wurde der 22. Jahrestag der Deutschen Einheit wieder mit einem Volksfest am Brandenburger Tor gefeiert. Im sächsischen Landtag in Dresden kritisierte der Schriftsteller Uwe Tellkamp den Verlust von Maßstäben und Werten bei der Globalisierung. „Es ist Zeit für eine Besinnung“, sagte der Autor des Erfolgsromans „Der Turm“. Globalisierung sei wichtig und „wahrscheinlich richtig“. Es drohten aber menschliches Maß und Werte wie Rücksicht und Vernunft vergessen zu werden.

Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) appellierte an die Deutschen, Ungleichheiten zu überwinden. 22 Jahre nach der Wiedervereinigung mögen die noch verbliebenen Aufgaben der deutschen Einheit größtenteils Sisyphosarbeiten sein, „aber auch sie müssen abgearbeitet werden“, erklärte Lieberknecht in Erfurt.