Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat am Tag der Deutschen Einheit an die „europäische Dimension“ der Wiedervereinigung erinnert.

München. Beim zentralen Festakt zum Tag der Deutschen Einheit hat Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) die Wiedervereinigung als Erfolgsgeschichte bezeichnet. „Die vergangenen zwei Jahrzehnte haben gezeigt, zu welch beispielloser gelebter Solidarität wir Deutsche fähig sind“, sagte Lammert am Mittwoch in München. Heute gelte es zum Glück als Selbstverständlichkeit, dass die Deutschen durch eine Verfassung geeint seien, freie Wahlen haben und so das eigene Schicksal selbst bestimmten.

Weiter sagte Lammert, dass Deutschland und Europa schon lange keine Gegensätze mehr seien. Die Weiterentwicklung Europas liege im deutschen Interesse. Heute müsse man allerdings den Eindruck gewinnen: Es gehe meist um Geld, um Schulden und ihre Tilgung, um Schuldenschnitte und ihren Umfang. Lammert warnte in diesem Zusammenhang davor, den europäischen Einigungsprozess nicht entschlossen fortzuführen. Ansonsten falle der Kontinent wieder in die Zeiten von rivalisierenden Nationalstaaten zurück, „deren Ehrgeiz größer war als ihre Möglichkeiten“.

Der amtierende Bundesratspräsident, Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), bezeichnete die Wiedervereinigung als „Sternstunde meiner politischen Karriere“. Deutschland sei heute ein freies und glückliches Land mit 16 stolzen Bundesländern, in denen Identität, Kultur und Heimat gelebt würden. Gemeinsam mit Europa habe die Bundesrepublik die Chance auf eine „blühende Zukunft“.

Am Mittwochmorgen hatte der bayerische evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm Deutschland in der Eurokrise vor Überheblichkeit gegenüber anderen Ländern gewarnt. Aus allen Äußerungen in Politik und Öffentlichkeit zu den Fragen, „die uns in Europa gegenwärtig bewegen“, müsse der Geist wechselseitiger Achtsamkeit spürbar sein, sagte Bedford-Strohm vor rund 1.000 Gästen im ökumenischen Gottesdienst im Rahmen der zentralen Einheitsfeier. „Demut bewährt sich gerade dann, wenn es einem besser geht als anderen.“

Überheblichkeit sei außerdem unvereinbar mit der Dankbarkeit für die geschenkte Freiheit, die Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und auch 1989 zuteil wurde, predigte der Landesbischof weiter. „Nach der noch immer unfassbaren Barbarei des Nationalsozialismus hatte sich Deutschland seine Freiheit ganz bestimmt nicht verdient.“ Auch die Überwindung von Mauer und Stacheldraht im Herzen Europas bleibe ein großes Geschenk.

Auch nach Ansicht des Münchner Erzbischofs, Kardinal Reinhard Marx, ist Deutschland verpflichtet, sich besonders für die Zukunft Europas zu engagieren. „Wir sind nicht alleine als Deutsche unterwegs, sondern wir sind unterwegs als Europäer.“ Ohne die Gemeinschaft in Europa hätte es vermutlich keine Deutsche Einheit gegeben. Die Bundesrepublik müsse daher dankbar sein: Denn die Wiedervereinigung „ist ein Zeichen des Vertrauens und Zutrauens unserer Nachbarn, Ausdruck einer Bereitschaft, in Europa neue gemeinsame Wege zu gehen“.

An dem ökumenischen Gottesdienst in der Jesuitenkirche St. Michael nahmen unter anderem Bundespräsident Joachim Gauck, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der amtierende Bundesratspräsident Horst Seehofer (CSU) teil. Zur Feier am Tag der Deutschen Einheit in München wurden 500.000 Besucher erwartet. Die bayerische Landeshauptstadt war nach 1996 zum zweiten Mal Gastgeber. Ausrichter ist seit 1990 jeweils das Bundesland, das gerade den Vorsitz des Bundesrats innehat – bis Ende Oktober ist das Bayern, ab November folgt Baden-Württemberg.