Ortstermin mit Gesundheitsminister Daniel Bahr im Altenheim Flottbek Nienstedten. Wie der Liberale für seine Politik wirbt.

Hamburg. Wer der junge Mann in dem blauen Anzug wohl ist, der da kurz nach der Kaffeestunde vorbeischaut, das weiß doch Herma Herrmann nicht. "Sind Sie vielleicht ein Beamter?" Der Besucher setzt sich und behauptet: "Beamter bin ich nicht, aber ich bin Chef von vielen Beamten." Trocken sagt Frau Herrmann: "Chef? Na, das ist ja gut für Sie." Und noch trockener sagt der Chef: "Ja, finde ich auch."

Der Chef heißt Daniel Bahr, darf sich rechtmäßig als "Herr Bundesgesundheitsminister" anreden lassen und ist kaum 64 Jahre jünger als Herma Herrmann, 99. Im Altenheim Flottbek Nienstedten relativiert sich das alles. Bahr hat sich einfach dazugesetzt zu Herma Herrmann und ihrer Mitbewohnerin Lore Grobe, 84. Die beiden hocken im ersten Stock des Hauses und schauen auf das saftige Grün eines Sportplatzes. Gesund sind sie selbst, und den Minister kennen sie nicht mal aus dem Fernsehen. Das soll sich ändern. "Schalten Sie mal morgen Phoenix an", sagt Bahr. "Da halte ich im Bundesrat eine Rede zum Pflegegesetz."

Der nach Kristina Schröder zweitjüngste Minister der Bundesregierung macht offensichtlich Werbung in eigener Sache. Doch hinter der Altenheim-Tour des forschen Liberalen steckt mehr. Das hier ist nicht einfach Station Hamburg-Flottbek. Das ist Deutschlands Zukunft, die hier sitzt oder den Rollator vorneweg über das Linoleum schiebt. Die Gesellschaft altert - das kostet. Zeit und Energie von Familienangehörigen, Pflegern, Ärzten und Milliarden Euro aus den Krankenkassen. Und weil das so abstrakt ist im Raumschiff Berlin, wo Bahr in der Friedrichstraße mittendrin sitzt, aber selten dabei ist, muss er gelegentlich mal raus.

Sein Großvater war nach einem Schlaganfall pflegebedürftig. Mit Betreuerinnen zu reden ist Alltag für Bahr. "Was machen Sie?" Catharina Bortz sagt nur: "Demenz." Die junge Frau kann gut mit den Bewohnern, die an Alzheimer leiden, die jeden Tag alles neu entdecken und jeden Tag weniger können. Morgens um sechs bringt Catharina Bortz ihre beiden Kinder in die Kita, um danach in Flottbek Alte zu pflegen. "Zum Glück hat die Kita so früh auf." Dann schildert sie dem Minister, wie schwierig es ist, mit überschaubarem Einkommen zurechtzukommen.

"Leistung muss sich lohnen", sagt Bahr im Laufe seines Hamburger Tages zwischen Altenheim, Bucerius Law School, Übersee-Club und nächtlicher Rückfahrt in der Dienstlimousine nach Berlin. Das meint er ehrlich. Er findet, dass man Altenpfleger nicht nur besser bezahlen sollte. Man müsse auch mehr junge Leute finden, die überhaupt den Job machen. Da nicken alle. "Man braucht mehr Wertschätzung für die Altenpfleger. Aber grundsätzlich ist in Deutschland die Pflege gut", sagt Bahr.

In Flottbek sogar sehr gut. Die Pflegenote hängt wie eine Urkunde im Eingangsbereich: 1,0. Hier wohnen 128 Alte, es gibt 53 Mitarbeiter in der Pflege, davon 33 in Teilzeit. Fast jede zweite Kraft ist zwischen 45 und 60. Bahr macht sich Notizen. Was? Nur zwei Wochen gerontopsychiatrisches Praktikum in der Ausbildung? Wie soll man da Sterbende richtig betreuen lernen? 90 Minuten Altenheim sind besser als zwei Stunden Aktenstudium.

Bahr hat den undankbarsten Job im Kabinett. Der damalige Bundespräsident Christian Wulff sagte ihm, als er dem smarten Münsteraner die Urkunde überreichte: "Sie wissen, worauf Sie sich da einlassen?" Bahr wusste es. Die letzten zehn Jahre hat er Gesundheitspolitik eingeatmet, Ärzte, Krankenkassenchefs, Lobbyisten, Selbsthilfegruppen kennengelernt. Als Philipp Rösler 2011 FDP-Chef wurde und ins Wirtschaftsministerium rückte, musste Bahr ran. Er war Teil jener Boy Group, die nach dem Wahlerfolg der FDP 2009 die Ministerien stürmte. Bahr drängte als Staatssekretär und Röslers Einflüsterer in das Haus von Ulla Schmidt (SPD), die als rheinische Frohnatur mit sozialdemokratischem Betroffenheitshintergrund jahrelang das Amt geprägt hatte. Während Schmidts Getreue früher "Taliban" genannt wurden, federte die Rösler-Combo über die Flure, als ob zur Gesundung des Systems ein gewinnendes Lächeln schon reichte.

Dann kamen die Nackenschläge: Die Kopfpauschale, Gesundheitsprämie getauft, wurde nichts. In der Koalition nannte man sich zwischen CSU und FDP "Wildsau" und "Gurkentruppe". Und Bahr immer mittendrin. EHEC-Krise, Pflegereförmchen, Organspendeskandal, Ärger mit Krankenkassen und Ärzten - als überzeugter Wirtschaftsliberaler tauchte Bahr immer tiefer ins Kuddelmuddel des staatlichen Gesundheitsunwesens. Auf den Beliebtheitsskalen der Politiker ist er immer am Ende oder taucht gar nicht erst auf.

Zu dem erbitterten Honorarstreit der Ärzte mit den Krankenkassen sagt er: "Dass die Ärzte hohe Forderungen haben und die Krankenkassen sogar Honorarkürzungen vorgeschlagen haben, ist Zuspitzung in Verhandlungen. Ich sehe genügend Spielraum, dass Ärzte und Kassen am Ende ein gutes Ergebnis hinbekommen."

Sein wichtigster Plan derzeit: die Praxisgebühr abschaffen. Sie belastet die Patienten mit zehn Euro pro Quartal und dient nur der Finanzierung der Krankenkassen. "Die Praxisgebühr steht auf der Tagesordnung im nächsten Koalitionsausschuss. Die FDP macht Druck, weil die Praxisgebühr ihren Zweck nicht erfüllt hat. Ich sehe Chancen, dass wir die Union überzeugen können, sie abzuschaffen. Denn die Finanzlage der Krankenkassen wird vermutlich sogar noch besser." Und wie die Union überzeugen, die die Gebühr behalten will? Welche Kröte müsste die FDP im Gegenzug schlucken? "Der Verzicht auf die Praxisgebühr alleine ist so überzeugend, dass nicht mit anderen Themen gekoppelt werden muss."

Ein echter Bahr. Und die Schlaumeier von der SPD haben sowieso unrecht. Dieser Karl Lauterbach, Professor Lauterbach. "Der mit der Fliege, den kennen Sie aus dem Fernsehen." Dass Bahr selbst den Talkshow-Marathon hinter sich hat, die Ochsentour von Anne Will über Sandra Maischberger und Frank Plasberg und zurück - das verschweigt er.

Donnernden Applaus gab's nicht im Altenheim Flottbek Nienstedten, als Bahr abrauschte. Aber er hat mit seinen bohrenden Fragen Eindruck gemacht. Der will's wissen, sagten viele. Am meisten hat die Pflegerinnen beeindruckt, was er über das Schicksal der Frauen sagte, die bei Schlecker gearbeitet haben und in der Pleite ihre Jobs verloren. Es gab Stimmen, die sagten, man solle die Schlecker-Frauen einfach zu Altenpflegern umschulen. Aber nein, das könne man denen gar nicht zumuten, hieß es bei den Gewerkschaften. Bahr sagte scharf: "Pflege kann nicht jeder." Das war ein Kompliment. Und irgendwann am Nachmittag ist dieser Satz aus seinem Mund geschlüpft: "Die FDP ist auch ein Pflegefall."