Der Bürgermeister des Berliner Problembezirks Neukölln setzt sich für Integration ein. In seinem Buch wird er trotzdem drastisch.

Berlin. "Meine größte Anerkennung gebührt dem Bürgermeister von Neukölln, Heinz Buschkowsky", schrieb Jugendrichterin Kirsten Heisig im Nachwort ihres Buchs "Das Ende der Geduld". "Ich kenne keinen anderen Menschen, der wie er gleichermaßen über einen schier unerschöpflichen Tatendrang, Mut und Humor, gepaart mit einem messerscharfen Verstand, verfügt. Heinz Buschkowsky ist für Neukölln und weit darüber hinaus von unschätzbarer Bedeutung. Ich bin stolz darauf, ihm begegnet zu sein, und glücklich darüber, von seinem Wissen und seiner Erfahrung profitiert zu haben."

Zwei Jahre nach Kirsten Heisigs Tod hat Heinz Buschkowsky ein Buch geschrieben, in dem er ähnlich schonungslos die Missstände deutscher Integrationspolitik benennt, wie es die Jugendrichterin zu tun pflegte. "Neukölln ist überall" erscheint heute, darin wird auf 400 Seiten von Verwahrlosung, Gewalt und Misserfolgen von Einwandererkindern in Deutschland erzählt. Buschkowsky zeigt auch konkrete Fehlentscheidungen auf und entwirft klare Forderungen für eine bessere Integrationspolitik. Kindergartenpflicht, gebundene Ganztagsschulen. Ein Bildungssystem, das sich stärker auf Kinder aus Unterschichten und das Milieu der Bildungsferne konzentriert. Familienpolitische Stimulanzen, die nicht ausschließlich auf die Unterschicht ausgelegt sein sollen, um eine zwischen den gesellschaftlichen Schichten ausgewogene Geburtenrate zu erreichen. "Das Humankapital unseres Landes liegt nicht auf der Elbchaussee in Hamburg, in Dahlem-Dorf in Berlin oder am Starnberger See", schreibt Buschkowsky. "Es liegt vielmehr dort, wo viele Kinder sind." In Neukölln zum Beispiel.

Buschkowsky selbst beschreibt das Ziel seines Buches so: "Dieses Buch kritisiert die gesellschaftliche Ignoranz und will Menschen Mut geben, dagegen anzukämpfen", schreibt der Autor im Klappentext. "Es will einen Beitrag dazu leisten, dass Kinder und Jugendliche in sozialen Brennpunkten die gleichen Chancen erhalten, wie ich sie hatte."

Buschkowsky wurde als Sohn eines Schlossers und einer Sekretärin in einer Neuköllner Kellerwohnung geboren. Vielleicht wird er deshalb besonders von denen geliebt, die er auch offen kritisiert: jugendlichen Migranten. "Hallo Bürgermeister, geht es dir gut? Bürgermeister, hast du Feinde? Sag uns Bescheid, wir kämpfen für dich." Auch Szenen wie diese beschreibt Buschkowsky in seinem Buch. In seinen elf Bürgermeister-Jahren ist es ihm gelungen, das Image des Stadtteils von arm, gefährlich und schmuddelig zu verändern. Manche Straßenzüge gelten heute als lebenswert, cool und attraktiv. Junge Künstler haben Neukölln entdeckt - sie huldigen ihm mit einem Fan-Shirt: "The Big Buschkowsky" steht darauf, neben einem stilisierten Porträt des rundlichen Bürgermeisters.

Buschkowsky macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. Migranten, Parallelgesellschaften, Bildungsferne, Jugendgewalt, die Flucht der Mittelschicht aus seinem Kiez, das sind seine Themen. Es geht um Wachdienste an Schulen, verzweifelte Lehrer, schwänzende Schulkinder. "Den Risikofaktor ,jung, männlich, Migrant' zum Abgleiten in die Kriminalität habe ich bereits erwähnt", schreibt Buschkowsky. "Ein signifikantes Merkmal von Gewalttätern ist sicher, dass mit abnehmendem Bildungsgrad auch die Fähigkeit zur gewaltlosen Konfliktlösung schwindet. Also: je geringer die geistigen Kompetenzen, desto dicker die Muskeln. Zwei Drittel aller jungen Häftlinge haben keinen Schulabschluss und 90 Prozent keine Berufsausbildung."

So ist es Buschkowskys Art, er benennt die Dinge drastisch beim Namen und stellt sich gegen politische Korrektheit, die Integrationsprobleme verharmlost. Sein Ziel ist, mithilfe des Tabubruchs für bessere Verhältnisse zu sorgen - für alle Bewohner, egal welcher Nationalität. "Ein russischer Intensivtäter unterscheidet sich in nichts von einem türkischen, arabischen oder deutschen. Mit Blick auf die Geburtenrate stellt sich nur das Problem: Verwahrlost heißt nicht impotent."

Sein Appell ist stets, nicht so lange zu warten, bis es in Deutschland aufgegebene Stadtviertel gibt wie in London oder Gegenden, in denen Nichtmuslime nur schwer leben können. Für sein Engagement gibt es messbare Erfolge: Das Albert-Schweitzer-Gymnasium etwa. Mangels Neuanmeldungen stand es vor der Schließung. Buschkowsky betrieb die Umwandlung zum Ganztagsgymnasium. Es gibt nun Hausaufgabenbetreuung und Freizeitgestaltung. Die Zahl der Schüler verdoppelte, die Zahl der Abiturienten vervierfachte sich.

Sein Konzept der Stadtteilmütter wurde vor vier Jahren in Sydney mit dem Metropolis Award ausgezeichnet. 140 Frauen (Buschkowsky nennt sie liebevoll "Kopftuchgeschwader") gehen zu rund 2000 Einwandererfamilien, an deren Wohnungstür Sozialarbeiter sonst oft vergeblich klingeln. Die Musikschule wurde ausgebaut, das einfache Konzept lautete: Keine Familie zieht hier weg, weil das Kind keinen Geigenunterricht bekommt.

Trotz dieser kleinen Erfolge wiederholt Buschkowsky im Buch seine These, von 2004: "Multikulti ist gescheitert." Manchmal sei er erschrocken über das, was er bei Schulbesuchen oder in seinen sehr gut besuchten Sprechstunden erfährt. Einen Schulchor wollte er zur Einbürgerungsfeier einladen und bekam eine Absage: "Wir singen nicht für die, die uns auf der Straße verprügeln."

Buschkowsky verficht unerschrocken sein Konzept: Wer hierherkommt, muss die Regeln anerkennen, die hier herrschen. Und wer das tut, bekommt viel Unterstützung. Bei allen Problemen ist der kleine stattliche Mann voller Optimismus. "Wir werden den Knick im Tunnel, hinter dem das Licht zu sehen ist, erreichen", schreibt er im "kleinen Finale" seines Buchs. Er glaubt daran. Er kann gar nicht anders.