Friedrich Wilhelm Merck will Spitzenkandidat für die Bundestagswahl 2013 werden. Er hat gute Chancen durch die Urwahl.

Berlin. Es ist ein bisschen das alte David-gegen-Goliath-Prinzip: Da ist also jemand, der kaum eine Chance hat, gegen den übermächtigen Gegner zu obsiegen - und wagt ihn trotzdem, den aus biblischen Zeiten stammenden Kampf des Kleinen gegen das Große. Auch bei den Grünen ist das so. Denn mittlerweile steht fest, dass es sogar elf Davids gibt, die es mit der Parteispitze aufnehmen wollen.

Am Anfang waren es Grünen-Chefin Claudia Roth, die Fraktionschefs Renate Künast und Jürgen Trittin sowie Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, die ihren Hut in den Ring warfen, als es um die Frage ging, wer die Partei als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl 2013 führen soll. Nach und nach reichten aber auch weitgehend unbekannte Basis-Vertreter ihre Bewerbung ein. Einer von ihnen ist Hamburger, heißt Friedrich Wilhelm Merck und fordert, dass anders als bisher "das ganze politische Potenzial der Grünen zur Geltung kommt".

Was Merck, 67, und den anderen eher unbekannten Aspiranten zugutekommt: Die Grünen werden ihre beiden Spitzenkandidaten per Urwahl bestimmen - jeder hat also theoretisch eine Chance. So etwas hat es noch nie gegeben in der bundesdeutschen Parteiengeschichte, ist also auch ein gewaltiges Experiment: Die rund 60 000 Mitglieder der Partei haben bis 30. Oktober Zeit, ihre Kreuze auf einem Wahlzettel zu machen. Bis dahin werden die 15 Kandidaten durch die Republik tingeln und sich präsentieren. Der erste Termin ist am Freitag in Hannover, in Hamburg ist die Vorstellungsrunde am 17. Oktober. Die Partei veranschlagt dafür Kosten in Höhe von 90 000 Euro. Nach den Parteistatuten muss die Doppelspitze mit mindestens einer Frau besetzt sein. Quoren gibt es nicht. Gewählt ist, wer mehr als die einfache Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt. So weit zu den Regeln.

Als aussichtsreichster Kandidat gilt faktisch Jürgen Trittin; Roth, Künast und Göring-Eckardt versammeln sich dahinter. Alle vier haben mehrseitige Bewerbungsschreiben eingereicht, in denen sie ihre Ziele und Programme darlegen - der Aufruf von Merck fällt mit nicht ganz anderthalb Seiten vergleichsweise knapp aus. Sein Schwerpunkt ist dabei die Bewältigung der europäischen Schuldenkrise, für die er "den fachlichen Horizont der Finanzbranche überschreitende Lösungsansätze" bereitstellen will.

Zwar ist Merck auch Gründungsmitglied der Grünen und hat bereits 1980 versucht, als Hamburger Landesvorsitzender in den Bundestag einzuziehen - allerdings ist er auch studierter Physiker und Systemtheoretiker, kommt also aus einem eher unpolitischen Bereich. Vor allem mit diesem Wissen sieht er sich dazu in der Lage, bislang vernachlässigte Methoden im Kampf gegen die Krise zu erarbeiten. "Wir brauchen einen interdisziplinären Ansatz und müssen die Lage anders betrachten, als es viele Finanzfachleute heute tun", meint er.

Die Grünen hoffen, dass die Urwahl vor allem den Inhalten mehr Aufmerksamkeit verleiht. Wie zermürbend die herkömmliche Suche nach Spitzenkandidaten ausfallen kann, ist hinreichend bei der SPD zu beobachten - ein klarer Fahrplan und ein klares Ergebnis zu einem klaren Zeitpunkt lassen hingegen nur begrenzten Spielraum für Spekulationen. Allerdings birgt die Wahl auch Risiken: Die so verhassten Personalspekulationen könnten dann losbrechen, wenn jemand aus der Spitzenriege ein auffallend schlechtes Ergebnis einfährt.

Merck allerdings braucht sich diese Sorgen nicht zu machen. Er ist Geschäftsführer eines Logistikunternehmens in St. Georg und hat somit auch noch etwas zu tun, wenn es nicht klappen sollte mit der Spitzenkandidatur. Obwohl ihn außerhalb Hamburgs kaum jemand kennt, will er seine Chance nicht kleinreden: "Meine Mitbewerber sind entweder aus dem Spartenbereich oder aus dem Darstellerbereich. Da bin ich das Kontrastprogramm", sagt er. Das mit den Darstellern geht in Richtung Parteiführung. Hier geht es Merck zu wenig um Inhalte. "Wir brauchen wieder mehr Macher", meint er.

Fest steht: Für Merck wird es wie für die anderen Basis-Bewerber nicht leicht gegen die bekannten Gesichter der Parteiführung. Auch im Rennen um den Hamburger Landesvorsitz ist er in den vergangenen Jahren mehrfach gescheitert. Ob die Episode Urwahl also auch wie David gegen Goliath ausgeht, steht auf einem anderen Blatt. Ein Trost: Wer es jetzt nicht schafft, darf sich wenigstens beim Wahlprogramm einbringen. Es soll im Frühjahr per Basis-Votum festgelegt werden.