Der frühere Linke-Chef will die SPD von einem rot-roten Bündnis überzeugen und setzt seine ehemaligen Genossen massiv unter Druck.

Berlin. Dass Oskar Lafontaine für Überraschungen gut ist, weiß man spätestens seit dem 11. März 1999. An jenem denkwürdigen Donnerstag im letzten Jahr vor der Jahrtausendwende warf der damalige SPD-Chef und Bundesfinanzminister von jetzt auf gleich seine komplette politische Karriere über den Haufen - und zerschnitt endgültig das Tischtuch zwischen ihm, der Partei und seinem in herzlicher Antipathie verbundenen Chef, Bundeskanzler Gerhard Schröder.

+++ Lafontaine und Wagenknecht verbrachten das Fest gemeinsam +++

Es war ein krachender Abgang, der den damaligen Regierungssitz Bonn erschütterte. Die rot-grüne Koalition war erst seit gut sechs Monaten an der Arbeit. Schröder und Lafontaine hatten sich im Bundestagswahlkampf 1998 zusammengerissen und mit einer inszenierten Männerfreundschaft ("zwischen uns passt kein Blatt Papier") und den Schlagworten "Innovation und Gerechtigkeit" den Wahlsieg für die SPD geholt. Doch nicht nur die Tatsache, dass Schröder eher auf Innovation und Lafontaine eher auf Gerechtigkeit setzte, sondern auch die nicht gerade kleinen Egos der beiden Männer führten schließlich zum Ende des gemeinsamen Projektes. 2005 trat "Lafo" aus der SPD aus und gründete die Linke mit.

Viele Sozialdemokraten haben ihm das nachhaltig übel genommen. Nach dem Willen Lafontaines könnte die alte Verbindung trotzdem bald wieder aufleben - denn der 68-Jährige macht der SPD Avancen: Die bislang zurückhaltend auf gemeinsame Bündnisse reagierende Partei solle ihre Vorbehalte gegen ihn zurückzustellen und sich für eine rot-rote Zusammenarbeit öffnen, sagte er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk - und unterstrich seine Forderung mit dem griffigen Satz: "Politik ist kein Kindergarten."

Zwar ist Lafontaine derzeit nur Ex-Chef der Linken und Landesvorsitzender im Saarland. Aber er gilt vielen als heißer Kandidat für die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl 2013. Seine Einlassungen könnten insofern durchaus als Absichtsbekundung in diese Richtung interpretiert werden. Fest steht jedenfalls: Wenn die Linke im Bund mitregieren will, braucht sie die SPD. Lafontaines Flirt wird somit zum Flirt mit einer Machtoption.

+++ Der Oskar und die Sahra - doppelt Spitze? +++

Schon am Donnerstag war ein Strategiepapier der Linke-Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger bekannt geworden, in dem die Partei vier Bedingungen für ein Regierungsbündnis nennt: keine Militäreinsätze im Ausland, Verbot von Rüstungsexporten, 1000 Euro Mindesteinkommen für alle und stärkere Besteuerung von Reichtum. "Ein Regierungswechsel kann vielleicht ohne uns möglich sein, einen Politikwechsel gibt es aber nur mit uns", heißt es darin. Im Umgang mit der SPD wolle man eine Doppelstrategie fahren. Einerseits solle klare Kritik geübt werden an sozialdemokratischen Positionen in der Euro-Krise oder zu Militäreinsätzen. Andererseits sollten Vorschläge, "die in die richtige Richtung gehen, positiv aufgegriffen und gleichzeitig mit dem konkreten parlamentarischen Verhalten abgeglichen werden".

Lafontaine unterstützt das: "Wir wollen ja nicht in erster Linie ein Ministeramt erreichen, sondern wir wollen einen Politikwechsel erreichen und ein gerechtes Steuersystem." Zudem habe auch er "einige Befindlichkeiten" gegenüber sozialdemokratischen Führungspersonen, betonte er. "Ich würde aber jederzeit solche kindischen Befindlichkeiten zurückstellen, wenn es darum geht, den Mindestlohn durchzusetzen oder die Rentenformel wieder zu verbessern."

Bei der SPD stößt die Linke auf eine demonstrativ ablehnende Front. Der SPD-Linke Ernst Dieter Rossmann sprach von einem "vergifteten Angebot". Der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, forderte, die Linke solle erst ihre Hausaufgaben machen, bevor sie über Bündnisse rede. "Die Partei ist nicht regierungsfähig und völlig zerstritten", sagte er dem Abendblatt. "Die Ost-Linke kommt nicht mit der West-Linken zurecht. Die SPD kämpft deshalb ganz klar für Rot-Grün." Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann äußerte sich ähnlich. "Für die SPD kommt sie als Koalitionspartner nicht in Betracht", sagte er der "Rheinischen Post". Und auch die Grünen winkten ab. Ihre Partei strebe definitiv keine rot-rot-grüne Regierung an, sagte Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke. "Das ist nichts, was ich erstrebenswert finde."

+++ Wagenknecht hat schon sein überzogenes Selbstbewusstsein +++

Dass sich allerdings nur die zweite Reihe bei SPD und Grünen ins rhetorische Kreuzfeuer wagt, hat durchaus Gründe. In den Umfragen reicht es derzeit nicht für eine Zweier-Koalition, vor allem die Piraten sind im linken Spektrum als scharfe Konkurrenz auf Stimmenfang. Für SPD und Grüne ist deshalb wichtig, die Linke möglichst klein zu halten - und sie dazu möglichst wenig ernst zu nehmen. Die Parteivorsitzenden lassen sich also lieber nicht zu einer Kommentierung herab. Oskar Lafontaine, der Chef der kleinen saarländischen Landespartei, setzt die beiden Oppositionsparteien mit seinen Äußerungen gehörig unter Druck.

Wie gefährlich die Linke für SPD und Grüne werden kann, liegt jetzt an ihr selbst. Schon gestern deutete sich eine parteiinterne Debatte über das Vorpreschen der Parteivorderen an: Der Linke-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, Udo Wolf, kritisierte mangelndes Mitspracherecht der Parteigremien bei dem Vorstoß der Bundesspitze. "Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesvorsitzenden ihr Diskussionspapier vor der Veröffentlichung mit den Landes- und Fraktionschefs besprochen hätten", sagte Wolf der Nachrichtenagentur dapd. Sachsens Linke-Chef Rico Gebhardt bemängelte ebenfalls, er habe von dem Diskussionspapier "leider erst aus der Zeitung erfahren".

Zwar gehen beide Kritikäußerungen in Richtung Kipping und Riexinger, die mit ihrem Vorstoß offenbar einen Alleingang gewagt hatten. Es bedeutet aber auch, dass Oskar Lafontaine offenbar zunächst seine eigene Partei auf Kurs bringen und einen muss, bevor die Aussöhnung mit den Sozialdemokraten beginnen kann.