Ministerpräsident Monti verhehlt in Berlin nicht, dass es Differenzen mit Bundeskanzerin Merkel gibt. Deutschland soll nicht den Ton angeben.

Berlin. Zwei bemerkenswerte deutsch-italienische Begegnungen gab es gestern: Die erste fand in Berlin statt. Die zweite nur auf dem Papier. Bei der ersten trafen sich zwei Regierungschefs, die in jüngster Zeit heftig aneinandergerieten. Ministerpräsident Mario Monti besuchte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Bei der zweiten deutsch-italienischen Begegnung trafen sich zwei Zentralbanker, die einander derzeit gar nicht grün sind: Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, verteidigte sich in einem vorab verbreiteten Artikel der "Zeit" kaum verhohlen gegen Vorwürfe, die der Präsident der Bundesbank, Jens Weidmann, im "Spiegel" erhoben hatte.

Die ungleichen deutsch-italienischen Treffen zeigten vor allem eines: Südlich der Alpen sieht man nicht mehr ein, dass Deutschland bei der Euro-Rettung den Ton angibt. Draghi fordert die Bundesbank quasi auf ihrem ureigensten Terrain heraus. In seinem Meinungsbeitrag verbat er sich Belehrungen aus Frankfurt, dem Sitz der Bundesbank: "Die EZB wird alles Notwendige tun, um die Preisstabilität zu gewährleisten. Sie wird unabhängig bleiben. Und sie wird immer im Rahmen ihres Mandates handeln." Daran hatte Weidmann gemeint, Draghi erinnern zu müssen. Der kontert nun: "Dies kann hin und wieder außergewöhnliche Maßnahmen erfordern. Diese, wenn nötig, zu ergreifen ist unser Verantwortung als Zentralbank für die Euro-Zone als Ganzes." Mit anderen Worten: Der Bundesbanker versteht das Mandat zu eng, und auf kleinliche deutsche Bedenken kann keine Rücksicht genommen werden. Schon in einer Woche wird die EZB auf einer Ratssitzung vielleicht auch über den Ankauf von Staatsanleihen von Ländern entscheiden, die sich unter den Rettungsschirm flüchten. Der CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt hatte Draghi deswegen als "Falschmünzer" bezeichnet - ihn befand der EZB-Chef in seinem Artikel keiner Antwort für würdig.

Im Vergleich dazu gingen die Regierungschefs freundlicher miteinander um. Die Bundeskanzlerin lobte die "weitreichende Konsolidierungs- und Reformagenda der italienischen Regierung" als "eindrucksvoll". Sie sei "persönlich überzeugt", dass diese Bemühungen "Früchte tragen" würden. Monti fiel in diesen Ton ein: "Italien hat große Erfolge erzielt, und die Märkte sind dabei, diese Erfolge auch anzuerkennen." Damit spielte Monti auf eine Auktion von italienischen Staatsanleihen an, bei der die Zinsen gesunken waren.

Den Wirtschaftsprofessor Monti hat es erst im Zuge der Euro-Krise und - wie manche meinen - nicht ohne Merkels Mithilfe in die politische Exekutive verschlagen. Er gibt sich schon länger demonstrativ zuversichtlich. Zu Hause hatte Monti sogar die optimistische Parole ausgegeben: "Das Ende der Krise ist in Sicht." Tatsächlich ist vor allem das Ende seiner Regierung in Sicht. Im nächsten Frühjahr wird in Italien gewählt, und es ist kaum zu erwarten, dass die rivalisierenden Parteien den ihnen vom Staatspräsidenten vorgesetzten neutralen Fachmann weiter dulden werden. Sogar eine Rückkehr Silvio Berlusconis schließen politische Beobachter nicht mehr aus - ein Szenario, das Merkel gar nicht gefallen dürfte. Denn während Berlusconi stets zu Reformen gezwungen werden musste, hat Monti mit einem Sparpaket, mehreren Steuererhöhungen, der Bekämpfung von Steuerflucht, Personalabbau im öffentlichen Dienst, Rentenkürzungen und Liberalisierungen in Handel und Transportwesen eine Liste abgearbeitet, die auch in Berlin beeindruckt.

Ein Vasall Deutschlands ist Monti dennoch nicht geworden. Im Gegenteil: Hatte der Italiener bei seinem Antrittsbesuch im Januar noch (vergeblich) um Zinserleichterungen gebeten, so hat er sich diese beim EU-Rat Ende Juni selbst erkämpft - gegen Merkel. Gemeinsam mit dem spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy und unterstützt vom französischen Präsidenten François Hollande hatte er dabei sogar die Führung der Kanzlerin in Europa herausgefordert. Sein Versprechen, das stolze Italien werde sich - anders als Griechenland - nie von den Technokraten der sogenannten Troika regieren lassen, wiederholte Monti vor seiner Berlin-Reise: "Ich will ganz sicher nicht, dass sich Italien nach den Anstrengungen und erreichten Ergebnissen irgendeiner aufdringlichen Bevormundung unterwerfen muss." Wie Draghi kritisierte auch Monti - ohne Namensnennung - den Bundesbankchef. Deutschland schösse ein "Eigentor", wenn es die EZB hindere, Staatsanleihen von Krisenländern zu kaufen.

Und selbst beim Besuch im Kanzleramt verhehlte er Differenzen nicht. So beantwortete Merkel die Frage nach einer Banklizenz für den europäischen Rettungsschirm ESM damit, die Verträge schlössen dergleichen aus. Monti bestätigte dies, fügte jedoch orakelnd hinzu, es gäbe Dinge, die könnten heute nicht gemacht werden, aber vielleicht morgen, wenn sich die Lage verändert habe. Dann wurde er deutlich: "Die Banklizenz für den ESM darf nicht dramatisiert werden." Notfalls will der Italiener also die Krise auch mit der Notenpresse bekämpfen - egal ob die Rechtslage dies hergibt oder nicht.