Offenbar hat der Polizist Rechtsextremisten Enrico K. vor Polizeiaktionen gewarnt. K. gehörte zur Gruppierung “Thüringer Heimatschutz“.

Berlin. Ein Thüringer Polizist soll Ende der 90er Jahre Dienstgeheimnisse an einen Rechtsextremisten aus dem Umfeld der Zwickauer Neonazi-Zelle verraten haben, die für zehn Morde verantwortlich gemacht wird. „Entsprechende Unterlagen liegen uns seit wenigen Tagen vor“, sagte die Innenexpertin der Linksfraktion im Thüringer Landtag, Martina Renner, dem Internetportal der Zeitung „Die Welt“. Den Akten zufolge solle der Polizist den Rechtsextremisten Enrico K. vor Polizeiaktionen gewarnt haben. Enrico K. habe wie die drei Mitglieder der Neonazi-Zelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) zur Neonazi-Gruppierung „Thüringer Heimatschutz“ gehört. Auch der Vorsitzende des Bundestags-Untersuchungsausschusses zur NSU, Sebastian Edathy (SPD), bestätigte entsprechende Hinweise.

Dem NSU werden Morde an acht Türken, einem Griechen und einer Polizistin angelastet. Das Neonazi-Trio war im Herbst 2011 aufgeflogen, als zwei mutmaßliche Mitglieder – Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos – nach einem Banküberfall tot in einem Wohnmobil gefunden wurden. Die mutmaßliche Dritte im Bunde, Beate Zschäpe, sitzt in Untersuchungshaft. Untersuchungsausschüsse des Bundestages und des Landtages in Thüringen versuchen aufzuklären, warum die NSU so lange unentdeckt bleiben konnte.

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Der Linkspolitikerin Renner zufolge waren das Bundesamt für Verfassungsschutz wie auch der Militärische Abschirmdienst (MAD) durch V-Leute auf den Polizisten Sven T. aufmerksam gemacht worden. Beide Bundesbehörden hätten die Informationen an das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz weitergereicht. Der Polizist T. habe dennoch Karriere gemacht: Von der Polizeidirektion Saalfeld/Rudolstadt sei er zunächst zum Landeskriminalamt aufgestiegen. Im Jahr 2010 sei er dann zum Thüringer Verfassungsschutz abgeordnet und ein Jahr darauf fest eingestellt worden. „T. hat sogar V-Leute geführt“, sagte Renner. Aus den geschwärzten Organigrammen sei aber nicht erkennbar, wo die V-Leute eingesetzt gewesen seien.

Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete, das Thüringer Innenministerium habe dem Untersuchungsausschuss in Berlin in dieser Woche auf drei Seiten eine „Information zu Verdachtsfällen des Geheimnisverrats durch Thüringer Polizeibeamte an Rechtsextremisten im Jahr 1999“ geschickt.

Demnach habe es Ende der 90er Jahre erstmals den Verdacht gegeben, dass ein Beamter der Polizeidirektion Saalfeld dem Kassenwart der NPD in Saalfeld eine geplante Durchsuchungsaktion der Polizei verraten habe. Der damalige Schatzmeister der NPD habe enge Beziehungen zu dem ehemaligen NPD-Funktionär Ralf Wohlleben unterhalten, der wegen möglicher Beihilfe zu den Morden der Zwickauer Zelle in Untersuchungshaft sitzt.

Der Linkspolitikerin Renner zufolge wurde der Polizist T. im Dezember 2011, kurz nach dem Auffinden von Böhnhardt und Mundlos, aus dem Verfassungsschutz abgezogen und in die Polizeidirektion Erfurt versetzt. Dies berichtete auch die „Süddeutsche Zeitung“, die nur von einem „mit Namen bekannten Polizeibeamten“ schrieb, unter Berufung auf eine Information des Landesinnenministeriums für den Berliner Untersuchungsausschuss. Darin heiße es, es hätten sich „keine bestätigenden Hinweise auf einen seinerzeitigen Verdachtsfall“ ergeben. Edathy berichtete im NDR von weiteren „haarsträubenden“ Hinweisen aus Thüringen. So soll ein V-Mann sich schwerer Straftaten schuldig gemacht haben – etwa durch Beteiligung an einer Lynchaktion bei dem ein Mitglied linker Gruppen fast zu Tode gekommen sei – ohne dass dies Folgen gehabt habe. „Da tun sich Abgründe auf, die habe ich nicht für möglich gehalten.“

Der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge wird in dem Papier des Thüringer Innenministeriums ein zweiter Verdachtsfall erwähnt, bei dem „die Recherchen zur Feststellung der Identität dieses Polizeibeamten noch nicht abgeschlossen“ seien. Ein dritter angeblicher Beamter sei möglicherweise ein Wichtigtuer gewesen, der sich bei Neonazis als Polizist ausgegeben habe. Die Zeitung schreibt, es sei nicht auszuschließen, dass die rechtsradikalen Quellen die Beamten denunziert hätten. Einige der Quellen-Meldungen hätten sich später als falsch herausgestellt.

Auch bei der Fahndung nach den untergetauchten Mitgliedern der NSU soll es dem „Spiegel“ zufolge weitere Ungereimtheiten gegeben haben. So habe der Thüringer Verfassungsschutz neben dem bereits bekannten V-Mann Tino Brandt eine weitere Quelle in der Nähe des NSU-Trios platziert gehabt. Die Gewährsperson mit Decknamen „Tristan“ habe 2001 den zutreffenden Hinweis gegeben, die Untergetauchten hielten sich in Chemnitz auf. Festgenommen wurden die Untergetauchten aber nicht. (Reuters)