Altkanzler Helmut Schmidt und Valéry Giscard d'Estaing lesen den Staatschefs von heute die Leviten. Banken sollten stärker reguliert werden

Hamburg. Die Antwort ist kurz. Als der frühere "Zeit"-Chefredakteur Theo Sommer, 82, den ehemaligen französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d'Estaing, 86, fragt, wie man der Euro-Krise begegnen kann, sagt der Gast aus Paris: "Weniger spekulieren, weniger schwadronieren, einfach mal den Mund halten." Es gebe zu diesem Thema keine 1000 Experten, aber eine gefühlte Million "Schwätzer".

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Giscard hat die zustimmenden Lacher am Freitagnachmittag im Audimax der Bucerius Law School auf seiner Seite. Zusammen mit ihm und Sommer sitzt Altkanzler Helmut Schmidt auf dem Podium. Wasser, Kaffee, Mineralwasser und ein Aschenbecher stehen für den 93-Jährigen auf einem kleinen Tisch bereit. "Europa und die Welt" ist das Thema der drei Herren bei der Abschlussveranstaltung zur Bucerius Summer School der "Zeit"-Stiftung. Sommer fragt, die beiden früheren Staatslenker referieren.

Und Helmut Schmidt wird deutlich. Für ihr Krisenmanagement kritisiert der frühere SPD-Regierungschef seine heutigen Kolleginnen und Kollegen in den EU-Staaten. "Nach 2008 hätte es ihre Aufgabe sein müssen, die Banken zu regulieren, doch heute haben die Banken ihre Macht über die Finanzmärkte zurückerlangt", so Schmidt. Die Politik würde sich ihren Gestaltungsspielraum viel zu sehr von den sogenannten "Märkten" beschneiden lassen. Das sei sehr gefährlich.

Schmidt spricht von drei Problemfeldern: "Die Bankenkrise, die Staatsschuldenkrise und die Wirtschaftskrise." Dadurch würden zum Beispiel der französische Präsident und die deutsche Bundeskanzlerin gezwungen, wie Ökonomen zu denken und zu handeln. "Und damit sind sie überfordert", stellt Schmidt fest.

Giscard hält nichts davon, den Euro in der jetzigen Situation schlechtzumachen. "Hätten wir die gemeinsame Währung nicht, würden die nationalen Währungen wie D-Mark oder Franc jetzt ständig abgewertet", sagt der ehemalige Staatschef. Der Euro werde überleben und sei eine Erfolgsgeschichte. "Die Inflationsraten im Euro-Raum sind niedriger als in den USA, die Wachstumsraten höher."

Aber Giscard muss sich auch für den Euro starkmachen. Er und Helmut Schmidt haben im schmidtschen Wohnzimmer in Langenhorn das Europäische Währungssystem (EWS) mit der Buchwährung "Ecu" erfunden und gelten somit als Väter der gemeinsamen europäischen Währung.

Die will Schmidt auch den Griechen lassen. "Ich habe Verständnis für die Bitte der griechischen Regierung, dem Land mehr Zeit für die Lösung der Finanzkrise einzuräumen. Aber ich kann auch verstehen, dass die europäischen Partner zögern und vielleicht ungeduldig werden." Giscard erinnert an 1979. "Ich war für die Aufnahme Griechenlands in die EWG, Helmut hat gezögert. Er war schon damals weiser als ich." Und Schmidt nickt zustimmend.

Beide Politiker, die im Mai 1974 an die Macht kamen, sich für die Direktwahl des Europäischen Parlaments einsetzten und die Weltwirtschaftsgipfel erfanden, beklagen außerdem fehlendes Vertrauen und mangelnde Solidarität unter den europäischen Staaten. "Wir hatten den festen Willen, zum Wohle unserer Länder und Europas zusammenzuarbeiten", so Schmidt. "Dem hat sich alles untergeordnet."

Auch die wachsenden nationalen Egoismen machen Schmidt und Giscard Sorgen. Es gebe keine Staatsmänner mehr wie Charles de Gaulle oder Winston Churchill, die die europäische Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg als Chance für Frieden und Wohlstand genutzt hätten. "Leider sehe ich unter den Regierungschefs momentan niemanden, der mit Tatkraft in dieser Schuldenkrise Führung übernimmt."

Nach gut zwei Stunden hören die alten Herren mit dem Ritt durch die Weltgeschichte auf. Sie könnten noch ewig weitermachen. Helmut Schmidt hat übrigens zwei Zigaretten geraucht.