Unternehmen warten auf Klärung der Haftungsfrage bei der Netzanbindung. Bayern fordert Gesamtkonzept. Aigner ist gegen Gesetzentwurf.

Bremerhaven/München/ Kiel/Berlin. Die Windenergie-Agentur (WAB) hat Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) aufgefordert, ihren Widerstand gegen eine Haftungsregelung bei Offshore-Windparks aufzugeben. Eine Verzögerung des entsprechenden Gesetzes würde Investitionen und Arbeitsplätze in ganz Deutschland gefährden, teilte der Branchenverband mit Sitz in Bremerhaven am Mittwoch mit.

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Die Verteilung der Mehrkosten durch den schleppenden Ausbau der Windenergie in Nord- und Ostsee hat zu einem Streit in der Bundesregierung geführt. Der niedersächsische FDP-Umweltminister Stefan Birkner reagierte scharf. Er sprach von einem „Blackout bei Aigner“. Birkner: „Die CSU torpediert die Energiewende.“ „Frau Aigners Position ist unverantwortlich, weil sie Investitionen und Arbeitsplätze in Norddeutschland gefährdet.“

Aigner blockiert den Gesetzentwurf von Umweltminister Peter Altmaier (CDU) und Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP), wonach Kosten für Verzögerungen bei der Netzanbindung von See-Windparks auf den Strompreis der Bürger abgewälzt werden können. Die Regelungen gehen nach Ansicht des Aigner-Ministeriums zulasten der Verbraucher.

Eine Studie der WAB und des Beratungsunternehmens PWC habe ergeben, dass der Offshore-Ausbau Umsatz und Arbeitsplätze in ganz Deutschland bringe. „Die küstenfernen Regionen haben einen erheblichen Anteil an der Wertschöpfung und an den Beschäftigen der Offshore-Windenergie-Industrie. „Deshalb ist der Widerstand von Frau Aigner unverständlich“, sagte WAB-Geschäftsführer Ronny Meyer.

Der WAB/PWC-Studie zufolge arbeiten mehr als 40 Prozent der Beschäftigten der Offshore-Branche in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg. Allein in Bayern werde die Zahl der Beschäftigten in der Branche voraussichtlich auf mehr als 5000 steigen.Die WAB ist ein Unternehmensnetzwerk für Windenergie im Nordwesten. Dem Verein gehören nach eigenen Angaben mehr als 350 Unternehmen und Institute an.

Wegen der gravierenden Einwände könne das Bundeskabinett die Haftungsregelungen nicht wie geplant am 29. August beschließen. Die Neuregelung ist ein Prestigeprojekt von Rösler und Altmaier. Auf die Stromkunden sollen maximal 0,25 Cent je Kilowattstunde umgelegt werden. Aigners Ministerium kritisiert, dass große Stromverbraucher (mehr als 100 000 Kilowattstunden pro Jahr) nur maximal 0,05 Cent Haftungsumlage zahlen sollen.

Diese Ungleichbehandlung lehne man ab. Allerdings begünstigt die Bundesregierung auch bei den anderen Ökoenergie-Förderkosten große Stromverbraucher, der normale Bürger muss wegen der Ausfälle mehr bezahlen. Bisher ist völlig unklar, welche Summen durch aktuelle und noch zu erwartende Verzögerungen entstehen können.

Experten sprechen von hohen dreistelligen Millionenbeträgen pro Jahr, die entstehen können. Für den höchst unrealistischen Fall, dass alle bisher geplanten Projekte realisiert und dann aber alle Windparks zugleich längere Zeit wegen Leitungsproblemen keinen Strom einspeisen können, kommt Aigners Ministerium auf Kosten von bis zu 35 Milliarden Euro pro Jahr.

Mit der Regelung soll Investitionssicherheit geschaffen werden. Durch die klare Haftungsregelung hoffen Altmaier und Rösler auf ein Auflösen des Investitionsstaus, der manche Offshore-Projekte um mehrere Jahre zu verzögern droht. Denn bisher ist unklar, wer bei Verzögerungen haftet. Allerdings sollen Schadenersatzkosten nur auf den Strompreis umgelegt werden, wenn kein Vorsatz des Netzbetreibers nachgewiesen werden kann.

Der niederländische Betreiber Tennet hat bisher große Probleme, Investoren zu finden. Bis zu 15 Milliarden Euro an Kapital fehlen, um alle geplanten Anschlüsse zu realisieren. Das Aigner-Ministerium fordert, dass Betreiber auch bei Fahrlässigkeit sich stärker an den Schadenersatzkosten beteiligen müssen.

Koalitionskreise vermuten hinter der Attacke auch einen von der CSU in Bayern befeuerten Widerstand gegen einen zu starken Ausbau der Windenergie auf See, wodurch Bayern von diesen Stromlieferungen abhängig werden könnte. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) will unter anderem durch einen Zubau bei Biogasanlagen weitgehend unabhängig bleiben, er brachte dafür auch die Idee eines landeseigenen Energieversorgers ins Spiel. Bayern hat das Problem, dass es bisher sehr stark abhängig von Atomkraft war.

Aber auch ein stärkerer Ökoenergie-Ausbau in Bayern müsste wegen steigender Förderzahlungen über den Strompreis bezahlt werden. Schon jetzt erhält Bayern von den zuletzt jährlich 16,4 Milliarden Euro an Förderzahlungen das meiste Geld. „Regionale Interessen gegeneinander auszuspielen kann nicht im Sinn der Verbraucher sein“, kritisierte FDP-Minister Birkner und forderte eine Aufgabe der Blockade Aigners.

Bayerns Umweltminister Marcel Huber (CSU) fordert dringend ein Gesamtkonzept für die Energiewende und warnt vor einer zu starken Konzentration auf Offshore-Windkraftanlagen im Meer. Es müsse nicht nur das Thema Offshore im Norden gelöst werden, sondern auch die Versorgungssicherheit im Süden, sagte Huber in München. „Es ist aus unserer Sicht weder wirtschaftlich noch ökologisch tragfähig, die Stromversorgung im Süden ausschließlich durch Kapazitäten im Norden sicherstellen zu wollen.“ Es mache keinen Sinn, tausende Kilometer neuer Stromtrassen zu bauen und massiv in die Natur einzugreifen, wenn dadurch die Versorgungssicherheit im Süden nicht gewährleistet werden könne.

Schleswig-Holsteins neuer Umweltminister Robert Habeck (Grüne) rechnet im Zuge des Ausbaus der erneuerbaren Energien in den kommenden Jahren vorerst mit erhöhten Abschaltungen von Windrädern. „Wir kämpfen gegen jede Kilowattstunde, die nicht ins Netz aufgenommen wird“, sagte Habeck am Mittwoch in seiner Regierungserklärung zur Energiewende im Kieler Landtag. Grund sei der bislang unzureichende Ausbau der Stromnetze.

„In Schleswig-Holstein wurden 2010 rund 18 Millionen Euro an Entschädigung für abgeregelten Strom gezahlt“, sagte Habeck. Der Netzausbau müsse dem Tempo des Ökostroms folgen. In der Vergangenheit sei dieser jedoch absichtlich verzögert worden, „weil weniger Windstrom mehr Atomstrom bedeutete“. Mittlerweile seien der Netzbetreiber Tennet und der Energiekonzern E.ON aber dabei, die Verzögerungen aufzuholen.

Trotzdem will die Bundesregierung den Streit um die Kostenbeteiligung der Bürger an Risiken bei der Offshore-Windenergie rasch lösen. „Wir sind zuversichtlich, dass wir eine gemeinsame Lösung erreichen werden“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin. Die Verabschiedung der Haftungsregelung am 29. August im Kabinett solle eingehalten werden. „Wir befinden uns in der Ressortabstimmung.“ Diese sei kein leeres Ritual, sondern diene dem Zweck, dass alle Ressorts ihre Sichtweise zum Ausdruck bringen.

Nach Plänen von Wirtschafts- und Umweltministerium sollen die Bürger über den Strompreis Schadenersatzzahlungen übernehmen für sogenannte Offshore-Windparks auf dem Meer, die wegen Netzproblemen ihren Strom nicht einspeisen können. Das Verbraucherministerium sieht unkalkulierbare Kostenrisiken und fordert Nachbesserungen. (dpa, dapd, abendblatt.de)