Scharfe Attacke, direkt nach den Sommerferien und auch noch aus der eigenen Partei: Josef Schlarmann wettert gegen das “System Merkel“.

Berlin. Abrechnung zum Arbeitsantritt: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) leitete am Mittwoch erstmals nach den Sommerferien eine Kabinettssitzung – und musste prompt eine Attacke ihres schärfsten innerparteilichen Widersachers ertragen. Der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU, Josef Schlarmann (CDU), wetterte gegen das „System Merkel“ und zog sogar einen Vergleich mit dem „Zarenhof“.

In der „Leipziger Volkszeitung“ äußerte der Wirtschaftspolitiker „erhebliche Zweifel“, dass die Union mit CDU-Chefin Merkel an der Spitze noch genügend Stimmen bei Wahlen holen könne. „Es gibt keinerlei grundsätzliche Debatte mehr, weil alles in Frau Merkels CDU als alternativlos angeboten wird. Das ist wie in der Mensa, die täglich nur ein Gericht anbietet. Wem das nicht schmeckt, der bleibt draußen“.

In der Donnerstagausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ legte der erzürnte Schlarmann nach: „In der Partei geht es zu wie am Zarenhof, auch Merkel hat ihre Strelizen“: Kanzleramtsminister Roland Pofalla habe die Aufgabe, die Ministerien auf Linie zu bringen. Unionsfraktionschef Volker Kauder müsse die Abgeordneten auf Kurs halten. Und Generalsekretär Hermann Gröhe (alle CDU) habe den Regierungskurs in der Partei durchzusetzen. Die Strelizen waren die Palastgarde Iwans des Schrecklichen.

Die SPD nahm die Kritik Schlarmanns mit Genugtuung zur Kenntnis. Der Parlamentarische Geschäftsführer Thomas Oppermann sagte: „Jetzt rächt sich, dass Merkel frei von Werten und Überzeugungen agiert und nur kalte Machtpolitik betreibt. Das geht selbst dem Kanzlerwahlverein CDU auf den Nerv.“

Schlarmann kritisierte zudem den Bruch der CDU-Führung mit den Liberalen, der sich mit dem Jahreswechsel 2009/2010 vollzogen habe. „Die von Merkel geführte CDU-Spitze entschied, dass man der FDP in dieser Koalitionsregierung keinen Stich mehr lassen will. Seitdem lässt man die FDP auflaufen.“

Ziel der CDU-Führung sei es seitdem, der FDP die angeblichen Leihstimmen wieder abzunehmen. „Wer bürgerliche Wähler kennt, weiß aber, dass die sich nicht einfach hin und her schubsen lassen.“ Merkel habe es trotzdem versucht und alle Landtagswahlen seien seitdem „mehr oder weniger grandios verloren gegangen“, bilanzierte Schlarmann. „Als Rückzug“ arbeiteten die Protagonisten des System Merkel nun auf die nächste große Koalition im Bund hin.

+++ "Wohlfühlprogramm wie in der Mensa" - Schlarmann poltert +++

Die Bundesbürger würden die FDP laut einer Umfrage derzeit in der Tat nicht wieder in den Bundestag wählen. Die Liberalen kamen in einer am Mittwoch veröffentlichten Forsa-Umfrage für das Magazin „Stern“ und den Fernsehsender RTL nur noch auf vier Prozent, ein Punkt weniger als in der Vorwoche.

In seiner Abrechnung mit Merkel holte Schlarmann derweil noch weiter aus. Das CDU-Bundesvorstandsmitglied sagte, „in der Partei herrscht ein zentralistisches System, ihr wird der Kurs von Merkel aufoktroyiert. Wer nicht mitgeht, wird aussortiert.“ In der Verfassung heiße es, die Parteien wirkten an der politischen Willensbildung mit. Für die CDU gelte „das heute nicht mehr“.

Merkel lasse „die Partei inhaltlich und personell leerlaufen“ Sie habe „keinen festen Kurs, sondern fährt nur auf Sicht“. Das gelte nicht nur für die Eurorettung und die Energiewende. Ziele würden „je nach Praktikabilität ausgetauscht“. In der Wirtschaftspolitik gebe „es deshalb eine Erosion all dessen, für das die CDU einmal stand“. Zwei große Bundesländer, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, seien inzwischen fest in Oppositionshand. „Ihre Politik ist optimierbar, ihr Machtsystem nicht“, sagte Schlarmann über Merkel.

Unionsfraktionsvize Michael Fuchs (CDU) wies die Kritik Schlarmanns als nicht nachvollziehbar zurück. „Ich kenne seine Motive nicht, ich ärgere mich darüber. Vor allen Dingen ärgere ich mich darüber, dass er solche Pauschalangriffe macht und die nicht substanziiert dann im Bundesvorstand, wo es notwendig wäre, diskutiert“, sagte Fuchs im Deutschlandfunk.

Kurz nach der Kabinettssitzung reiste die Kanzlerin zu einem zweitägigen Besuch nach Kanada. Nach ihrer Rückkehr dürfte die Diskussion über die innenpolitischen Streitfragen weitergehen. Regierungssprecher Steffen Seibert betonte am Mittwoch, der Tatendrang Merkels zeige sich „jede Stunde in den Gesprächen, die sie führt, in den Akten, die sie studiert, und in den Lösungen, die sie herbeiführt“. Mit Themen wie der Energiewende und der Eurokrise beschäftigte sich die Kanzlerin tagtäglich. „Auch im Urlaub“ habe sich Merkel damit befasst.