Monate nach der Resolution des Bundestags zu NSU-Morden urteilt vom Familienministerium finanzierte Stiftung: “Es ist nichts passiert“.

Berlin. Einmal nicht ausgewogen sein, einmal die ungeschminkte Wirklichkeit wiedergeben. Einmal nicht die möglichen Zwänge, Nöte und Ausreden derjenigen bedenken und verstehen wollen, die rechtsextreme Taten vor Ort aufklären sollen. Die Amadeu-Antonio-Stiftung, die seit 15 Jahren gegen Rechtsextremismus kämpft, hat eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die sich zum Ziel gesetzt hat nachzuvollziehen, wie deutsche Sicherheitsbehörden mit dieser Aufgabe umgehen. Das Fazit fällt eindeutig aus: Sie scheitern auf ganzer Linie.

Natürlich lag im Arbeitsauftrag dieses Ergebnis schon ein Stück weit begründet. "Wie deutsche Behörden systematisch rechtsextremen Alltagsterror bagatellisieren" ist der Untertitel des Berichts, den die Politikwissenschaftlerin und Publizistin Marion Kraske verfasst hat. Es ging also nicht darum, jene Fälle zu dokumentieren, in denen etwa die Polizei Opfer zu Tätern gemacht oder Betroffene aufgrund ihrer schlechten Deutschkenntnisse abgewiegelt hat; sondern um die anderen Fälle, in denen Polizei und Behörden sich teilweise sogar zu Komplizen der Rechtsextremen gemacht haben. "Das Ausmaß des staatlichen Versagens hat mich erschreckt", sagt Kraske. "Opfer werden systematisch im Stich gelassen. Der rechtsextreme Hintergrund vieler Taten wird negiert." Häufig, so hat die Autorin erfahren, würden die Angriffe dann zu normalen Schlägereien oder Konflikten um die Einhaltung des Rauchverbots gemacht.

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Kraske hat für ihren Bericht die acht in Deutschland tätigen professionellen Opferberatungsstellen befragt und einzelne Bundesländer besucht. Dass es gerade einmal acht solcher Beratungsstellen gibt, ist schon eine Überraschung. Im Osten sind es sechs, im Westen zwei, eine ehrenamtliche gibt es in Bayern und eine mit bezahlten Mitarbeitern in Nordrhein-Westfalen. Dabei, so betont die Vorsitzende der Antonio-Stiftung, Anetta Kahane, "hat der Westen inzwischen bei den rechtsextremen Gewalttaten mit dem Osten gleichgezogen". Das wahre Ausmaß der Taten sei aber kaum abzuschätzen, da viele Betroffene aufgrund des Fehlens von Ansprechpartnern die Taten nie zur Anzeige brächten. "Sie tauchen dann in keiner Statistik auf." Oft seien es erst die Beratungsstellen, die die Behörden zwingen würden, sich tatsächlich um Aufarbeitung zu bemühen.

Ein Dreivierteljahr, nachdem der Deutsche Bundestag unter dem Eindruck de r Morde der rechtsextremen Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) eine Resolution verabschiedet hatte, um die Arbeit demokratischer Gruppen zu stärken, ist aus Sicht von Kahane nichts passiert. "Stattdessen wird über ein NPD-Verbot diskutiert. Dadurch wird aber das Problem nicht aus der Welt geschafft. Das ist ein Ablenkungsmanöver." Wichtig sei der Aufbau zivilgesellschaftlicher Netzwerke und die Sensibilisierung der Behörden im Umgang mit rechts. "Nur wann findet das Gehör?"

Kahane fordert, Polizeibeamte besser zu schulen und ihre interkulturelle Kompetenz zu stärken. Darüber hinaus solle staatliche finanzielle Förderung daran gebunden werden, ob Kommunen, Kreise oder Regionen überzeugend gegen Rechtsextremismus vorgehen. "Häufig werden Taten verharmlost, weil die Gemeinden nicht in Verruf geraten wollen. Doch damit löst man keine Probleme." Als Beispiele in Mecklenburg-Vorpommern werden Wismar und Boizenburg genannt. Gegen rechts engagierte Bürger würden zudem oft als "Nestbeschmutzer" abgestempelt oder in die linksextreme Ecke gestellt, sagt Kraske.

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Der Bund gibt bisher jährlich 26 Millionen Euro für Extremismusbekämpfung aus. Der überwiegende Teil, 24 Millionen, entfallen dabei auf den Kampf gegen rechts. Dennoch klagen die Initiativen über Unterfinanzierung. Als problematisch erweist sich auch, dass viele Förderanträge jedes Jahr neu gestellt werden müssen und die Gesamtförderung bei einem Regierungswechsel komplett infrage steht.

Kahane schont dabei auch nicht das Bundesfamilienministerium, immerhin einer der Hauptfinanziers der Antonio-Stiftung. "Es ist absurd, wenn sich die ganze Kritik auf den Bundesinnenminister konzentriert, aber die für Prävention zuständige Ministerin Schröder die Hände in den Schoß legt", sagt Kahane. Das Ministerium wollte zu dieser Kritik nicht Stellung nehmen.

Auch der Bundestag muss nach Meinung von Kahane handeln. Die Abgeordneten müssten sich stärker vor Ort mit Rechtsextremismus auseinandersetzen und dürften nicht die Kommunen und Verwaltungen aus ihrer menschenrechtlichen Pflicht, den Schutz für alle Menschen zu garantieren, entlassen werden." Die ganze Bundesregierung sei mit einem konzeptionellen und vernetzten Handeln und mit einem Fokus auf die Perspektive potenzieller Opfer von rechter Gewalt gefragt.

Als besonders problematisch erachtet es die Antonio-Stiftung, dass der NSU zwar das Problembewusstsein geschärft habe, gleichzeitig aber so getan werde, als stünde die Terrorzelle gewissermaßen außerhalb der Gesellschaft. Kahane: "Die Aufarbeitung ist richtig und wichtig, aber darüber darf die Prävention nicht vernachlässigt werden."