Der ehemalige West-Berlin Polizist Karl-Heinz Kurras wird von seiner Vergangenheit eingeholt. Gegen den Mann, der 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschossen hatte, ist jetzt erneut Strafanzeige erstattet worden. Jetzt fordert die Berliner CDU vom rot-roten Senat eine Stellungnahme zu den Berichten, wonach Kurras Mitarbeiter Stasi gewesen sein soll.

Berlin. Die Berliner CDU hat vom rot-roten Senat eine Stellungnahme zu den neuen Erkenntnissen über den Todesschützen von Benno Ohnesorg verlangt. Die Aktenfunde der Birthler-Behörde über den 1967 gefallenen tödlichen Schuss auf den Studenten Ohnesorg aus der Waffe des Berliner Polizisten Karl-Heinz Kurras müssten eine intensive Aufklärung nach sich ziehen, erklärte der CDU- Sicherheitspolitiker Andreas Gram am Freitag.

Der Senat müsse die Personalakte des pensionierten Polizisten schnellstmöglich auf Verstrickungen in das Netzwerk der SED und Stasi überprüfen und einen Bericht vorlegen. Die Frage sei, ob und wenn ja zu welchem Zeitpunkt West-Berliner Stellen im Jahre 1967 ein Kontakt zwischen Kurras und der SED/Stasi bekannt war. Sollten Aktenfunde belegen, dass Kurras der DDR-Staatssicherheit intensive Mitarbeit leistete, wäre auch ein Auftragsmord an Ohnesorg seitens der Stasi nicht völlig ausgeschlossen, meinte Gram.

Grund für die Forderungen sind Presseberichte, wonach Kurras seit Mitte der 1950er Jahre Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der DDR- Staatssicherheit (Stasi) gewesen sein soll. Der Vorsitzende der Vereinigung 17. Juni und stellvertretende Bundesvorsitzender der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS), Carl-Wolfgang Holzapfel, erstattete nach eigenen Angaben Strafanzeige gegen den 81-jährigen Kurras. Nach einem Bericht des Berliner „Tagesspiegels“ bestreitet der im Berliner Stadtteil Spandau lebende Pensionär, jemals mit der Stasi kooperiert zu haben.

„Mord verjährt nicht,“ erklärte Holzapfel am Freitag in einer Pressemitteilung. Die Ermittlungen gegen Kurras müssten so schnell wie möglich wieder aufgenommen werden. Der Polizist war in zwei Verfahren in den Jahren 1967 und 1970 vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen worden. Das ZDF und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichteten unter Berufung auf neue Erkenntnisse der Birthler-Behörde, dass sich Kurras 1955 gegenüber der DDR-Staatssicherheit verpflichtete, die West-Berliner Polizei auszuspähen. Außerdem sei er laut vorliegenden Dokumenten Mitglied der DDR-Staatspartei SED gewesen sein. Kurras sei 1964 in die SED eingetreten. Es gebe aber keine Hinweise darauf, dass er von DDR-Seite mit dem Schuss auf Ohnesorg beauftragt worden sei.

Der Historiker Arnulf Baring sagte am Freitag im ZDF-Morgenmagazin, Kurras habe mit seiner Tat „objektiv der DDR genützt“. Nach seiner Überzeugung wären die von der Erschießung Ohnesorgs ausgelösten Studentenproteste aber nicht anders verlaufen, wenn damals schon die Stasi-Mitarbeit von Kurras bekanntgewesen wäre. „Die Studenten hätten das doch nicht geglaubt. Die hätten geglaubt, das sei eine typische Presselüge der Springer-Presse“, sagte Baring in dem Fernsehinterview. Der tödliche Schuss auf den Studenten Ohnesorg am Rande der Proteste gegen den Besuch des Schahs von Persien war Auslöser der Studentenunruhen und Proteste gegen den Springer-Konzern und damit letztlich auch für die 68er-Bewegung und die Außerparlamentarische Opposition (APO).

Kurras soll den Decknamen IM „Otto Bohl“ erhalten haben und sich bereiterklärt haben, der Stasi Informationen aus der Westberliner Polizei zukommen zu lassen. 1962 habe er dann einen Antrag auf Mitgliedschaft in der SED gestellt, in die er nach einer zweijährigen Kandidatenzeit 1964 endgültig aufgenommen wurde. Die beiden Mitarbeiter der Stasi-Behörde gewannen ihre Erkenntnis aus insgesamt 17 Aktenbänden zum Fall Kurras. Ihr Bericht darüber erscheint in der am kommenden Donnerstag herauskommenden Ausgabe der Zeitschrift „Deutschlandarchiv“.

Im „Heute Journal“ des ZDF sagte der Mitarbeiter der Birthler-Behörde Müller-Enbergs am Donnerstagabend, es gebe keine Hinweise darauf, dass Kurras von der Stasi mit dem Schuss auf den Studenten beauftragt worden sei, „und es erscheint auch nicht plausibel, dass er jemanden erschießen sollte“. Nach dem tödlichen Schuss auf Ohnesorg war die DDR dem Bericht zufolge vielmehr besorgt, dass die Stasi-Mitarbeit auffliegen könnte. Das Ostberliner Ministerium für Staatssicherheit habe nach dem Tod des Studenten an Kurras gefunkt: „Material sofort vernichten. Vorerst Arbeit einstellen. Betrachten Ereignis als sehr bedauerlichen Unglücksfall.“

Kurras wurde später im Prozess um den Schuss auf Ohnesorg vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Er lebt heute 81-jährig in Berlin. Vom ZDF mit dem Dokument über seine Verpflichtungserklärung konfrontiert und gefragt „Sind Sie das?“, antwortete er: „Kann sein.“ Seine Frau sagte jedoch, derartige Dokumente könnten auch gefälscht sein.

Neben der deutschen Unterstützung des US-Engagements im Vietnamkrieg führte nicht zuletzt der Tod Ohnesorgs dazu, dass sich Teile der APO radikalisierten, in den Untergrund gingen und schließlich in den Terrorismus abdrifteten. Eine terroristische Vereinigung bezog sich sogar mit ihrem Namen auf den Tod Ohnesorgs: Die „Bewegung 2. Juni“, die den CDU-Politiker Peter Lorenz entführte.