Wenige Worte der Politiker können neue Turbulenzen auslösen. Ökonome halten so manche Aussage von Volksvertretern für leichtsinnig.

Berlin. Ob Philipp Rösler mit diesem Aufschrei gerechnet hat? Seit er beim Sommerinterview am Sonntag entspannt auf der ARD-Couch über den Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone sinnierte, erntet er Widerspruch, Warnungen, Kopfschütteln - nicht nur vonseiten der Opposition und aus Griechenland. Auch aus der eigenen Partei bekam der FDP-Chef zu hören, dass er mit seinen Worten vorsichtiger umgehen müsse. Der liberale Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis erklärte, er schäme sich für das, was sein Parteichef gesagt habe. Dazu das rot-grüne Echo auf Rösler: Der Mann gefährde die deutsche Kreditwürdigkeit.

Tatsächlich sackten Euro und DAX am Montag in die Tiefe. Beobachter geben auch Röslers Aussagen eine Mitverantwortung für die Unruhe an den Börsen. Es sind turbulente Zeiten für die Gemeinschaftswährung, und jedes Wort, das ein Politiker in verantwortlicher Position momentan zur Krise des Euro sagt, kann Einfluss auf die Märkte nehmen. Diese reagieren sensibel auf jedes neue Wort aus den Regierungen: Weiß da jemand mehr als andere? Was Politiker sagen, wird auf die Goldwaage gelegt. In der Euro-Krise gilt dies mehr denn je.

Zuletzt regte sich der Chefvolkswirt der Uno-Konferenz für Handel und Entwicklung (Unctad), Heiner Flassbeck, über die "naiven Sprüche" über den Austritt von Ländern aus dem Euro auf und warnte: Solche Sprüche können Panik schüren.

Gestern war es der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU), der sich weit aus dem Fenster lehnte und mal eben den Austritt Griechenlands aus dem Euro vorhersagte. Im ZDF-"Morgenmagazin" erklärte er, dass dies "absolut zu verkraften" sei. Zu einem Austritt gebe es keine Alternative. "Wenn wir jetzt nicht an Griechenland ein klares Exempel statuieren, also zu sagen, wer nicht die Reformen erfüllt, der muss dann auch raus aus der Euro-Zone, dann ist die ganze Euro-Zone nichts anderes mehr als eine große Umverteilungsgemeinschaft."

Nach diesen Worten konnte sich Söder sicher sein, dass er es in die Nachrichten schaffen würde. Nur: Bietet diese södersche Prophezeiung den Griechen und den Märkten die Orientierung, die sie brauchen?

Auch jüngste Aussagen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) könnten angesichts ihrer Tragweite eines Tages rückblickend als unbe-dachte und kurzsichtige Äußerung beurteilt werden. So sehen es Experten in den großen norddeutschen Wirtschaftsforschungsinstituten, dem Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) und dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Für das Abendblatt bewerteten IfW-Vizepräsident Rolf Langhammer und HWWI-Währungsexperte Henning Vöpel fünf Politiker-Zitate, die in den vergangenen Wochen für Aufsehen gesorgt haben.

FDP-Euro-Rebell Frank Schäffler in der "Neuen Osnabrücker Zeitung", 25. Juli: "Wenn Angela Merkel die Politik der Vergemeinschaftung von Schulden fortsetzt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis Deutschland das AAA verliert."

Die Bewertung der Experten: Was sich zuerst als Horrorszenario liest, lässt die Wissenschaftler kalt. Langhammer ist überzeugt: Auch ohne die Wirkung eines "Samariterdilemmas" (der eine Staat nutzt die Hilfsbereitschaft des anderen aus und schadet damit dem Helfer) werde Deutschland in Zukunft sein Spitzenrating bei der Kreditwürdigkeit verlieren - "aber wenn alle auf der Skala nach unten wandern, ändert sich am Abstand untereinander nichts". Deutschland bleibe eine der erstklassigsten Adressen in Ermanglung von Alternativen.

Auch Vöpel erkennt in Schäfflers Warnung keine Brisanz: Die von Schäffler gefürchtete Teilvergemeinschaftung sei "unumgänglich" zur Lösung der akuten Krise und finde längst statt. "Eine dauerhafte Transferunion würde aber tatsächlich die Bonität Deutschlands langfristig verringern", glaubt auch Vöpel. Um dies zu verhindern, müsse es eine flankierende Fiskalunion geben, die Eingriffsrechte in nationale Fiskalpolitik erlaube, so der HWWI-Wissenschaftler.

Wirtschaftsminister Philipp Rösler im ARD-Sommerinterview, 22. Juli: "Für mich hat ein Austritt Griechenlands längst seinen Schrecken verloren."

Die Bewertung der Experten: Für den Minister mag das griechische Euro-Aus seinen Schrecken verloren haben, die Wirtschaftsexperten aber fürchten unkalkulierbare Kosten. Der FDP-Chef kommt nicht ungeschoren davon: "Tatsächlich scheinen die Märkte einen Austritt Griechenlands mittlerweile für wahrscheinlicher zu halten als noch vor einigen Monaten. Die Ansteckungsgefahr für andere Länder wäre bei einem Austritt aber nach wie vor sehr hoch, die Kosten unkalkulierbar", sagt Vöpel. Er kann nicht nachvollziehen, warum Rösler die Konsequenzen so locker nimmt. "Allein diese Aussage Röslers hatte die Märkte schon verunsichert und Auswirkungen auf andere Länder wie Spanien", sagt er und fürchtet einen Glaubwürdigkeitsverlust der Politik: "Bei einem tatsächlichen Austritt Griechenlands, der noch vor Monaten kategorisch ausgeschlossen wurde, hätte die politische Rhetorik es in Zukunft sehr schwer, die Märkte überhaupt noch glaubwürdig zu beruhigen."

Auch Langhammer ist über Verhalten und Rhetorik der Politik im Falle Griechenlands unglücklich: "Es wäre für alle billiger geworden, wäre der Schrecken eines griechischen Bankrotts vor zwei Jahren ernst genommen worden. Jetzt wird der angeblich verlorene Schrecken teuer."

CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt in der "Welt am Sonntag", 22. Juli: "Der griechische Staat sollte jetzt damit anfangen, die Hälfte seiner Beamtengehälter, Renten und sonstigen Ausgaben in Drachmen auszuzahlen."

Die Bewertung der Experten: Der Vorschlag aus Süddeutschland würde in der Realität niemals funktionieren - darin sind sich die Forscher von HWWI und IfW einig. "Diese Parallelwährung wäre in kurzer Zeit vom Markt verschwunden, solange noch Euros zirkulieren", ist Langhammer überzeugt. "Das wären DDR-ähnliche Verhältnisse mit einer gespaltenen Gesellschaft von Euro-Besitzern und Drachmen-Besitzern."

Nach Ansicht Vöpels löst eine Parallelwährung nicht die Probleme. "Die technische Umsetzung wäre schwierig. Ein offizieller Umtauschkurs müsste festgelegt werden, gegen den sofort spekuliert werden würde." Griechenland soll sich laut Vöpel anders helfen, indem es die Wettbewerbsfähigkeit erhöht, und zwar durch "Abwertung der Drachme bei Austritt oder durch Senkung der Preise und Löhne bei Verbleib in der Euro-Zone".

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beim Staatsbesuch in Indonesien, 10. Juli: "Die Euro-Krise ist für die deutsche Wirtschaft nicht so schlimm wie die Krise 2008 und 2009."

Die Bewertung der Experten: Ob dieser Satz eine Beruhigungspille ans deutsche Volk sein sollte oder der Kanzlerin aus Versehen in Folge von Jetlag-Müdigkeit herausrutschte, kann schwerlich geklärt werden. Klar ist aber, dass die Wissenschaftler die Aussage für wenig klug halten.

Die Euro-Krise habe fundamentale systemische Ursachen und birgt weitaus größere Risiken als die Finanzkrise 2008/2009, warnt Vöpel. "Ein Zusammenbruch der Euro-Zone hätte über Jahrzehnte schwere Folgen für die europäische Integration, den europäischen Binnenmarkt und somit auch für die deutsche Wirtschaft." Langhammer sagt zu Merkels Relativierung der Eurokrise: "Was nicht ist, kann leider noch werden."

Angela Merkel vor der FDP-Bundestagsfraktion, 26. Juni: "Keine gemeinschaftliche Haftung für Schulden europäischer Staaten, solange ich lebe."

Die Bewertung der Experten: Gut möglich, dass Merkel diesen Satz bereits bitter bereute, als er ihr gerade über die Lippen gegangen war. Eigentlich wollte sie gegenüber ihrem liberalen Koalitionspartner nur klarstellen, wie ernst es ihr mit der Ablehnung von Euro-Bonds ist. Aber so ein Versprechen auf Leben und Tod - darin sind sich die Experten sicher - kann sich rächen.

"Die etwas drastische Formulierung soll der Position besondere Glaubwürdigkeit verleihen. Sie kann sich aber schnell als Bumerang in der Kommunikation gegenüber den europäischen Partnern und den Märkten erweisen", fürchtet Vöpel. Langhammer glaubt nicht, dass Merkel ihr Versprechen hält: "Die Halbwertzeiten von Aussagen von Politikern zur Euro-Krise sind immer kürzer geworden."