Warum sich Jürgen Trittin von Sigmar Gabriel distanziert - und wie er dem Norden bei der Energiewende helfen will. Ein Gespräch.

Berlin. Er war von 1998 bis 2005 Bundesumweltminister der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder. Jetzt, ein Jahr vor der Bundestagswahl, gilt der Fraktionschef im Bundestag als heimliche Nummer eins der Grünen.

Hamburger Abendblatt: Herr Trittin, hätten Sie momentan Lust, Peter Altmaiers Job des Umweltministers zu übernehmen?

Jürgen Trittin: Ich würde mich erst mal freuen, wenn Deutschland wieder Vorreiter im Umwelt- und Klimaschutz wäre. Ob Peter Altmaier in dieser Regierung dazu willens und in der Lage ist, wird die Zeit zeigen. Fest steht: Deutschland ist momentan mitverantwortlich dafür, dass der europäische und internationale Klimaschutz ins Stocken geraten ist.

Umweltminister ist kein Gewinnerjob: Derzeit droht die Energiewende in einem Fiasko zu enden.

Trittin: Es gibt Umweltminister, für die das Amt ein großer Gewinn war. Probleme bei der Energiewende gibt es deshalb, weil diese Koalition sie voll gegen die Wand fährt. Schwarz-Gelb zeigt keinen Willen, sie zum Erfolg zu führen. Bis auf das Ausbauziel bei den erneuerbaren Energien werden alle Ziele verfehlt. Es herrscht Stillstand oder Rückschritt bei Energieeinsparungen, energetischer Gebäudesanierung, Energieeffizienz und beim Emissionshandel.

Die norddeutschen Bundesländer beklagen einen Investitionsstau beim Netzausbau und bei der Windenergie auf den Meeren. Wie würden Sie dem Norden helfen, wenn sie regierten?

Trittin: Erstens: Wir brauchen nicht vier Netze, sondern wir brauchen ein Netz. Zweitens: Wir brauchen dieses Netz in öffentlicher Verantwortung, durchaus mit privater Beteiligung. Mehrere große Versicherungen zeigen Interesse, ihr Geld in einer staatlich organisierten Netzgesellschaft anzulegen. Es ist doch ein Witz, dass die von mir seinerzeit genehmigten Vorrangflächen für Windenergie bis heute nicht angeschlossen sind, weil der Netzbetreiber Tennet zu wenig Geld hat.

Bund und Länder regieren ein Stromnetz - und die Privatwirtschaft gibt das Geld. Kann das funktionieren?

Trittin: Für Versicherungen ist ein Stromnetz eine sichere Anlage. Bund und Länder müssten das notwendige Kapital nicht über neue Schulden aufbringen. Wir brauchen bei den Netzen eine Infrastruktur, die in öffentlicher Hand liegt. Stellen Sie sich vor, unsere jetzige Netzorganisation würde auf den Straßenverkehr übertragen. Dann würde Volkswagen im Norden die Autobahnen bauen, Opel in der Mitte und BMW im Süden. Und die Autofahrer wären den Firmen ausgeliefert.

Im September soll es einen runden Tisch zum Strompreis geben. Was muss passieren, damit die Verbraucher nicht ihren teuersten Winter erleben?

Trittin: Schwarz-Gelb hat dafür gesorgt, dass alle Großverbraucher, also selbst Rechenzentren von Sparkassen, künftig keine sogenannte EEG-Umlage, den Zuschlag für erneuerbare Energien, zahlen müssen. Das allein kostet die Verbraucher 2,5 Milliarden Euro. Die gleichen Großverbraucher hat man von den Netzentgelten befreit. Das macht noch mal 500 Millionen Euro. Wir sind in der absurden Situation, dass die Stromverschwender zulasten der privaten Haushalte subventioniert werden. Das muss rückgängig gemacht werden.

Wie einig sind sich Opposition und Regierung bei der Suche nach einem Endlager für Atommüll?

Trittin: Es gibt vier Fragen, in denen sich Opposition und Regierung nicht einig sind: Wie gehen wir mit Gorleben um? Welche Endlagerkriterien stehen im Gesetz? Wie viele Standorte werden verglichen? Wer sucht eigentlich das Endlager? Solange die vier Dissenspunkte existieren, haben wir keinen Endlagerkonsens.

Was heißt das für Gorleben?

Trittin: Es darf keine Spezialregelung für Gorleben geben. Die Endlagersuche muss mit einer weißen Landkarte beginnen. Das heißt, dass Gorleben bei der Suche nicht von vornherein ausgeschlossen wird, aber auch, dass Gorleben keinen Sonderstatus als Referenzstandort kriegt. Das ist der Grundkonsens der 16 Ministerpräsidenten und rechtlich die einzig vorstellbare Herangehensweise.

Offenbar soll ein Bundesamt für kerntechnische Sicherheit die Endlagersuche übernehmen. Hat solch eine Behörde Ihren Segen?

Trittin: Wir brauchen einen demokratisch legitimierten Suchprozess auf wissenschaftlicher Grundlage. Wir können nicht irgendwelche Institute akzeptieren, die Entscheidungen im Suchprozess treffen. Das hat uns das sechs Milliarden Euro teure Asse-Desaster beschert. Die Fachaufsicht muss beim Bundesumweltminister liegen und die Kontrolle beim Bundestag.

Gegen wen ziehen die Grünen 2013 eigentlich in den Wahlkampf?

Trittin: Wir möchten die Kanzlerschaft von Frau Merkel beenden und Schwarz-Gelb in die Opposition schicken. Aber vielleicht ist es wichtiger zu wissen, wofür wir in den Wahlkampf ziehen. Deutschland muss zu einer gestaltenden und nicht nur blockierenden Kraft in Europa werden. Für mehr Europa zu streiten wird neben den Fragen der Energiewende das zentrale Thema unseres Wahlkampfes sein.

Die SPD hat die Banken zu ihren Gegnern erkoren. Tun Sie das auch?

Trittin: Die Banken stehen nicht zu Wahl, um es mal deutlich sagen.

Treibt Sie das Thema nicht um?

Trittin: Wir müssen das Primat der Politik gegenüber den Banken und Finanzmärkten wieder durchsetzen. Dafür braucht es aber keinen Wahlkampf gegen Banken, sondern gegen die, die wie Frau Merkel von einer marktkonformen Demokratie schwätzen. Die will ich nicht. Wir brauchen eine Schuldenbremse für Banken, eine europäische Bankenaufsicht und einen europäischen Banken-Restrukturierungsfonds. Das heißt, die Banken müssen gemeinsam haften, wenn sich eine von ihnen verspekuliert. Das darf nicht mehr Sache der Steuerzahler sein. Wir haben Banken gerettet und damit die Staatsverschuldung in die Höhe getrieben. Der zweitgrößte Etatposten im Bundeshaushalt nach den Sozialleistungen ist der Kapitaldienst. Die Schuldentilgung hierfür wollen wir über eine Abgabe aus großen Vermögen finanzieren.

SPD-Chef Gabriel sagt: Die Banken erpressen die Staaten und diktieren die Politik. Wäre das auch Ihre Wortwahl?

Trittin: Man sollte den eigenen fehlenden Mut gegenüber Banken nicht immer gleich mit Erpressung vonseiten der Banken gleichsetzen. Es war der SPD-Politiker Peer Steinbrück, der als Finanzminister die Commerzbank 2008 mit 20 Milliarden Euro an Bürgschaften ausgestattet hat und dafür nur 25 Prozent der Anteile bekommen hat. In den USA wäre es üblich gewesen, so eine Bank komplett zu verstaatlichen, zu kapitalisieren und die Anteile mit Gewinn zu verkaufen.

Ist es relevant für den Erfolg der Grünen, mit welcher Personalaufstellung sie in den Wahlkampf ziehen?

Trittin: Der Parteirat hat ein geordnetes Verfahren beschlossen. Über die Aufstellung werden die Grünen am 2. September bei einem Länderrat entscheiden. Es ist vorgesehen, dass wir mit einer Doppelspitze in die Wahl gehen. Ob diese beiden durch einen Parteitagsbeschluss oder durch eine Urwahl der Mitglieder bestimmt werden, hängt von der Anzahl der Bewerbungen ab.

Parteichefin Claudia Roth hat sich schon beworben. Wann werden Sie Ihre Bewerbung bekannt machen?

Trittin: Ich habe mich an der Personaldebatte zur Unzeit bisher nicht beteiligt und werde dies auch weiter nicht tun. Eine solche Debatte halte ich für absolut kontraproduktiv.