Der islamistische Terror ist laut dem Bericht die größte Gefahr. Manche Rechtsextremisten sehen die NSU-Terroristen als Vorbilder.

Berlin. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat den Verfassungsschutz trotz der eklatanten Ermittlungspannen im Fall der Neonazi-Mordserie als unverzichtbar bezeichnet. Der CSU-Politiker bekräftigte bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2011 in Berlin seine Absicht, die Sicherheitsbehörde zu reformieren. Als erste Konsequenz kündigte er an, dass der Experte für Terrorbekämpfung Hans-Georg Maaßen im August die Leitung des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) übernimmt.

Friedrich verwies darauf, dass Experten seines Ministeriums und eine Bund-Länder-Kommission Eckpunkte für eine Reform des Verfassungsschutzes ausarbeiten würden. "Ich denke, dass wir bis Herbst uns Zeit lassen sollten, die Eckpunkte gemeinsam zu vereinbaren", sagte er. Danach sollten sehr zügig erste Schritte umgesetzt werden. Der Minister schloss nicht aus, dass Landesverfassungsschutzämter zusammengelegt werden könnten: "Ich denke, dass man darüber mit den Betreffenden auch reden muss."

+++ Friedrich will Verfassungsschutz-Reform im Herbst verkünden +++

Der Bundesverfassungsschutz und auch mehrere Landesämter für Verfassungsschutz waren wegen der sich über Jahre hinziehenden Mordserie von Neonazis an Menschen ausländischer Herkunft massiv in die Kritik geraten. Der Bundesverfassungsschutz hatte die Ansicht vertreten, aus dem rechtsextremen Spektrum drohe keine Anschlagsgefahr. Die Morde an mindestens neun Menschen ausländischer Herkunft wurden als Auseinandersetzungen in der Migrantenszene gewertet. Zudem wurden in den Behörden Akten über die rechtsextreme Szene vernichtet. Der scheidende Verfassungssschutz-Präsident Heinz Fromm sagte, er könne sich die Gründe für das Vorgehen der Mitarbeiter nicht erklären. Gegen den Verfassungsschutz waren Vorwürfe erhoben worden, die Ermittlungsarbeiten vertuschen zu wollen und damit womöglich sogar Verdächtige zu decken.

Hamburgs Innensenator Michael Neumann (SPD) sagte dem Abendblatt zum Zustand des Verfassungsschutzes: "Das Versagen mancher Akteure in verschiedenen Sicherheitsbehörden auf Bundes- und Landesebene macht auch mich sprach- und fassungslos. Es ist offensichtlich, dass viel Vertrauen verloren gegangen ist." Vertrauen sei jedoch die Voraussetzung für gute Arbeit, insbesondere bei Polizei und Verfassungsschutz. "Die Ergebnisse der Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse sowie die von der Innenministerkonferenz eingesetzten Bund-Länder-Kommission werden die Grundlage für eine Überprüfung auch hier in Hamburg sein. Schnellschüsse aus der Hüfte verfehlen meist das Ziel!"

Mit dem neuen Präsidenten des Inlandsgeheimdienstes sollen nach dem Wunsch von Friedrich auch die Weichen für einen Umbau der Behörde gestellt werden. Maaßen soll am 1. August Fromm ablösen. Der 49-Jährige leitete seit August 2008 den für Terrorismusbekämpfung zuständigen Stab im Bundesinnenministerium. Maaßen ist für die breite Öffentlichkeit ein unbeschriebenes Blatt. Vielen Abgeordneten ist der 1962 in Mönchengladbach geborene Jurist allerdings nicht ganz unbekannt. 2007 sagte er zweimal vor dem BND-Untersuchungsausschuss aus. Das Gremium hatte unter anderem zu klären, ob die Bundesregierung mitverantwortlich dafür war, dass der in Deutschland geborene Türke Murat Kurnaz jahrelang unschuldig im US-Gefangenenlager Guantánamo einsaß. Maaßen war damals Referatsleiter für Ausländerrecht und musste vor dem Ausschuss begründen, warum Kurnaz die Einreise nach Deutschland verweigert wurde. Linke und Grüne tragen Maaßen die damals vertretene Rechtsauffassung bis heute nach. Friedrich hält dagegen und nennt die Kritik dagegen "dreist". Der damalige Außenminister Joschka Fischer und sein Staatsminister Ludger Volmer (beide Grüne) hätten "selbstverständlich Herrn Kurnaz ein Visum erteilen können".

Für die Sicherheit in Deutschland geht die größte Gefahr laut Verfassungsschutzbericht von gewaltbereiten Islamisten aus. Fromm wies darauf hin, dass Terrororganisationen wie al-Qaida zwar geschwächt seien. Stattdessen planten aber verstärkt Einzelpersonen und Kleinstgruppen Anschläge.

Außerdem befürchtet der Verfassungsschutz die Bildung weiterer rechtsextremistischer Terrorzellen nach dem Vorbild des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Vor dem Hintergrund einer stark durch Gewaltbereitschaft und Gewaltanwendung geprägten rechtsextremistischen Szene können vergleichbare Radikalisierungsverläufe für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden. Fromm wies auf die Gefahr hin, dass sich Rechtsextremisten die erst nach Jahren aufgeflogene Terrorzelle NSU zum Vorbild nehmen könnten. Laut Verfassungsschutzbericht ist die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten im vergangenen Jahr von 9500 auf 9800 Personen gestiegen, die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten um 1,5 Prozent von 15 905 auf 16 142. Die Parteien aus diesem Spektrum verlieren hingegen Anhänger.