Horst Seehofer ist derzeit leicht in Rage zu bringen - egal, ob es um das Betreuungsgeld oder die Euro-Rettung geht. Nun zürnt er mit den anderen Ministerpräsidenten, weil diese im Streit über eine Reform des Länderfinanzausgleichs auf stur schalten.

Berlin/München. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer prescht mit einer Verfassungsklage gegen den Länderfinanzausgleich vor. Der CSU-Chef macht eine jahrelange Drohung wahr und hofft, durch die höchstrichterliche Überprüfung bald viel weniger in den Topf einzahlen zu müssen. Früher selbst ein Empfängerland, kommt der Freistaat heute für über die Hälfte der Transferzahlungen auf - vor allem zugunsten des armen Berlins. Seehofer kann aber nicht wie erhofft auf die Unterstützung des ebenfalls finanzstarken Baden-Württemberg zählen, sondern wählt den Alleingang. Unter Umständen schließt sich zumindest Hessen der Klage an. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe wird frühestens 2014 erwartet, also erst nach der Bundestags- und der Landtagswahl in Bayern im Herbst 2013. SPD und Linke warfen Bayern vor, nicht solidarisch zu sein. Auch CDU-Ministerpräsidenten wie Reiner Haseloff in Sachsen-Anhalt äußerten Kritik.

Seehofer, der sich wie so oft in den vergangenen Monaten als scharfer Kritiker gibt, holte sich am Dienstag Rückendeckung von seinem schwarz-gelben Kabinett in München. „Es geht um den Schutz bayerischer Steuergelder“, sagte er. Die Gespräche mit den ärmeren Ländern erklärte er für gescheitert. Daher sei die Klage „das Normalste der Welt“, schließlich laufe der Länderfinanzausgleich aus dem Ruder. Vier Länder zahlten in den Topf ein, zwölf bekämen unabhängig von ihren Anstrengungen Geld. Eine hohe Verschuldung werde damit noch gefördert. „Wir sind bereit zu Solidarität“, sagte Seehofer. „Es geht um das Ausmaß der Zahlungen und nicht um die Frage, ob zu zahlen ist.“

Noch bissiger formulierte es Bayerns Finanzminister Markus Söder: „Jetzt reicht es. Jetzt muss gehandelt werden“, sagte der CSU-Politiker. Der Länderfinanzausgleich sei zu einer Art „Berlin-Bond“ mutiert – Bayern trage die Hauptlast, Berlin bekomme am meisten Geld und finanziere damit unter anderem ein Begrüßungsgeld für Studenten: „Das System ist grundfalsch.“ Bis zum Jahresende solle die Klage in Karlsruhe eingereicht werden.

Bayern hat im vergangenen Jahr 3,66 Milliarden Euro in den Länderfinanzausgleich gepumpt, der insgesamt eine Höhe von 7,31 Milliarden hatte. Hessen und Baden-Württemberg zahlten jeweils rund 1,8 Milliarden, Hamburg 62 Millionen Euro. „Das hat mit einer gerechten Lastenverteilung nichts mehr zu tun“, sagte Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP). Söder rechnete vor, dass Bayern für den Doppelhaushalt 2013/14 allein mit 8,2 Milliarden Euro für den Finanzausgleich kalkuliert. Damit seien fast zehn Prozent aller Ausgaben für Hilfen zugunsten ärmerer Länder reserviert. Bayern war bis 1988 selbst Empfängerland. Zwischen 1950 und 1988 bekam der Freistaat umgerechnet etwa 3,5 Milliarden Euro aus dem Topf. Seither hat er Söder zufolge 38 Milliarden Euro eingezahlt.

Mit dem Alleingang ist ein gemeinsames Vorgehen der drei südlichen Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen zunächst vom Tisch. „Wir sind aber sehr optimistisch, dass Hessen den Weg mit uns beschreitet“, sagte Söder. Hessens Vize-Regierungschef Jörg-Uwe Hahn (FDP) hält einen solchen Schritt für möglich.

Zeil ergänzte, die Klage werde jetzt vorbereitet. Es seien mehrere Gutachten eingeholt worden, aufgrund derer mit einem Erfolg zu rechnen sei. Söder sieht es ähnlich: „Das größte Risiko ist ja, dass es so bleibt, wie es ist.“ Er erhofft sich eine deutliche Reduktion für sein Land.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) plädierte dafür, die Verhandlungen nicht aufzugeben. Die Erfolgsaussichten der Klage bezeichnete er als ungewiss: „Ich halte eine Verhandlungslösung für den richtigen Weg.“ Haseloff forderte von Seehofer Vertragstreue. „Bis 2019 bestehen klare Vereinbarungen und Rahmenbedingungen, so dass es hier keine Verhandlungsspielräume gibt“, sagte er der Zeitung „Die Welt“. Bis 2019 müsse für die Zeit danach über neue Konzepte gesprochen werden – zum Beispiel auf den Ministerpräsidentenkonferenzen.

SPD-Bundestags-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sprach von einer unseriösen Attacke Seehofers gegen die föderale Solidarität. Die CSU wolle sich nicht mehr daran erinnern, dass sie dem Kompromiss zugestimmt habe, an dem bis 2019 geltenden Solidarpakt nicht zu rütteln. „Seine Attacken gegen den Länderfinanzausgleich sind ein durchsichtiges Manöver im bayerischen Vorwahlkampf“, sagte Steinmeier. Linken-Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn warf Bayern vor, Solidarität besonders mit dem Osten aufzukündigen. Der Finanzausgleich habe dort als eine der Geschäftsgrundlagen auch für die Einführung der Schuldenbremse gegolten, sagte er in Berlin.

Länderfinanzausgleich: „Reiche Onkel“ gegen „arme Schlucker“?

Bayern macht seine Drohung ernst und klagt gegen den Länderfinanzausgleich. Einige zentrale Fragen und Antworten:

Wann klagt Bayern, wann ist mit einer Entscheidung zu rechnen?

Bayern will die Klage in den kommenden Monaten erarbeiten und bis Ende des Jahres einreichen. Mit einer Entscheidung der Karlsruher Richter rechnet die Staatsregierung aber frühestens im Jahr 2014.

Was ist eigentlich der Finanzausgleich?

Das Hauptziel ist laut Grundgesetz die „Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse“. Soll heißen: Die Starken helfen den Schwachen. Denn jedes der 16 Bundesländer hat aufgrund seiner wirtschaftlichen, geografischen und regionalen Besonderheiten unterschiedlich hohe Einnahmen. So regelt der Finanzausgleich seit Jahrzehnten die Verteilung der Einnahmen zwischen Bund, Ländern und Kommunen.

Und wie funktioniert das Ganze?

Zunächst werden die Steuereinnahmen zwischen Bund, Ländern und Kommunen aufgeteilt. In der ersten Stufe bekommen die „armen“ Länder etwas aus dem Topf mit den Umsatzsteuereinnahmen. Stufe zwei ist der Länderfinanzausgleich im engeren Sinn: Hier gleichen die starken Länder untereinander Einnahmeunterschiede aus. Und in der dritten Stufe schließlich beteiligt sich der Bund mit Zuweisungen.

Wer sind die „reichen Onkel“ und wer die „armen Schlucker“?

Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 7,308 Milliarden Euro zwischen den Ländern umverteilt – wobei vier Geberländern zwölf Nehmerländer gegenüberstanden. Am meisten musste Bayern „bluten“ - mit 3,66 Milliarden Euro. Hessen folgte mit rund 1,8 Milliarden Euro, dann Baden-Württemberg mit 1,78 Milliarden Euro. Die wohlhabende Hansestadt Hamburg steuerte noch rund 62 Millionen Euro bei. Größter Empfänger war Berlin mit über 3 Milliarden Euro. Bayern hing bis 1986 selbst am Tropf des Finanzausgleichs – wobei die Bayern betonten, dass sie heute Jahr für Jahr das einzahlen, was sie zuvor über Jahrzehnte insgesamt bekommen haben.

Wo liegt das Problem? Was kritisieren die großen Geberländer?

Der Mechanismus hat mittlerweile dazu geführt, dass Bayern die Hälfte des Ausgleichs stemmen muss und Berlin knapp die Hälfte bekommt. Die Geber stoßen sich aber auch daran, dass zusätzliche Steuereinnahmen abgeschöpft werden. So hätten die Nehmer gar keinen Anreiz, sich mehr anzustrengen. Ein Dorn im Auge der Kritiker sind auch die „Privilegien“ der Stadtstaaten: Jeder Bremer, Hamburger und Berliner zählt beim Finanzausgleich das 1,35-fache eines normalen Bundesbürgers, um Sonderbelastungen einer Großstadt auszugleichen.

Was will Bayern mit seiner Klage nun erreichen?

Bayern hatte zusammen mit Baden-Württemberg und Hessen versucht, die Nehmerländer zu Gesprächen über eine einvernehmlichen Reform zu bewegen – hat diese Versuche nun aber für gescheitert erklärt. Nun will der Freistaat erreichen, dass Karlsruhe Bund und Länder zu einer raschen Reform verdonnert. Zwar läuft der jetzt geltende Finanzausgleich ohnehin 2019 aus – doch das ist Bayern zu spät. In der Sache fordert Bayern eine tiefgreifende Reform des gesamten Systems – mit mehr Leistungsanreizen für ärmere Länder und einer finanziellen Belastungsobergrenze für die Geberländer. Zudem will der Freistaat die Privilegien für die Stadtstaaten überprüft wissen.

Bayern hat schon einmal geklagt – doch was hat diese Klage gebracht?

1999 errangen die Geberländer in Karlsruhe einen Teilerfolg – mit der Folge, dass seit 2005 stärkere Leistungsanreize gelten. Die erhoffte Wirkung blieb aber weitgehend aus. Die bayerische Staatsregierung verweist aber darauf, dass die Klage dem Freistaat Jahr für Jahr einen dreistelligen Millionenbetrag eingebracht habe. (rtr/dpa)