Bayerns Ministerpräsident verwirrt mit seinen wahltaktischen Volten Freund und Feind

Solidarität ist ein wohlklingendes Wort - und ein in der Praxis nicht immer leicht umzusetzendes Prinzip. Das liegt zum einen daran, dass Geben bekanntlich zwar seliger ist denn Nehmen, der Geber aber leicht zur Verstimmung neigt, wenn sich der Beschenkte undankbar oder unwillig zeigt. Solidarität ist nämlich keine Einbahnstraße, jedenfalls funktioniert sie nicht auf Dauer als solche. Dieses Phänomen ist in der großen europäischen Politik gerade zu beobachten. Die wirtschaftlich stärkeren Nordländer verlieren allmählich die Lust, dem schwächelnden Süden immer wieder mit neuen Bürgschaften unter die Arme zu greifen, ohne dass geforderte und versprochene Reformen endlich ernsthaft angepackt werden.

Mit geografisch umgekehrten Vorzeichen gibt es seit Jahren die gleichen Verspannungen in Deutschland. Die Geberländer aus dem Süden beklagen die Lasten des Länderfinanzausgleichs - und vor allem, dass sich die armen Verwandten aus dem Norden mit ihrem Geld Wohltaten leisten, die sie den eigenen Bürgern nicht bieten wollen oder können: den Verzicht auf Studiengebühren etwa oder kostenfreie Kindergärten. Dass jemandem wie Horst Seehofer dann schon mal der Kragen platzt und er mit dem Gang nach Karlsruhe gegen diese himmelschreiende Ungerechtigkeit droht, ist nicht verwunderlich. Das Unterfangen scheint allerdings auch wenig Erfolg versprechend. Denn erstens hat Bayern die bis 2019 geltenden Regeln im Jahr 2001 selbst mitverhandelt - der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber sprach gar von einem "Meisterstück bayerischer Politik"-, zu dem der damalige Bundestagsabgeordnete Seehofer brav zustimmend die Hand hob; zweitens verzichtet der derzeitige bayerische Regierungschef auf die Hilfe seiner Mitzahler aus Baden-Württemberg und Hessen, was seine Gewinnchancen vor Gericht nicht gerade erhöhen dürfte. Drittens geht es ihm wahrscheinlich primär nicht einmal um Gerechtigkeit für die Geberländer, sondern vor allem um die Wahlchancen für die CSU im kommenden Wahljahr - und damit auch um seine persönliche Zukunft.

Die einstige unumstrittene Staatspartei dümpelt in den Umfragen um die 43, 44 Prozent. Regieren muss sie mit der ungeliebten FDP. Im kommenden Jahr drohen weitere Einbußen durch die immer stärker werdenden Freien Wähler - und die SPD könnte mit einem populären Spitzenkandidaten Christian Ude endlich ihren Exotenstatus im Freistaat verlieren. Das macht Seehofer seit Monaten sichtlich nervös. Das bekommen nicht nur politische Gegner und aus bayerischer Sicht unfähige und unwillige Nehmerländer zu spüren, sondern vor allem Seehofers Parteifreunde. Vor allem der Landesgruppe im Bundestag wird das Leben nicht leichter gemacht, wenn ihr Vorsitzender aus dem fernen München alle naslang mit Koalitionsbruch droht, sei es wegen des Streits um das Betreuungsgeld, um Euro-Rettung oder Steuersenkungen. Ebenso häufige wie folgenlose Drohungen stärken weder die Glaubwürdigkeit, noch gestalten sie die Zusammenarbeit mit den Koalitionspartnern leichter. Mit seiner Kritik am geplanten Meldegesetz hat er seinen Innenminister Hans-Peter Friedrich nebst allen christsozialen Bundestagsabgeordneten bloßgestellt. Die grollen ihrem Vorsitzenden ohnehin, weil er sich seit Monaten nicht bei ihnen hat blicken lassen.

Seehofer hat die Parole "Bayern first" ausgegeben. Mit einer konsequenten Regionalisierungsstrategie will der Parteichef seiner CSU die Macht auch künftig sichern. Dazu müssen sichtbare Erfolge her. Die aber drohen auszubleiben, wenn aus dem Plan in der Umsetzung ein "Seehofer first" daraus wird. Auch bei einem so lohnenden Thema wie dem komplizierten und in seiner Wirksamkeit durchaus diskussionswürdigen Länderfinanzausgleich.