Geplante Betreuungsgeld könnte auch in Hamburg dafür sorgen, dass gerade die Kinder aus Migrantenfamilien noch häufiger zu Hause bleiben.

Hamburg. Sam will diesen rosa Klumpen unbedingt mit nach Hause nehmen. Mal wieder. "Wir haben davon doch schon so viele", sagt seine Mutter, die den Vierjährigen gerade aus der Kita Schilleroper in St. Pauli abholen möchte. Sam, Emmi und Mira bearbeiten im Atelier rosa Salzteig. Die Vierjährigen formen Schmetterlinge daraus oder drücken den Teig mit einer Plastikwalze platt. Auch die sinnliche Erfahrung mit Teig und Knete ist Bildung. Was Sam, Mira und Emmi an ihrer Kita an Bildung erfahren, ist längst nicht für alle möglich. Betreuungsplätze fehlen, und gerade die Kinder aus Migrantenfamilien und prekären familiären Situationen besuchen seltener eine Kindertagesstätte als Mittelstandskinder.

Der Unterschied ist deutlich: Etwa 36 Prozent der unter Dreijährigen ohne Migrationshintergrund gehen in eine Krippe, aber nur knapp 18 Prozent der Kinder mit ausländischen Wurzeln nehmen die Betreuung in Anspruch. "Das Kita-Gutschein-System muss vereinfacht werden, damit diese Kinder in die Kindertagesbetreuung gelangen", sagt Joachim Speicher, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtverbandes. Das System sei zu kompliziert.

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Paradoxerweise erreiche Hamburg mit dem Gutscheinsystem vor allem Kinder aus der Mittelschicht, deren Eltern beide berufstätig sind und damit Anspruch auf einen Krippenplatz haben. Und das geplante Betreuungsgeld könnte dafür sorgen, dass gerade die Kinder aus Migrantenfamilien noch häufiger zu Hause bleiben.

"Chancengleichheit ist in Hamburg nicht gegeben, wenn nur ein geringer Teil von Kindern mit Migrationshintergrund überhaupt in die Krippe geht", sagt Joachim Speicher. Aber gerade diese Kinder brauchen solche Plätze, weil ihre Deutschkenntnisse häufig schlecht sind oder die Bedingungen in den Familien nicht optimal sind. Bildung fängt mit der Geburt an. Speicher sagt: "Die entscheidenden Jahre sind zwischen null und drei Jahren. Unsere Intelligenz, soziale Kompetenz - der Grundstock wird in diesem Alter gelegt."

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Die Kita Schilleroper bietet Krippenplätze und Plätze für die Drei- bis Sechsjährigen, darunter 15 der begehrten Fünf-Stunden-Plätze, auf die alle Kinder nach ihrem dritten Geburtstag einen Rechtsanspruch haben. Aber nur wenige Kitas können die Fünf-Stunden-Plätze anbieten. "Je mehr Kinder einen Gutschein mit geringer Stundenzahl haben, desto unwirtschaftlicher ist es für den Kindergarten", sagt die Leiterin Krimhild Strenger.

Ab August sollen alle Kinder ab zwei einen Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung erhalten, vom 1. August 2013 an gilt dann der bundesweite Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten vollendeten Lebensjahr. Laut Sozialbehörde gibt es hamburgweit einen Bedarf von 15.300 Fünf-Stunden-Plätzen. Der Haken: Für die Träger sind diese Fünf-Stunden-Plätze wirtschaftlich uninteressant. "Es sind dann die Eltern, die ohnehin das Geld haben, die sich zusätzliche Betreuungsstunden dazukaufen können", so Kita-Leiterin Strenger. In der Kita Schilleroper kommen etwa 60 Prozent aus Familien mit einem höheren Bildungshintergrund, 40 Prozent haben ausländische Wurzeln oder einen niedrigeren Bildungshintergrund.

Sie alle lernen gemeinsam, spielerisch und ohne Stundenplan. Die Kinder der Kita Schilleroper lernen in Funktionsräumen ganzheitlich, "mit Kopf, Herz und Hand". So stehen zum Beispiel im Experimentierraum Mikroskope, Wasserbecken, Sandpendel, Schläuche oder Lupen. "Die Kinder entscheiden, mit welchen Materialien sie arbeiten. Die Erzieher geben Hilfestellung und unterstützen die Kinder", sagt Kita-Leiterin Strenger. Bewegungsraum, Atelier, Rollenspielraum, Bauraum sind kindgerecht gestaltet, das heißt auch: Die Wände sind weiß. "Die Kinder sollen nicht abgelenkt werden, sondern sich auf ihre Sache konzentrieren können", erklärt Frau Strenger. Weniger ist manchmal mehr.