Bundespräsident Christian Wulff entlässt mit Olaf Glaeseker seinen Sprecher - und den Mann, der ihn erst zu dem Politiker machte, der er heute ist.

Hannover/Berlin. Die Bilder stimmten. Wirklich gut sah es aus, wie Christian Wulff als niedersächsischer Ministerpräsident im Sommer 2007 wahlkämpfend und mit blauer Windjacke über Baltrum radelte. Einen Tagesabstecher hatte der CDU-Politiker auf seiner Sommerreise mit seinem Tross auf die kleinste der ostfriesischen Inseln gemacht. Dort tanzte Wulff mit Kindern in seinem Sommerzeltlager, setzte sich an Bord einer Fähre eine Kapitänsmütze auf den Kopf, lauschte einem Ständchen der Baltrumer Gitarrengruppe und überreichte Porzellanteller an Ehrenämtler. Schöne Motive. So bürgernah. So engagiert. Olaf Glaeseker dürfte das gefallen haben.

Das Bild, das sich erst der niedersächsischen und dann der bundesdeutschen Öffentlichkeit von Christian Wulff präsentierte, gilt als Glaesekers Werk. "Mephistopheles" haben sie ihn in Hannover zu seiner Zeit als Regierungssprecher spöttisch genannt - so wie den Teufel aus Goethes "Faust", der mit Gott die Wette eingeht, ob es ihm gelingen möge, Doktor Faust vom rechten Weg abzubringen. Nur dass es bei Glaeseker und Wulff andersherum gelaufen ist. Den farblosen Rechtsanwalt Wulff hatte der heute 50-jährige Glaeseker zum sympathischen Landesvater Wulff gemacht, der zeitweise zu einem der beliebtesten Politiker Deutschlands avancierte. Wulff hat es ihm maßgeblich zu verdanken, dass er es bis ins Schloss Bellevue gebracht hat. Und er weiß das auch. Seinen "siamesischen Zwilling" hat er Glaeseker einmal genannt.

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Doch jetzt, inmitten der schwersten Turbulenzen, hat Wulff seinen Strippenzieher, seinen Freund und engsten Vertrauten entlassen. "Ich bedauere, dass ich mich von meinem Sprecher Olaf Glaeseker trennen musste, und danke ihm an dieser Stelle für seinen großartigen Einsatz an meiner Seite", sagt Wulff gestern bei seiner kurzen Erklärung im großen Saal im Schloss Bellevue. "Ich habe ihm viel zu verdanken und wünsche ihm für weitere berufliche Herausforderungen alles erdenklich Gute."

Das sind nur wenige Sätze, wenn man bedenkt, wie viel beide in den vergangenen zwölf Jahren durchlebt haben. Das ist ungewöhnlich. Doch die Situation ist es auch. Wulffs Erklärung nach dem immer stärker werdenden Druck war Rettung in letzter Minute. Zehn Tage lang hatte er geschwiegen. Einige Erklärungen hatte es gegeben, zumeist über Wulffs Anwalt, doch eine persönliche Stellungnahme blieb aus. Warum hat er dem niedersächsischen Landtag einen Privatkredit über 500 000 Euro beim Unternehmerehepaar Egon und Edith Geerkens verschwiegen? Warum hat er immer wieder in luxuriösen Villen vermögender Freunde Urlaub gemacht? Warum ließ er sich vom Millionär und AWD-Gründer Carsten Maschmeyer eine Werbekampagne über fast 50 000 Euro sponsern? All diese Fragen hatten den Bundespräsidenten in Bedrängnis gebracht. Doch an Rücktritt denkt Wulff nicht. Er will kämpfen. Dass Glaeseker gehen musste, gehört offenbar dazu.

Ein paar Minuten später als angekündigt tritt Wulff gestern um kurz nach halb vier vor die eilig zusammengerufene Hauptstadtpresse. Selbstsicher wirkt er nicht. Ein paar zusammengefaltete DIN-A4-Blätter zieht er aus der Brusttasche und legt sie auf das Rednerpult. "Mir ist klar geworden, wie irritierend die private Finanzierung unseres Einfamilienhauses in der Öffentlichkeit gewirkt hat", sagt Wulff. "Das hätte ich vermeiden können und müssen." Er spricht nur wenige Sätze frei, die meisten liest er ab. "Das war nicht gradlinig, und das tut mir leid."

Hier bemüht er sich, direkt in die Kameras zu blicken. "Ich sehe ein: Nicht alles, was juristisch rechtens ist, ist auch richtig." Was Wulff sagt, klingt demütig. Auch, wie er es sagt. Ob es aber reicht, sich zwei Tage vor Weihnachten doch zu erklären und den Kommunikationsstrategen zu feuern, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Die Reaktion der Kanzlerin fällt jedenfalls kühl aus: "Die Worte des Bundespräsidenten stehen für sich. Ihnen ist nichts hinzuzufügen", teilt der Regierungssprecher mit. Anders sieht es die Opposition. Die Erklärung und die Trennung von Glaeseker seien "kein Ersatz für die Aufklärung in der Sache", findet SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil.

Warum Wulff ausgerechnet seinen engsten Vertrauten opfert, sorgt an diesem Tag für die meisten Spekulationen. Klar ist: Am Ende hat es nicht mehr funktioniert. Als "Salamitaktik" wurde die Kommunikationsstrategie des Bundespräsidialamts kritisiert. Informationen wurden immer nur scheibchenweise geliefert und auch immer nur so viel, wie nach neuem Stand der Vorwürfe notwendig war. Dafür stand Glaeseker, und er ist damit gescheitert. Bellevue hat die Kontrolle verloren. Das darf einem Sprecher nicht passieren. Das Bundespräsidialamt konnten nur noch zusehen, wie immer neue Details über Wulffs Kredit, seinen Freundeskreis und seine Urlaubsreisen zirkulierten und ihn in die Bredouille brachten.

Oder gab es einen anderen Grund? Wie die Nachrichtenagentur dpa erfahren haben will, hat Glaeseker selbst um seine Entlassung gebeten. Es habe sich abgezeichnet, dass sich der Wirbel um Wulff nun auch auf das Privatleben Glaesekers ausweite. Auch zum Schutz seiner Familie sei Glaeseker nicht bereit gewesen, eine solche öffentliche Erörterung seines Privatlebens hinzunehmen. Doch was auch der Grund sein wird, Glaeseker wird darüber schweigen. Wer ihn lange kennt, kann sich jedoch nur schwer vorstellen, dass Wulff ihn gefragt hat, ehe er 2008 das Ehepaar Geerkens um den Kredit bat. Glaeseker, so ist man sich sicher, hätte gewiss und auch nachdrücklich abgeraten.

Als er 1999 seinen Job als Journalist in Bonn eintauschte gegen den Posten eines CDU-Sprechers in Niedersachsen, ging er auf Risiko. Zu diesem Zeitpunkt hatte sein neuer Chef Christian Wulff bereits zweimal bei einer Landtagswahl gegen den Amtsinhaber Gerhard Schröder verloren. Es gab für beide im Jahr 2003 nur noch einen Versuch, einen Machtwechsel herbeizuführen - die eigenen Karrieren hingen daran. Zur Überraschung der Beobachter, aber auch vieler Parteifreunde entwickelte sich zwischen Wulff und Glaeseker ein sichtbares Vertrauensverhältnis mit großer persönlicher Nähe. Das war neu bei dem damals chronisch misstrauischen und auf Distanz bedachten Oppositionsführer.

Glaeseker suchte jedoch nie das Rampenlicht, aber er inszenierte seinen Chef gekonnt. Wulff absolvierte jetzt auch klaglos Abendtermine, bei denen er anders als früher Alkohol trank und sich sichtlich bemühte, aufgekratzt und zugewandt zu wirken. Wulff überwand - es ging für ihn schließlich ums Ganze - seine frühere Beratungsresistenz. 2003 dann gewannen CDU und FDP die Landtagswahl, Glaeseker wurde Chef der Pressestelle in der Staatskanzlei und war endgültig in seinem Element. Schnell wurde er zu einem personalisierten Frühwarnsystems für den Regierungschef. Und er war es auch, der 2006 Wulffs Trennung von der ersten Ehefrau Christiane inszenierte. Per "Bild"-Zeitung erfuhr die staunende Öffentlichkeit, dass der Katholik Wulff bereits eine neue Frau an seiner Seite hatte, eben Bettina Körner. So wurde aus dem Stoff, der auch für quälende mediale Fortsetzungsromane taugt, ein sauberer Einzelaufschlag.

Glaesekers Rechnung, auf Wulff zu setzen, zahlte sich mit Beginn der zweiten Legislaturperiode des Ministerpräsidenten Wulff 2008 aus: Der Pressesprecher wurde in den Rang eines Staatssekretärs erhoben. Und je besser Wulff in der Rangliste der deutschen Spitzenpolitiker abschnitt, um so größer wurde das Netzwerk Glaesekers in der Bundespolitik. Landespolitische Journalisten mussten jetzt länger warten auf Rückrufe, aber Wulff wurde Schritt für Schritt aufgebaut zur Nummer zwei in der CDU hinter Kanzlerin Merkel. Glaeseker wiederum tauchte immer häufiger in Artikeln auf, die ihn in die Spitzengruppe der Spin-Doctors auf dem Berliner Parkett einreihten. Darauf angesprochen, tat er das, was er immer tat, wenn er nichts sagen wollte: Er grinste über das ganze Gesicht und schwieg - zumindest offiziell.

Für Glaeseker ist ein großer Teil der Aufregung jetzt erst einmal vorbei. Seine Aufgaben soll die bisherige Stellvertreterin Petra Diroll kommissarisch übernehmen. Für sie und für Wulff werden die nächsten Tage wohl weiter turbulent bleiben. Gestern - parallel zu Wulffs Auftritt - erhob der "Spiegel" weitere Vorwürfe. Danach bekam der Bundespräsident das Anschluss-Darlehen für sein Eigenheim von 500 000 Euro bei der BW-Bank zu auffallend günstigen Konditionen. Er habe keinen normalen Immobilienkredit erhalten, sondern ein komplexes Finanzkonstrukt. Wulffs Reaktion: Er ließ wieder seine Anwälte sprechen. Die Darstellungen seien "unvollständig und falsch", teilten sie mit. Es ist die erste öffentliche Äußerung Wulffs ohne seinen Schattenmann. Er wird sich daran gewöhnen müssen.