Per Regierungserklärung verkündet Merkel ihre Erfolge auf dem EU-Gipfel. Den Amerikanern ist sie bei der Krisenbewältigung zu langsam

Berlin. Mächtig reich und mächtig langsam - das ist Angela Merkel aus amerikanischer Sicht. Sie sei die "Eiserne Kanzlerin", wird mit Otto von Bismarck US-Zeitungen verglichen; sie sei auf dem vorigen Brüsseler Gipfel "im Triumph erstrahlt", beobachtete die "Washington Post" angesichts der weitgehend durchgesetzten deutsch-französischen Linie in der Euro-Krise. Das Magazin "Newsweek" hat Merkel gerade das Titelbild gewidmet. Erwartet werden von ihr entschiedene und schnelle Schritte, um den Not leidenden Ländern im Süden Europas zu helfen, weil ein Scheitern der gemeinsamen Währung die Weltwirtschaft in eine gewaltige Krise stürzen würde.

Ungeachtet aller Kritik aus dem Ausland wollte Merkel ihren Brüsseler Erfolg gestern im Bundestag feiern und davon in einer Regierungserklärung berichten. Doch im Fokus steht erst einmal ihr Vizekanzler Philipp Rösler, dem gerade Generalsekretär Christian Lindner gerade abhandengekommen war. Auf ihn sind alle Objektive der Fotografen gerichtet. Sie suchen Bilder, auf denen Rösler sorgenvoll wirkt, und haben eine reiche Auswahl. Andere Liberale haben bessere Laune. Der Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle wirkt nachgerade aufgekratzt. Schon als Bundestagspräsident Norbert Lammert routiniert bittet, Platz zu nehmen, ruft er keck dazwischen: "Einige sitzen schon." Es wird nicht der letzte ungewöhnliche Beitrag Brüderles in dieser Debatte bleiben.

Zunächst gehört das Rednerpult aber Angela Merkel. Emotions- und schnörkellos wie gewohnt bleibt die Kanzlerin auch in der Stunde ihres vermeintlichen Triumphes. "Wir reden nicht nur über eine Fiskalunion, sondern wir haben angefangen, sie zu schaffen", sagt Merkel. "Das ist in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug einzuschätzen." Merkel stilisiert den letzten von so vielen EU-Räten in diesem Jahr zum einschneidenden Ereignis: "Der Weg ist nicht abgeschlossen, aber er wurde eingeschlagen - und, ich glaube, unwiderruflich." Begeisterung oder auch nur Freude über das Erreichte verrät ihr Gesicht freilich nicht. Zum großen Gipfelverlierer, David Cameron, bricht Merkel keine Brücke ab, für sie stehe außer Frage: "Großbritannien wird auch in Zukunft ein verlässlicher Partner in der EU sein." Danach folgt die nur gering variierte Merkel-Standardrede zur Euro-Krise: dass sie eine Krise der Staatsschulden sei, nur in einem Prozess überwunden werde und Europa am Ende gestärkt daraus hervorgehen könne.

Merkel lobt, dass die Europäische Zentralbank (EZB) nun den Rettungsschirm EFSF "mit ihrer Expertise" unterstütze. Frank-Walter Steinmeier, der SPD-Fraktionschef, der auf Merkel antwortet, legt aber den Finger in die Wunde: "Wenn die EZB künftig eine aktivere Rolle spielen soll, sagen Sie das bitte in diesem Hohen Hause!" Merkel tat dies wohlweislich nicht. Und sie schwieg auch zu dem zweiten eigentlichen Streitpunkt dieses Tages: Mit Bundesbank-Milliarden soll der Internationale Währungsfonds (IWF) einen weiteren Rettungsschirm aufspannen. Steinmeier schimpft: "Deutsches Steuergeld geht jetzt über die Bundesbank an den IWF und fließt dann wieder nach Europa zurück. Diese Konstruktion hat nur einen Zweck, den Bundestag zu umgehen." Für Merkel schmerzhaft: Die Bundesbank ist auch dieser Meinung und hat sogar ihrerseits um eine Abstimmung im Bundestag gebeten.

Auch in der Rede ihres Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder fehlt eine Verteidigung des parlamentarisch unsauberen IWF-Manövers. Ganz anders Kauders FDP-Pendant Rainer Brüderle: Der legt sich fest, die Bundesbank sei nun mal unabhängig. Und eine halbe Unabhängigkeit gebe es nicht, deshalb sei das Parlament nicht gefragt. Überhaupt fährt Brüderle eine deutlich andere Linie als Merkel und Kauder. Er schont Cameron nicht, sondern geht den Briten im Gegenteil hart an: Er habe "die Handtasche von Maggie Thatcher kräftig geschwenkt", sei ein "europapolitischer Trittbrettfahrer" und ein "Rabattjäger". Gegen solche müsse man sich "künftig etwas überlegen".

Seiner FDP gefällt der Ton. Die gerade noch langen Gesichter hellen sich auf. Der Applaus steigert sich zum offenen Jubel, der wiederum Brüderle anzuspornen scheint. Nur Philipp Rösler, der Noch-Parteivorsitzende und Wirtschaftsminister, der als Regierungsmitglied nicht klatschen darf, rutscht nervös mit seinem Stuhl vor und zurück. Und Brüderle nimmt im Plenum demonstrativ den designierten neuen Generalsekretär Patrick Döring beiseite. Und dann stellt sich noch jemand hinzu, der offensichtlich dabei beobachtet werden will: der Außenminister. Guido Westerwelle und Brüderle im vertrauten Gespräch mit Döring. Die alte FDP spricht mit der neuen. Der nur wenige Meter entfernt sitzende amtierende Parteichef Rösler wirkt da wie eine Figur des Übergangs.