Politiker werfen Rating-Agentur Standard &Poor's nach ihrer Drohung politisches Werturteil vor

Berlin. Die US-Rating-Agentur Standard & Poor's hat mit der Drohung, die Bonität Deutschlands und 14 weiterer Euro-Länder herabzustufen, massiv Druck auf den bevorstehenden EU-Gipfel aufgebaut. Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte gestern für den Gipfel Ende dieser Woche Entscheidungen an, die an den Märkten Vertrauen in den Euro-Währungsraum zurückbringen sollten. Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) nannte den Schritt der Rating-Agentur eine Aufforderung an den Gipfel, schnell zu handeln. Dagegen sorgte die S&P-Entscheidung bei vielen anderen Politikern in Europa für Ärger und Entrüstung. Ein vorsichtiges Hoffnungszeichen kam indes von den Anleihemärkten: Die Rendite zehnjähriger italienischer Staatsanleihen sackte erstmals seit mehr als einem Monat unter sechs Prozent ab. Generell zeigten sich die Kapitalmärkte wenig aufgeregt.

In einem beispiellosen Schritt hatte die US-Rating-Agentur am Montagabend 15 Euro-Staaten eine Herabstufung binnen 90 Tagen angedroht. Diese könnte für die Länder höhere Finanzierungskosten in Form steigender Zinsen nach sich ziehen. Die bisher mit der Top-Bonitätsnote AAA bewertete Bundesrepublik könnte um eine Stufe abgewertet werden, Frankreich und andere Staaten sogar um zwei. Bundeskanzlerin Merkel blieb nach dem S&P-Schritt verhalten. "Was eine Rating-Agentur macht, das ist in der Verantwortung der Rating-Agentur", sagte sie. Die Gründe seien aber wenig stichhaltig, und der Zeitpunkt der Veröffentlichung erscheine politisch motiviert. Merkel versicherte, sie werde den mit Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy vereinbarten Weg weiterverfolgen. Der umfasst Vertragsänderungen zur Durchsetzung von mehr Haushaltsdisziplin, das Vorziehen des dauerhaften Rettungsmechanismus ESM auf Ende 2012 sowie zu Krisenzeiten ein allmonatliches Treffen der Euro-Staats- und Regierungschefs.

Alarmiert reagierte indes Sarkozy. Vor Parteimitgliedern sagte er, Frankreich müsse sich jetzt zusammenreißen. Der Chef der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, kritisierte die drohenden Herabstufungen scharf. Nahezu alle Euro-Staaten mit einem negativen Ausblick zu versehen, sei eine "unfaire" und "komplett exzessive" Entscheidung, sagte der luxemburgische Regierungschef dem Deutschlandfunk.

Der S&P-Chefanalyst für Europa, Moritz Kraemer, sagte in der ARD, Europa könne jetzt das Ruder herumreißen. "Wir glauben, dass dieser Krisengipfel ... wirklich eine ganz maßgebliche Chance ist, diesen Prozess umzukehren." Von den Ergebnissen hänge wesentlich ab, ob es zu einer Herabstufung komme. Er verteidigte den Befund seiner Agentur mit steigenden Risiken im Euro-Raum und sprach von einer "systemischen Vertrauenskrise".

Unterdessen traf US-Finanzminister Timothy Geithner zu Gesprächen mit europäischen Zentralbankern in Frankfurt ein. Geplant sind in den nächsten Tagen zudem Treffen mit europäischen Spitzenpolitikern in Deutschland, Frankreich und Spanien. Dabei will Geithner die Europäer drängen, bei ihrem Gipfel entschlossene Entscheidungen zu treffen, damit Europa und die Welt nicht in eine neue Rezession abgleiten.