Zugleich steht die evangelische Kirche wegen ihres Arbeitsrechts gewaltig unter Druck. Auf ihrer Synode in Magdeburg will sie über neue Gesetze abstimmen

Magdeburg. Dass im September der Papst in Deutschland war, müssen viele in diesen aufgeregten Zeiten erst mühsam aus den Tiefen ihres Landzeitgedächtnisses hervorkramen. Doch einer Gruppe ist die Visite von Benedikt XVI. bis heute präsent: den deutschen Protestanten. Zu tief sitzt bei ihnen die Enttäuschung über das Ausbleiben konkreter ökumenischer Signale.

Hatten sie nach Benedikts Abreise wochenlang diffus gegrummelt, so versuchte nun der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider, vor der in Magdeburg tagenden EKD-Synode auf den Punkt zu bringen, was von jenem Besuch zu halten ist. Nicht so viel. In seinem Ratsbericht vor den 120 Kirchenparlamentariern kritisierte er vor allem, wie Benedikt mit den ökumenischen Intentionen der evangelischen Kirche umgegangen sei. "Brennende Fragen des ökumenischen Dialogs", so Schneider, "wurden gar nicht oder nur missverstehend und missverständlich angesprochen."

Besonders störte sich Schneider daran, dass der Papst damals von einer Erwartung nach einem "Gastgeschenk" gesprochen hatte, welches er aber nicht liefern könne. "'Gastgeschenke' hat niemand erwartet", konterte nun Schneider, "wohl aber inhaltliche Impulse." Die jedoch seien nicht gekommen: Noch schärfer wurde er bei der Kritik an der Papst-Andeutung, die Protestanten wollten eine Ökumene der Kompromisse, wo beide Seiten ihre Positionen abschwächen. "Dass der Papst ein Verständnis der ökumenisch-theologischen Gespräche unterstellte, das sich an Verhandlungen zwischen politischen Vertragsparteien orientiere, geht an der Haltung der reformatorischen Kirchen völlig vorbei", sagte Schneider. Wie um Rom zu ärgern, erinnerte er daran, dass die EKD unlängst mit den Anglikanern "trotz unterschiedlicher Vorstellungen in Fragen des kirchlichen Amtes" zum gemeinsamen Abendmahl geschritten war.

Zwar blieb Schneider seiner sonstigen Besänftigungsfreude insofern treu, als er sich zu weiterem Entgegenkommen gegenüber den Katholiken bereit zeigte und Benedikts Auftritt in Luthers Augustinerkloster als solchen anerkannte. Doch war auch dieses Lob erfüllt von evangelischem Selbstbewusstsein. Denn im Grunde lobte er, dass Benedikt die Bedeutung reformatorischer Theologie akzeptiert habe.

Stand der Synode-Beginn insofern theologisch im Zeichen evangelischer Selbstvergewisserung, so sieht sich das Kirchenparlament in einer eher weltlichen Frage unter gewaltigem Legitimationsdruck. Es geht ums kirchliche Arbeitsrecht des sogenannten Dritten Weges, bei dem die rund 450 000 Mitarbeiter der evangelischen Diakonie nicht streiken dürfen, sondern in einer "Dienstgemeinschaft" ohne direkte Gewerkschaftsbeteiligung ihre Tarife in paritätisch besetzten Kommissionen konsensual mit den "Dienstgebern" auszuhandeln haben.

Dieser Dritte Weg, nach Ansicht der Kirchen grundgesetzlich garantiert, steht gewaltig unter Druck. Zum einen weil die Gewerkschaft Ver.di immer vehementer die Abschaffung des Streikverbots fordert. Zum andern weil die Kirchenleute selbst an der Legitimation des Dritten Weges zweifeln, seit viele diakonische Träger durch Leiharbeit, teilweise Tarifabsenkungen und die Ausgründung einzelner Arbeitsbereiche in privatwirtschaftliche Servicegesellschaften das Prinzip der "Dienstgemeinschaft" infrage gestellt haben. "Der Begriff der Dienstgemeinschaft droht durch das Verhalten Einzelner ausgehöhlt zu werden", gab Schneider zu. Synoden-Präses Katrin Göring-Eckardt forderte Sanktionen gegen jene diakonischen Träger, die den Dritten Weg verlassen: "Solche Unternehmen müssen verwarnt und, falls sich an der Situation nichts ändert, als letzte Konsequenz auch aus der Diakonie ausgeschlossen werden."

Instrumente hierfür soll die Synode schaffen. Ihr liegen ein Kirchengesetz und eine Satzung für das Diakonische Werk der EKD zur Abstimmung vor, nach denen einerseits der Dritte Weg bestätigt, andererseits die Möglichkeit zu seiner strengeren Durchsetzung gegen Abweichler geschaffen werden soll. Wenn diese Durchsetzung nicht gelingt, dann, so ist auf der Synode immer wieder zu hören, wird sich der bisherige Weg nicht mehr lange halten lassen.