Sie nutzt als Arbeitgeber ihr Sonder-Tarifrecht, vernachlässigt aber die Beschäftigten

In der Liste der größten Arbeitgeber tauchen die beiden Giganten nie auf. Dabei sehen sich 1,3 Millionen Beschäftigte, trotz einer Vielzahl von Tätigkeiten in formal unterschiedlichen Organisationen, in den Diensten einer "Firma" - der Kirche. Rund 900 000 sind es allein in den Wohlfahrtsverbänden der (evangelischen) Diakonie und der (katholischen) Caritas. Sie leisten eine aufopferungsvolle Arbeit. Aber ihre Arbeitgeber, die beiden christlichen Kirchen, sind keine Samariter, sondern hart kalkulierende Institutionen, die Arbeitnehmer stellenweise bedenklich ausnutzen.

So ist der Unmut verständlich, den immer mehr Kirchenbeschäftigte öffentlich kundtun. Vor Beginn der gestern gestarteten Synode der EKD, der Evangelischen Kirche in Deutschland, haben 1500 Demonstranten am Versammlungsort Magdeburg gegen das Streikverbot für kirchliche Mitarbeiter protestiert. Vor allem die Gewerkschaft Ver.di hat hier ein ergiebiges Betätigungsfeld gefunden. Sie sieht in den Kirchenmitarbeitern "Beschäftigte zweiter Klasse", ohne Streikrecht, ohne Tarifverträge.

Grund ist eine in der Verfassung verankerte Sonderregelung, die für Kirchenbeschäftigte weder Streiks noch Gewerkschaftsvertretungen vorsieht. Zum Prinzip dieses sogenannten Dritten Weges gehört es auch, dass Löhne und Gehälter nicht zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaftern ausgehandelt, sondern in paritätisch besetzten Kommissionen festgelegt werden. Das hat jahrzehntelang funktioniert, jedenfalls solange die Beschäftigten ebenso wie die Kirchenoberen mit der Gewissheit lebten, jeder profitiere von dem Sonderweg.

Doch hinter den Kulissen des auf Harmonie getrimmten Kirchen-Tarifsystems brodelt es. Denn die früher geübte Praxis, Tarife des öffentlichen Dienstes einfach zu übernehmen, sind Geschichte. Vielen Sozialeinrichtungen fehlt der Spielraum. Sie stehen unter Kostendruck, den sie im Zweifel nur durch geringere Personalkosten auffangen können. Wenn dann ein versiertes Management fehlt, liegen Leiharbeitsverträge nahe, der hilflose Griff zu Lohndrückerei, der Einsatz privater Subunternehmer.

Wie groß das Ausmaß unchristlicher Arbeitsverhältnisse in den eigenen Reihen ist, weiß selbst die Kirchenleitung nicht. So will der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider aussagekräftige Zahlen über Umfang und Form der Zeitarbeit und deren Entlohnung im Bundesverband Diakonie bis Ende des Jahres erst noch ermitteln lassen. Die erschreckende Ahnungslosigkeit über das eigene Verhalten offenbart, dass die Kirche hier manches versäumt hat.

Ferner droht von juristischer Seite Ungemach. Richter des Landesarbeitsgerichts Hamm haben Anfang des Jahres das kirchliche Tarifrecht nach einer Klage der Gewerkschaft Ver.di generell infrage gestellt. Sie sehen die Arbeitnehmerinteressen nicht ausreichend gewahrt. Doch erst das Bundesverfassungsgericht wird hier für Klarheit sorgen und über die Zukunft des Dritten Weges entscheiden.

Inzwischen können sich die Kirchenverantwortlichen fragen: Welchen Sinn macht ein Sonderrecht noch, das eigentlich vorgibt, ein bestimmtes Leitbild (in diesem Fall das christliche) vor Fremdbestimmung zu schützen, wenn die Kirche als Arbeitgeber sich zunehmend von christlichen Grundsätzen entfernt? Muss sich die Kirche vielleicht doch entweltlichen, wie der Papst gerade beim Deutschlandbesuch den Katholiken empfahl?

Keinem Protestanten ist zuzumuten, diesen Rat aus Rom anzunehmen. Aber wenn die Kirche, ob evangelisch oder katholisch, zum x-beliebigen Betreiber von Krankenhäusern, Altenheimen, Kindergärten wird, der nur noch auf Ertrag, aber nicht mehr auf die Zufriedenheit seiner Beschäftigten zielt, hat sie auch kein Sonderrecht mehr verdient.