Im Eiltempo beschloss die Regierung den Atomausstieg. Doch wichtige Gesetze stocken - eines bleibt umstritten: Können wir uns das leisten?

Hamburg/Berlin. Deutschlands Energiewende ist ein ambitioniertes Projekt. Weltweit gibt es Applaus von der politischen Elite, dass das wirtschaftliche Schwergewicht bis 2022 das letzte Atomkraftwerk abschalten und bis zur Mitte des Jahrhunderts 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energiequellen gewinnen will. Doch je ehrgeiziger das Ziel, desto wichtiger ist es, das Erreichte genau zu überwachen. Und zu prüfen, ob das Projekt am Ende überhaupt bezahlbar ist.

Dafür hat die Bundesregierung nun so etwas wie die Wächter über die Energiewende eingerichtet. Sie sollen kontrollieren, ob der Netzausbau planmäßig verläuft und welche neuen Kraftwerke notwendig sind. Vor allem aber sollen sie Alarm schlagen, wenn die Kosten für die Stromverbraucher aus dem Ruder laufen könnten. Das vierköpfige Gremium unter Vorsitz des Mannheimer Volkswirts Andreas Löschel dürfte schon viel zu tun haben.

Denn viele der Gesetze zur Energiewende wurden vor wenigen Monaten im Eiltempo vom Bundestag beschlossen - und geraten nun zunehmend ins Stocken. Schon im Juli weigerte sich der Bundesrat, die staatlichen Zuschüsse für die energetische Gebäudesanierung zu beschließen. Die Bundesländer wollen die Kosten für die Renovierungen nicht tragen. Dabei macht der Energieverbrauch von Häusern etwa 40 Prozent des gesamten Verbrauchs in Deutschland aus. Ein wichtiger Baustein der Energiewende ist in Gefahr.

Und nicht nur das. Im September blockte die Länderkammer ein weiteres Projekt ab: die Speicherung von Kohlendioxid (CO2) unter der Erde. Die Vertreter von Schleswig-Holstein und Niedersachsen sind gegen das Gesetz, das den Weg frei machen sollte für die Erkundung des sogenannten CCS-Verfahrens. Denn vor allem in Norddeutschland und unter der Nordsee liegen potenzielle Lagerstätten für das Klimagas. Bei der CCS-Technologie wird das CO2 in Kohlekraftwerken abgetrennt, verflüssigt und über Pipelines in unterirdische Speicher verpresst. Damit die umstrittene Technik doch erprobt werden kann, rief Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) nach dem Nein der Länder unlängst den Vermittlungsausschuss an.

Allein das Stocken dieser beiden Gesetze sind schwere Brocken, die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Kabinett noch beiseiteräumen müssen. Wie steinig der Weg zum grünen Strom werden könnte, zeigt auch die Debatte um die Netzentgelte. 4450 Kilometer - eine solche Strecke an Stromautobahnen und dazu Tausende Kilometer neue Verteilnetze in Städten und Kommunen muss Deutschland noch bauen, um den Strom aus Wind- und Solarparks zu den Verbrauchern zu bringen. Und das kostet. Zwar sind die Mehrkosten für den Ausbau der erneuerbaren Energien mit etwa 2,50 Euro pro Jahr und Haushalt gering, doch die Netzkosten könnten diesen Erfolg der Regierung wieder auffressen. Das Internetvergleichsportal Verivox rechnet zum Jahreswechsel mit einer Erhöhung der Strompreise um durchschnittlich vier Prozent. Die Energiekonzerne und Netzbetreiber EnBW und E.on wollen die Gebühren für die Nutzung der Netze durch die Stromlieferanten zum neuen Jahr um bis zu 13 Prozent erhöhen. Bezahlen muss dies am Ende vor allem der Stromkunde.

Pikant dabei ist, dass Unternehmen mit einem Verbrauch von mehr als zehn Millionen Kilowattstunden pro Jahr von diesen Abgaben unlängst ganz befreit wurden. Um Industriebetriebe im Land zu halten, hieß es. Doch Kritiker sehen in dieser Ausnahme keine Rettung von Arbeitsplätzen, sondern reine Klientelpolitik. Die Grünen werfen der schwarz-gelben Koalition zusätzliche Milliardenbelastungen der Verbraucher bei den Stromkosten vor.

Die Kosten der Energiewende - sie sind der große Unsicherheitsfaktor des Umstiegs auf erneuerbaren Strom. Nicht nur für den Verbraucher, sondern auch für die Politik. Und so wundert es nicht, dass die Bundesregierung das gestern verkündete Milliardenprojekt der Europäischen Union begrüßte. 50 Milliarden Euro will die EU ab 2014 ausgeben - für schnelles Internet, schnellere Züge, aber auch für neue Leitungen und Speicheranlagen für Strom und Gas. 9,1 Milliarden Euro sind allein für Letzteres vorgesehen, gab EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bekannt. 31,7 Milliarden Euro sollen demnach in die Modernisierung transnationaler Verkehrswege fließen. Weitere 9,2 Milliarden Euro sind für den flächendeckenden Ausbau der Breitbandverbindungen vorgesehen.

Und noch etwas plant die EU: Bald sollen dringende Energieprojekte von der Planung bis zum Bau in drei statt wie bislang durchschnittlich zehn Jahren umgesetzt werden. Als Beispiel nannte Energiekommissar Günther Oettinger Stromleitungen von Windparks oder südeuropäischen Solaranlagen in Großstädten, aber auch den Bau neuer Gaspipelines. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) lobte Oettingers Pläne: "Sie können einen Impuls für bessere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, mehr Akzeptanz in der Bevölkerung und schnellere Genehmigungsverfahren geben." Es gibt dieser Tage auch gute Nachrichten für die Bundesregierung und Deutschlands Energiewende.