Gute Pädagogen müssen mit sozialer und kultureller Vielfalt umgehen können. Dafür macht sich Hamburgs früherer Senator der Wissenschaft stark.

Hamburg. Nach den jahrelangen fruchtlosen Debatten über Strukturen und Zuständigkeiten im Schulsystem wird es Zeit, dass wir uns um das kümmern, was wirklich wichtig ist für bessere Bildung: gute Lehrer. Denn Deutschlands Zukunft entscheidet sich im Klassenzimmer.

Schweden sucht den Superlehrer: Der Fernsehsender SVT startet im Jahr 2007 die Doku-Soap "Klasse 9a" - und löst eine landesweite Diskussion über Bildung aus. Denn die Fernsehserie spielt an einer der schlechtesten Schulen Schwedens, der Johannesskolan in Malmö, die wegen der schwachen Leistungen ihrer Schüler von der Schließung bedroht ist. In Schweden ist das neunte Schuljahr das letzte gemeinsame Grundschuljahr. Entsprechend entscheiden die Zeugnisse darüber, ob die Schulkarriere vorerst beendet ist oder in eine weiterführende Schule mündet. In der Johannesschule, die in einem sozialen Brennpunkt liegt, scheiterte in der Vergangenheit die Hälfte der Schüler an der Abschlussprüfung, nicht wenige erschienen gar nicht zum Unterricht.

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Jetzt werden aus schlechten Schülern und Schwänzern Fernsehstars. Vor laufenden Kameras sollen acht Superlehrer der Klasse 9a beibringen, was deren frühere Lehrer ihnen nicht beibringen konnten, und sie innerhalb von nur sechs Monaten zu einer der drei besten Abschlussklassen des Landes machen: ein scheinbar unerreichbares Ziel. Dafür wurden Lehrer aus ganz Schweden ausgewählt, deren Schüler regelmäßig weit überdurchschnittliche Leistungen erbringen. Für das Experiment an der Johannesschule erhalten sie keine zusätzlichen finanziellen Mittel, haben keine anderen Arbeitsbedingungen - mit Ausnahme der Kamera, die immer dabei ist. Das Format stößt auf heftigen Widerstand, die Lehrergewerkschaften laufen Sturm. Aber es lockt jede Woche zuverlässig die Zuschauer vor die Bildschirme.

Sechs Monate später treten die Schüler der Klasse 9a zur Abschlussprüfung an. Das Ergebnis: Die 15- bis 16-jährigen ehemaligen Schulversager haben es geschafft und sich tatsächlich zur drittbesten Klasse des Landes gemausert. Von den acht Lehrern ist Stavros Louca der Star; er unterrichtet Mathematik. In diesem Sorgenfach ist die Klasse von einer abgeschlagenen Position an die Landesspitze gerückt.

Nie zuvor hat ein Experiment eindrucksvoller belegt, wie groß der Einfluss von Lehrern auf die Leistungen ihrer Schüler ist. Oder anders gesagt: An welche Lehrer ein Kind gerät, hat Auswirkungen auf sein gesamtes Leben.

Gute Lehrer machen den Unterschied

Wie wichtig Lehrer für den Lernerfolg der Schüler sind, zeigt auch eine Analyse der PISA-Ergebnisse aus den USA: Während ein guter Lehrer in einem Jahr anderthalb Jahre Lernfortschritt erzielen kann, bringe ein schlechter Lehrer dieselbe Klasse nur ein halbes Jahr voran. Könnten die Vereinigten Staaten die schlechtesten fünf bis zehn Prozent ihrer Lehrer durch durchschnittliche Kräfte ersetzen, lägen sie beim Bildungsniveau gleichauf mit dem PISA-Gewinner Finnland.

All das beweist: Für die Bildung unserer Kinder sind gute Lehrer wichtiger als kleinere Klassen oder eine bessere Ausstattung der Schulen.

Vielfalt in unseren Klassenzimmern - und die Lehrer sollen es richten

Die Herausforderungen des Lehrerberufs sind ohne Zweifel größer geworden in den letzten Jahren. Denn die Vielfalt in deutschen Klassenzimmern wächst, und damit auch die Anforderungen an die Pädagogen. Immer mehr Kinder haben einen Migrationshintergrund, in Hamburg knapp die Hälfte. So treffen in den Grundschulen Kinder unterschiedlichster Abstammung mit den unterschiedlichsten Wertvorstellungen und unterschiedlichsten Deutschkenntnissen zusammen. Aber auch in den Gymnasien nehmen die Unterschiede zu: Heute gehen im Hamburger Westen 70 Prozent der Schüler und mehr aufs Gymnasium, das so zu einer "Gesamtschule der Mittelschicht" wird, in der sich das Leistungsniveau weiter auffächert. Ähnliches gilt auch für die Schulen in den ländlichen Gebieten in Schleswig-Holstein: Dort werden in den nächsten Jahren die Schülerzahlen so massiv sinken, dass die Zusammenlegung verschiedener Schultypen unausweichlich wird.

Zudem wird von Lehrern heute erwartet, dass sie nicht nur bilden, sondern auch erziehen. Die klassische Aufgabenteilung zwischen Schule und Elternhaus - hier Bildung, dort Erziehung - verschwimmt: Die Eltern geben einen immer größeren Teil des Erziehungsauftrags an die Schulen ab, ohne dass die Lehrer dafür ausgebildet sind. Zugleich sind die Eltern unzufrieden mit dem Leistungsniveau ihrer Kinder und bessern durch Nachhilfe nach.

All diese Veränderungen mag man gut oder schlecht finden, in jedem Fall sind sie aber eines: Realität, die wir akzeptieren und mit der wir umgehen müssen. Doch wie können wir es schaffen, dass unsere Lehrer den neuen Anforderungen gerecht werden?

Eine neue Pädagogik

Natürlich gibt es auch heute schon herausragende Pädagogen, die mit der wachsenden Unterschiedlichkeit im Klassenzimmer umzugehen wissen. Vielen Lehrern fehlen jedoch Techniken und Werkzeuge, den Unterricht den neuen Herausforderungen gemäß zu gestalten. Denn einer immer heterogener werdenden Schülerschaft kann ein Lehrer nicht länger mit Frontalunterricht und Faktenwissen begegnen. Er muss die Schüler individuell fördern, sie das selbstständige Lernen lehren. Doch die Pädagogik der Individuellen Förderung haben unsere Lehrer nicht gelernt. Es ist höchste Zeit, dass mehr Praxisbezug in die Lehrerausbildung an unseren Universitäten einzieht. Auch an der Auswahl der Lehrer muss sich etwas ändern. Denn wir bilden in Deutschland oft nicht diejenigen zu Lehrern aus, für die dieser Beruf auch wirklich Berufung ist. So weist ein Viertel der angehenden Lehrer schon vor dem eigentlichen Berufsstart Symptome eines späteren Burn-outs auf. Strikte Auswahlverfahren bereits vor Beginn des Studiums würden hier helfen.

Aber auch eine finanzielle Anerkennung von Engagement und guter Leistung würde dazu beitragen, dass Deutschland motiviertere Lehrer hätte. Es ist schlicht nicht gerecht, dass ein hervorragender Hauptschullehrer grundsätzlich weniger verdient als ein mäßig engagierter Sportlehrer am Gymnasium. Was wir brauchen, sind niedrigere Einstiegsgehälter, dafür größere Aufstiegschancen sowie Zulagen und Boni, die an Leistung und Einsatzort gebunden sind: Ein fleißiger Lehrer verdient so mehr als ein fauler, ein guter mehr als ein schlechter, ein Lehrer in einem schwierigen Milieu mehr als einer, der in einer gehobenen Gegend unterrichtet.

Gesucht wird: jung, engagiert, Migrationshintergrund

Eine bewusste Auswahl der künftigen Lehrer ist auch wünschenswert, um der Eindimensionalität in deutschen Lehrerzimmern zu begegnen. Denn im Umgang mit Heterogenität fehlt vielen Pädagogen schlicht die persönliche Erfahrung:

Die Lehrkräfte sind heute mehrheitlich weiblich, über 50 und haben einen bürgerlichen Hintergrund. Lehrer mit Migrationshintergrund können aber eine Schlüsselrolle für erfolgreiche Integration spielen. Sie haben Erfahrung mit Mehrsprachigkeit, mit kulturellen und religiösen Unterschieden. Zudem lernen die Kinder, dass kulturelle Vielfalt nicht nur unter Schülern normal ist. Damit die Lehrerzimmer genauso bunt werden, wie es die Klassenzimmer heute schon sind, brauchen wir Anreize für Lehramtskandidaten aus Zuwandererfamilien.

Derzeit gehen jedes Jahr 36 000 Lehrerinnen und Lehrer in den Ruhestand, aber nur 26 000 angehende Lehrer verlassen jährlich unsere Hochschulen. Diese Lücke wird kaum zu schließen sein, ohne dass neue Berufsgruppen in den Schulen selbstverständlich werden. Insbesondere in Brennpunktschulen könnten Bildungsberater, Sozialarbeiter, Muttersprachler, Psychologen und Berufstrainer den Lehrern eine Unterstützung sein.

Aber auch an normalen Ganztagsschulen werden zusätzliche Fachkräfte wie Sport- und Musikpädagogen, Freizeit- und Hausaufgabenbetreuer gebraucht. Die Lehrer könnten sich dann besser auf ihre Kernaufgaben konzentrieren: die erfolgreiche Vermittlung von Wissen und Kompetenzen, den engen Draht zu den Eltern und das Verständnis für ihre Schüler.

Schlechtes Image

Von unseren Lehrern hängt für unsere Kinder viel ab: Wer mehrere Jahre von einem schlechten Lehrer unterrichtet wird, gerät in einen massiven Bildungsrückstand. Wer einen tollen Pädagogen erwischt, profitiert davon ein Leben lang. Doch obwohl Lehrer eine der anspruchsvollsten und gesellschaftlich wichtigsten Aufgaben haben, verbinden viele Menschen mit dem Beruf vor allem Beamtentum, sichere Pensionsansprüche, lange Ferien und eine belehrende, in Teilen besserwisserische Art. Das Negativ-Image hat sich längst auch in den Köpfen der Lehrkräfte festgesetzt: Sagt man einem Lehrer, er wirke gar nicht wie ein Lehrer, dann fasst er es als Kompliment auf. Dieses Selbstverständnis muss sich ändern. Denn gute Schule ist guter Unterricht. Und der wird durch gute Lehrer gemacht.