Die Kanzlerin beendet ihre kurze Asienreise mit einem Stopp in Ulan Bator. Hier will sie den deutschen Zugriff auf Seltene Erden sichern

Ulan-Bator. Wenn sich gute Wirtschaftsförderung an der Länge der Anreise bemisst, müsste die deutsche Wirtschaft Blumensträuße ins Kanzleramt schicken. Denn Angela Merkel hat sich zu einer beschwerlichen Reise aufgemacht - mitten in der Euro-Krise bis ans Ende der Welt: Nach dem fernen Vietnam, das sie am Dienstag und Mittwoch besuchte, war gestern die entlegene Mongolei an der Reihe.

Vietnam und Mongolei? Hier der immer noch sozialistische, aber wirtschaftlich zunehmend erfolgreiche Staat mit mehr als 80 Millionen Einwohnern. Dort das nicht mehr sozialistische, aber immer noch bitterarme und fast menschenleere Steppen- und Wüstenreich. Eine Kombination von Reisezielen, die nicht nur wie zufällig wirkt, sondern auch Zufällen geschuldet ist. In Vietnam holte sie einen mehrfach abgesagten Besuch nach. Die Mongolei freute sich bei Merkels Ankunft hingegen über alle Maßen. Von einem "historischen Besuch" sprach Ministerpräsident Sukhbaatar Batbold sogar.

Tatsächlich hatte dieses Land vorher noch nie ein deutscher Kanzler beehrt. Dass sich dies jetzt ändert, hat auch wirtschaftliche Gründe: Es geht um Geschäfte. Noch sind die Ausfuhren des vor allem von Viehzucht und dem Verkauf von Kaschmir lebenden Nomadenvolkes nach Deutschland mit einem Umfang von nur neun Millionen Euro verschwindend gering. Doch liegt unter der kalten Steppe etwas, das bald wichtig wird: seltene Erden - 17 Elemente, die heute schon in jedem Handy und bald auch in jedem Auto mit Elektro- oder Hybridantrieb zu finden sein werden. Für die Industrie werden seltene Erden bald unersetzbar, meinen Experten. Schon jetzt explodieren die Preise. Das Problem liegt jedoch nicht darin; denn der Löwenanteil der begehrten Stoffe könnte bald gar nicht mehr auf den Markt kommen. China, selbst ein Land mit reichen Vorkommen an seltenen Erden, versucht auch Vorkommen in Afrika und anderen Weltgegenden zu monopolisieren. Schon heute beherrscht China mit 95 Prozent an Förderung und Verarbeitung den Markt nahezu komplett. Hier wollte Merkel dagegenhalten und schloss mit der Mongolei ein "Rahmenabkommen" ab, das der deutschen Industrie künftig Zugriff auf seltene Erden sichern soll.

Hier ist jedoch viel Hoffnung im Spiel. Denn bisher gibt es in der Mongolei noch gar keine Förderung der seltenen Erden, zudem werden die Vorkommen hier bislang eher begründet vermutet als sicher gewusst. Noch haben deutsche Geologen die Angaben der Mongolen über die Vorkommen nicht bestätigt. Aber es wäre einfach zu schön: Die seltenen Erden sind so teuer, dass schon der Verkauf von kleinsten Mengen lohnend wäre. Klassische Rohstoffe, vor allem Kohle, hat die Mongolei reichlich - können aber kaum verkauft werden. Das benachbarte China, das alle mongolischen Rohstoffe exklusiv ausbeuten möchte, lässt keine Exporte in Drittländer durch. Der Transport über das große Russland - der andere Nachbar der Mongolei - ist aber so teuer, dass er sich nicht lohnt. Die seltenen Erden hingegen könnte man notfalls mit einem kleinen Frachtflugzeug ausfliegen. Eine andere Idee: Deutsche Technologie soll zur Verflüssigung von mongolischer Kohle genutzt werden, um die erdrückende Abhängigkeit von russischem Erdöl zu mildern.

Die schwierige Nachbarschaft ist das große Problem der Mongolei. Ihr Staatsoberhaupt Tshakhia Elbegdorj hat sich für die prekäre Lage seiner Nation eine fast niedliche Beschreibung ausgedacht: "Die Mongolei ist ein kleines, friedliebendes Pony - zwischen zwei Elefanten." Früher ein sozialistischer Staat an der kurzen Leine des Kremls, fürchtet die Mongolei heute vor allem die Abhängigkeit von China. Als Ausgleich sucht sie deshalb die Nähe zum Westen. Obwohl Präsident Elbegdorj einsehen musste, dass die Mongolei kein Nato-Mitglied werden kann, reiste er im vergangenen Jahr sogar zum Gipfel der Allianz nach Lissabon und versuchte dort, die westlichen Politiker für sich und sein Land einzunehmen. Bei der Kanzlerin hat er dabei tatsächlich einen guten Eindruck hinterlassen. Sie unterstützt seine Politik, neue Partner zu suchen, sehr deutlich: "Die Mongolei ist für uns ein guter Freund und im übertragenen Sinne ein guter Nachbar - im Sinne der Drittnachbarpolitik." Mit diesem Begriff beschreiben die Mongolen ihren Versuch, der erdrückenden Nähe von China und Russland zu entkommen.

Tatsächlich versucht sich die Mongolei sogar durch militärisches Engagement dem Westen als Partner aufzudrängen: So schützt ein mongolischer Infanteriezug das deutsche Feldlager Faisabad im Norden Afghanistans. Anders als die westlichen Nationen will die Mongolei ihr Engagement sogar ausweiten und plant, die Zahl ihrer Soldaten am Hindukusch in diesem Jahr auf 400 zu erhöhen. Für ein Volk von wenig mehr als drei Millionen Einwohnern ein durchaus bemerkenswerter Beitrag. Die Soldaten werden schon jetzt in der Mongolei von deutschen Ausbildern auf ihren Einsatz vorbereitet - einige von ihnen besuchte die Kanzlerin am Nachmittag für ein Foto.

Erst kurz vor ihrer Ankunft hatte Merkel grünes Licht für einen anderen Programmpunkt gegeben: für eine Rede vor dem mongolischen Parlament. Normalerweise meidet die Kanzlerin solche Auftritte - schon um nicht in die Verlegenheit zu kommen, eine Gegeneinladung in den Bundestag aussprechen zu müssen, was gar nicht ihr, sondern dessen Präsidenten Norbert Lammert zustünde. In der Mongolei macht die Kanzlerin aber eine Ausnahme; denn der kleine, gefährdete Staat hat seit 1989 eine bemerkenswerte demokratische Entwicklung genommen. Heute ist die Mongolei die einzige parlamentarische Demokratie in ihrer geopolitischen Nachbarschaft. Die Kanzlerin schrieb ihr sogar "Vorbildfunktion" und eine "Vorreiterrolle" zu. In dem nicht öffentlichen Gespräch mit dem Staatspräsidenten warb Merkel jedoch auch für Reformen: Ein Verhältniswahlrecht nach deutschem Vorbild könnte eine bessere Repräsentation von Minderheiten garantieren. Tatsächlich sind die meisten Abgeordneten Männer und gehören zu einem der zwei auch wirtschaftlich konkurrierenden Machtblöcken. Bei Merkels Rede hatte lediglich ein einzelner Abgeordneter ganz hinten im Plenarsaal stolz ein Fähnchen der Grünen auf sein Pult gepflanzt, um zu zeigen, dass er einer in der Mongolei noch jungen politischen Kraft angehört. Von den mittlerweile drei weiblichen Abgeordneten lauschte nur eine der Rede der Kanzlerin.

Wie stark sich die Mongolei an Europa orientiert, zeigt die Entscheidung des Präsidenten, die Todesstrafe auszusetzen. Merkel bittet in ihrer Parlamentsrede die Abgeordneten darum, die Todesstrafe ganz abzuschaffen.