Am ersten Tag in Deutschland redet Benedikt XVI. den Politikern ins Gewissen. Antworten auf drängende Fragen gibt das Oberhaupt der katholischen Kirche nicht

Berlin. Zwei leere Stühle stehen auf dem kleinen Podest im Garten von Schloss Bellevue. Gut 1200 Gäste, darunter Bischöfe und Kardinäle in vollem Ornat, warten an diesem frühherbstlichen Vormittag. Applaus brandet auf: Eine Maschine der italienischen Alitalia ist auf dem Flughafen Berlin-Tegel gelandet, an Bord Papst Benedikt XVI. - zu sehen auf der Großleinwand, die das Bundespräsidialamt aufgestellt hat.

Der Staatsbesuch des Papstes hat begonnen - und in Berlin läuten die Kirchenglocken. Es ist kein normaler Staatsbesuch, auch wenn die aufmarschierte Ehrenformation der Bundeswehr und die ausgerollten roten Teppiche am Flughafen und im Schloss Bellevue samt der versammelten Politprominenz den Anschein erwecken.

Er sei nicht wie andere Staatsmänner gekommen, um bestimmte politische oder wirtschaftliche Ziele zu verfolgen, sagt Papst Benedikt XVI. in seiner ersten Ansprache bei diesem viertägigen Deutschlandbesuch. Er wolle den Menschen begegnen und mit ihnen über Gott sprechen.

Bundespräsident Christian Wulff, der den Papst um gut einen Kopf überragt, hat das katholische Oberhaupt zuvor herzlich willkommen geheißen "in einem Land, dessen Geschichte und Kultur eng verflochten sind mit dem christlichen Glauben", aber in dem sich der Glaube nicht mehr von selbst verstehe. Wulff würdigt die Verdienste der Kirchen, die unverzichtbar seien, und wirbt um Verständnis für Menschen mit Brüchen. Wie barmherzig gehe die Kirche mit diesen Menschen um?, fragt Wulff, was durchaus auf sich selbst gemünzt sein dürfte. Der Bundespräsident ist geschieden und wieder verheiratet.

Wulff mahnt auch konkrete Verbesserungen im Miteinander von Katholiken und Protestanten an. "Das Trennende zwischen den christlichen Kirchen bedarf der Begründung, nicht das Gemeinsame. Und deswegen haben wir hier noch sehr viel zu tun", sagt er.

Der 84-jährige Papst muss am ersten Besuchstag ein straffes Programm absolvieren. Schon am Flughafen war er kurz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zusammengetroffen. Um die Mittagszeit ist im Haus der Deutschen Bischofskonferenz Zeit für ein halbstündiges Gespräch mit der Kanzlerin. Um Europa und die Finanzkrise geht es. Es werden Geschenke ausgetauscht. Seit Merkel den Papst kritisierte, weil dieser den Holocaust-Leugner Richard Williamson rehabilitierte, ist offensichtlich genug Zeit verstrichen.

Nach dem Gespräch läuft auch für die Bundeskanzlerin nicht alles wie gewohnt: "Ich muss doch noch irgendwo meinen Mann treffen", sagt Angela Merkel und blickt ihre Sicherheitsbeamten fragend an. Diese geleiten die Kanzlerin durch die vielen Gänge der Katholischen Akademie.

In einem kleinen Innenhof am Sitz der Deutschen Bischofskonferenz erzählt Merkel von ihrem Treffen mit dem Papst, auch ihr Ehemann Joachim Sauer ist dazugekommen. Die Kanzlerin steht vor einer Marienstatue, schräg über ihr - auf dem Dach der Akademie - liegen Scharfschützen. Das Gebäude ist weiträumig abgesperrt, Delegationen können nur im Laufschritt mit den Sicherheitsbeamten Schritt halten.

Als Geschenk hat Merkel dem Papst ein Notenblatt mit gregorianischen Gesängen aus einem deutschen Messbuch aus dem 14. bis 17. Jahrhundert überreicht. Der Papst revanchiert sich mit einer Majolika, einer Keramik, verziert mit einem Brunnenmotiv aus den vatikanischen Gärten. Vor dem Besuch hatte es Irritationen über den Ort des Treffens gegeben. Merkel wollte Benedikt gerne im Kanzleramt empfangen, der Papst bevorzugte die Nuntiatur in Neukölln, seine Botschaft in der Hauptstadt. Die Wahl fiel dann auf einen neutraleren Ort.

Dann folgt der Termin, der mit der größten Spannung erwartet worden war: Die Rede im Bundestag. Die meisten Abgeordneten heißen das Kirchenoberhaupt stehend und mit viel Applaus willkommen. Lediglich einige Dutzend der 620 Parlamentarier - deutlich weniger als angekündigt - sind ferngeblieben, weil sie den Auftritt des Papstes für unvereinbar mit der religiösen Neutralität des Staates halten.

Benedikt redet den Politikern ins Gewissen. Nicht Erfolg und schon gar nicht materieller Gewinn dürfe der Grund für ihre Arbeit sein: "Die Politik muss Mühen um Gerechtigkeit sein und so die Grundvoraussetzung für Friede schaffen", sagt er. Alle Themen, die vor dem Papstbesuch in Deutschland heftig diskutiert worden sind, der Missbrauchsskandal, der Umgang mit Frauen, Geschiedenen und Homosexuellen in der katholischen Kirche, der Zölibat, die Ökumene, sie kommen in dieser Papst-Rede vor dem Deutschen Bundestag nicht vor.

Dafür geht es völlig unerwartet auch um Ökologie - zur Freude der Grünen. Der Papst appelliert an die Politiker, die ganze Weite der Welt zu sehen und nicht nur die rationalen Mechanismen, nach denen sie angeblich funktioniere. Die ökologische Bewegung sei "wie ein Schrei nach frischer Luft gewesen", sagt er, und die Grünen applaudieren. Es sei wohl klar, dass er nicht Propaganda für eine bestimmte politische Partei mache - das liege ihm völlig fern, setzt Benedikt hinzu und bringt das Plenum damit zum Lachen.

Von den mehreren Tausend Demonstranten, die nicht in die Nähe des Reichstags vorgelassen wurden, bekommt der Papst nichts mit. Er ist bei einem Treffen mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland und hebt dort die große Nähe von Christentum und Judentum hervor. "Das Heil kommt nun einmal von den Juden", zitiert Benedikt die Bibel. Der biblische Jesus war Jude.

Und als der Demonstrationszug noch weiter anschwillt, ist das Kirchenoberhaupt schon längst auf dem Weg ins Olympiastadion.