Deutschland hat zu wenig Uniabsolventen und gerät international ins Abseits, kritisiert eine neue OECD-Studie. Doch ganz so schlimm ist die Lage nicht

Berlin. Eine große Überraschung waren die Zahlen nicht, die die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die OECD, gestern veröffentlichte. Wie bereits in den Vorjahren schneidet Deutschland in der Studie "Bildung auf einen Blick" in vielen Feldern nur unterdurchschnittlich ab. Andere Länder investieren mehr Geld in Bildung, entlassen mehr Hochschulabsolventen auf den Arbeitsmarkt oder haben eine höhere Studienanfängerquote. Zum Teil rast das Ausland nur so davon, während die Bundesrepublik ins Hintertreffen gerät.

Dabei hat sich etwa die Zahl der Uniabsolventen von 1995 bis 2009 sogar verdoppelt: Statt 14 Prozent verfügen nun 28 Prozent der 25- bis 64-Jährigen über einen Hochschulabschluss. Die anderen Industrienationen allerdings wuchsen ebenfalls: Der OECD-Durchschnitt liegt jetzt sogar bei 38 Prozent, zuvor noch bei 20 Prozent. Niedrigere Quoten als in Deutschland gibt es nur noch in Spanien, Slowenien, die Türkei und Mexiko. Innerhalb eines halben Jahrhunderts hat sich Deutschland damit nur minimal verbessert. Vor 50 Jahren, so die OECD, hatte jeder fünfte junge Erwachsene einen Uniabschluss oder auch einen Meisterbrief.

In der Altersgruppe von 55 bis 64 Jahren, die jetzt aus dem Erwerbsleben ausscheidet, stellt Deutschland noch 6,3 Prozent des Angebots an hoch qualifizierten Kräften in den Industrieländern insgesamt. In der jüngeren Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen, die jetzt in den Arbeitsmarkt eintritt, sind dies jedoch nur noch 3,1 Prozent - also nur noch einen halb so großen Anteil an Toptalenten. Das liege jedoch auch daran, dass aufstrebende Volkswirtschaften wie China im weltweiten Talentpool immer stärker ins Gewicht fallen würden, so Andreas Schleicher, Chef der Bildungsabteilung der OECD.

Auch bei dem finanziellen Aufwand für die deutsche Bildungslandschaft sieht es aus Sicht der Experten düster aus: 1995 gab Deutschland 5,1 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Bildung aus. 2008 waren dies laut Bericht 4,8 Prozent. Der OECD-Schnitt lag in diesem Jahr bei 5,9 Prozent. Deutschland belegt damit Platz 30 unter 36 Industrienationen. Hier allerdings sind die Zahlen auch immer eine Frage der Statistik "Die Kennzahl der Bildungsausgaben gemessen an der Wirtschaftsleistung ist nur bedingt aussagekräftig", meint etwa Axel Plünnecke, Bildungsexperte vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Immerhin sei die Anzahl der Schüler je nach demografischer Struktur in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. "In Deutschland haben wir im Moment eine deutlich niedrigere Geburtenrate als anderswo, deshalb sind hier auch die Bildungsausgaben im Vergleich niedriger", sagte er dem Abendblatt.

Johanna Wanka, niedersächsische Wissenschaftsministerin, setzt deshalb wie auch das Bundesbildungsministerium auf eine andere Kennziffer: den Anteil der Bildungsausgaben an allen öffentlichen Ausgaben. Demnach stieg der finanzielle Aufwand für den Bildungsbereich zwischen 1995 und 1998 von 8,6 auf 10,4 Prozent - ein überdurchschnittliches Wachstum. Gemeinsames Ziel von Bund und Ländern sei jedoch unverändert, die Ausgaben für Bildung und Forschung bis zum Jahr 2015 auf zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu erhöhen, betonte CDU-Politikerin Wanka.

Geht es nach IW-Experte Plünnecke, sollten auch die Ergebnisse zur stotternden Ausbildung Hochqualifizierter mit Vorsicht genossen werden. "Bei den Zahlen der OECD darf man eines nicht vergessen: Das in Deutschland sehr gute duale Ausbildungssystem wird hierbei nicht mitgezählt, bringt aber jedes Jahr sehr viele hoch qualifizierte Leute hervor", stellt er klar. "Wir haben bei uns Fachkräfte, die auch außerhalb der Unis ausgebildet werden." So seien etwa viele Industriekaufleute in Deutschland durchaus mit Bachelor-Absolventen in anderen Ländern zu vergleichen. "Wir haben zwar weniger Akademiker als andere Länder, aber dafür nicht weniger Hochkompetente", betonte Plünnecke. Das ließe die OECD außer Acht. "Die Situation in Deutschland sieht auf den ersten Blick mangelhaft aus, ist es aber im Kern nicht."

Auch in anderen Bereichen hat sich seit dem PISA-Schock vor zehn Jahren eine Menge getan: Die Länder haben sich auf gemeinsame Bildungsstandards in den Schulen verständigt. Die Zahl der Schüler ohne Abschluss geht zurück - wenn auch nur langsam. Mit dem Hochschulpakt unterstützt der Bund mit vielen Milliarden den Ausbau zusätzlicher Studienplätze für die geburtenstarken Jahrgänge. Erst am Montag verkündete das Statistische Bundesamt eine Rekordzahl neu eingeschriebener Studenten.

Ein weiteres Manko machte die OECD-Studie jedoch bei der Förderung im sogenannten Primarbereich, also bei den Grundschulen aus. Hier sind die Bildungsausgaben pro Schüler, die auch Experte Plünnecke als wichtige Größe ansieht, im internationalen Vergleich relativ niedrig. Exakt 5929 US-Dollar (4330 Euro) werden in Deutschland pro Jahr für einen Grundschüler ausgegeben - im OECD-Durchschnitt sind es 7153 US-Dollar (5224 Euro). Spitzenreiter Luxemburg erreicht fast das Doppelte. Die Folge für die Bundesrepublik: Die Klassen sind größer und mehr Schüler kommen auf eine Lehrkraft. "Andere Länder investieren deutlich mehr in Ganztagsschulen, da haben wir noch einen Nachholbedarf", mahnte Plünnecke. "Auch bei den Kindergärten und der Betreuung der Ein- bis Dreijährigen müssten wir mehr investieren."