SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier über Koalitionen der Zukunft, die K-Frage und den Umgang der FDP mit Guido Westerwelle.

Berlin. Das Schlingern der schwarz-gelben Koalition beflügelt die Hoffnung der Sozialdemokraten, selbst wieder zu regieren. Im Abendblatt-Interview analysiert SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, warum es für seinen Nachfolger im Auswärtigen Amt gar nicht gut läuft.

Hamburger Abendblatt: Herr Steinmeier, ist Westerwelle als Außenminister so schlecht, wie seine Parteifreunde glauben?

Frank-Walter Steinmeier: Westerwelle war lange Parteivorsitzender. Mit der Außenpolitik ist er nicht wirklich verwachsen, und das spüren die Menschen. Ich bezweifle allerdings, dass alle Kämpfe in der FDP etwas mit der Außenpolitik zu tun haben. Rösler und Lindner sind ihm nachgelaufen, solange er Erfolg hatte. Es geht auch um die neue Hackordnung nach Westerwelle. Niemals in der Geschichte der Bundesrepublik ist ein amtierender Außenminister von seiner eigenen Partei so brutal unglaubwürdig gemacht worden wie Guido Westerwelle.

Haben Sie Mitleid mit Ihrem Nachfolger?

Steinmeier: Es ist vor allem schade für das Amt, das im Lauf der Jahrzehnte zu einem der einflussreichsten im Bundeskabinett geworden ist. Jetzt verliert es Monat für Monat an Bedeutung. Der Glaubwürdigkeitsverlust hat früh begonnen. Er hat damit zu tun, dass Westerwelle die Aufgaben einer Regierung unterschätzt hat. Er war Repräsentant einer lautstarken Opposition, aber nicht vorbereitet auf das Regieren. Westerwelle hat leider nie verstanden, dass Regierungsämter mit Substanz und Verantwortung ausgefüllt werden müssen - und nicht mit Rhetorik und Polemik.

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Muss Westerwelle zurücktreten?

Steinmeier: Ich bin nicht Ratgeber dieser Regierung. Bei so viel Chaos wird aber ein einzelner Rücktritt nicht ausreichen, um Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen.

Das Bundeskabinett hat für die Erweiterung des Euro-Rettungsschirms gestimmt. Der richtige Weg zur Stabilisierung der gemeinsamen Währung?

Steinmeier: Als größte Volkswirtschaft der Euro-Zone hat Deutschland das größte Interesse an der Stabilisierung der gemeinsamen Währung. Dazu ist das Paket zur Ausweitung des Rettungsschirms eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung. Das Kabinett hat ein Gesetz vorgelegt, das alle Regeln zur Parlamentsbeteiligung gezielt ausspart. Hier will man mit den Regierungsfraktionen hinter den Kulissen schachern. Aber so kann es nicht gehen. Wenn das Kabinett selbst keine Entscheidung trifft, dann entscheidet das Parlament als Ganzes unter Beteiligung der Oppositionsfraktionen über den Umfang der Parlamentsbeteiligung. Das erwarte ich jetzt.

Was bedeutet das für die Abstimmung im Bundestag?

Steinmeier: So schlecht diese Regierung ihre Aufgaben auch erfüllt: Wir werden nicht mutwillig und aus purer Oppositionslust zu Fall bringen, was wir europäisch für erforderlich halten. Dazu steht zu viel auf dem Spiel. Ob die SPD-Fraktion der Ausweitung des Rettungsschirms im Bundestag zustimmt, hängt allerdings davon ab, ob die Rechte des Parlaments gewahrt bleiben.

Welche Bedingungen stellen Sie konkret?

Steinmeier: Wir brauchen eine Balance in den Beteiligungsrechten. Auf der einen Seite darf das vornehmste Recht des Parlaments, das Budgetrecht, nicht infrage gestellt werden. Auf der anderen Seite dürfen Vetopositionen das Funktionieren des Stabilitätsfonds nicht infrage stellen. In dringenden Fällen müssen Entscheidungen innerhalb von Tagen und nicht von Monaten getroffen werden.

Merkel und Sarkozy haben sich für eine europäische Wirtschaftsregierung ausgesprochen. Eine Etappe zu den Vereinigten Staaten von Europa?

Steinmeier: Zunächst brauchen wir eine stärkere Steuerung der Wirtschaftspolitik, um den Euro zu retten. Es kann nicht sein, dass ein Land wie Island jahrelang Steuerdumping betreibt, daran pleitegeht und dann auf Hilfe der Gemeinschaft angewiesen ist. Solche Fehlentwicklungen müssen wir dringend beseitigen.

Indem wir Europa vereinigen?

Steinmeier: Sie spielen auf die CDU-Debatte an. Nicht nur ich habe den Eindruck, dass es Frau von der Leyen weniger um die Vereinigten Staaten von Europa geht als um ihre eigene Zukunftsvorsorge. Da hat wohl jemand die Debatte über die Zeit nach Merkel eröffnet! Genauso ist das in der Union auch verstanden worden.

Herr Steinmeier, am Sonntag wählt Mecklenburg-Vorpommern. Werben Sie für die rot-schwarze oder für eine rot-rote Landesregierung?

Steinmeier: Ich werbe nicht für eine Koalition. Ich werbe für eine starke SPD in Mecklenburg-Vorpommern. In der letzten Woche habe ich im Wahlkampf miterleben können, wie stark die Sozialdemokraten an der Ostseeküste geworden sind. Es ist gut, wenn Erwin Sellering am Ende zwischen mehreren Koalitionspartnern wählen kann. Die Entscheidung, mit wem die SPD am meisten sozialdemokratische Politik durchsetzen kann, fällt in Schwerin.

Wie bewerten Sie die Regierungsfähigkeit der Linkspartei?

Steinmeier: Im Bund unternimmt die Linkspartei alles, um sich mit Siebenmeilenstiefeln von jedem Minimum an Regierungsfähigkeit zu entfernen. Ich bin fest davon überzeugt: Die Linke hat ihren Zenit hinter sich. Sie hat weder die Führung noch das Programm, um ihren Niedergang aufzuhalten.

Rot-Rot-Grün kann es nach der Bundestagswahl demnach nicht geben.

Steinmeier :Ich habe 2009 als Kanzlerkandidat eine Koalition mit der Linkspartei klar ausgeschlossen. Und ich habe nicht den Eindruck, dass sie seither koalitionsfähiger geworden ist.

Olaf Scholz schaffte in Hamburg mit einem wirtschaftsfreundlichen Wahlkampf die absolute Mehrheit. Der richtige Ansatz auch für den Bund?

Steinmeier: Olaf Scholz ist ein außerordentlich fähiger und verlässlicher Politiker, der jahrelang auf Bundesebene bewiesen hat, wie man seinen Laden in Ordnung hält. Diese Qualität braucht Hamburg, und die haben die Hamburger belohnt. Ich freue mich, dass die SPD in der Hansestadt mit dem Programm einer Volkspartei angetreten ist: keine ideologische Überfrachtung, kein verengter Blick nur auf die eigene Wählerklientel, sondern der Blick aufs Ganze! Olaf Scholz hat in Hamburg wirtschaftliche Vernunft und soziale Balance zusammengebracht. Das ist ein Erfolgsrezept!

Was bedeutet das für die Steuerpolitik?

Steinmeier: Wir leben in einer Zeit, in der nicht haltlose Steuersenkungsversprechen erwartet werden, sondern Ehrlichkeit und Substanz. Zur Wahrheit gehört, dass nicht nur Griechenland und Spanien, sondern auch wir uns von einer Politik wachsender Schulden verabschieden müssen. Wir müssen die Haushalte konsolidieren und dürfen dennoch die Bildung unserer Kinder nicht vernachlässigen. Wer das ernst nimmt, darf doch in der jetzigen Situation nicht Steuersenkungen versprechen. Das ist unverantwortlich, das ahnen die Menschen!

Sie wollen die Steuern erhöhen.

Steinmeier: Umgekehrt wird doch ein Schuh draus: Wenn richtig ist, dass wir unsere Verschuldung zurückführen müssen, und wenn gleichzeitig richtig ist, dass wir bessere Schulen und moderne Infrastruktur brauchen - dürfen wir dann den Spitzensteuersatz tabuisieren? Ich finde: nein. Und das spüren doch ganz offenbar Michael Otto, Marius Müller-Westernhagen und andere, die öffentlich ihre Bereitschaft als Spitzenverdiener für höhere Belastung erklärt haben. Da wissen doch verantwortungsvolle Menschen, dass das Oben und Unten in unserer Gesellschaft nicht weiter auseinanderdriften darf. Zukunft wird unsere Gesellschaft haben, wenn wir sozialen Zusammenhalt wahren. Wer das vergisst, verliert die Menschen. Der Blick in einige englische Großstädte in diesem Sommer sollte uns Lehre genug sein.

Die SPD sucht einen Kanzlerkandidaten, und das größte Vertrauen in der deutschen Politik genießt - glaubt man Umfragen - Peer Steinbrück. Freut Sie das?

Steinmeier: Ich habe eher den Eindruck, dass viele Journalisten aus Verzweiflung über diese Regierung händeringend nach Alternativen suchen. Und es ist gut, dass sie bei der SPD fündig werden. Mich freut es, dass in Deutschland nur noch darüber diskutiert wird, welcher Sozialdemokrat Kanzler wird ...

... es geht eher um den Kanzlerkandidaten. Ist eine Vorentscheidung für Steinbrück gefallen?

Steinmeier: Ich verspreche Ihnen: Wir werden es mitteilen, wenn die Entscheidung gefallen ist.