Noch halten Liberale und Kanzlerin zum Außenminister. Doch ihr Vertrauen in den Ex-FDP-Chef ist beschädigt. Rücktritt steht im Raum.

Berlin. Wie nervös eine Partei ist, zeigt sich vor allem dann, wenn Termine kurzfristig verschoben oder gleich abgesagt werden, wenn um jeden Preis Situationen vermieden werden sollen, in denen weitere Äußerungen alles nur noch schlimmer machen würden, als es ohnehin schon ist. Die krisengeprüfte FDP ist momentan also ziemlich nervös. Ihr Generalsekretär Christian Lindner sagte am Morgen eine Routine-Pressekonferenz ab. "Terminschwierigkeiten", hieß es aus der Partei. Nur glauben wollte das gestern niemand. "Personalschwierigkeiten" traf es eher.

Das Problem der FDP heißt weiter Guido Westerwelle. Nachdem am Wochenende die Diskussion über die politische Zukunft des Außenministers neu aufgeflammt war und Parteichef Philipp Rösler längst kein Wort des Lobes mehr für seinen Amtsvorgänger findet, gilt Westerwelle als Minister auf Abruf. Rösler machte deutlich, Westerwelle müsse sich wie alle FDP-Minister bewähren. "Es war meine wohl überlegte Entscheidung, uns mit diesem Team in der Bundesregierung zu bewähren; das gilt auch für den Bundesaußenminister", sagte der FDP-Chef der "Rheinischen Post". Spät, in den Augen vieler Parteifreunde zu spät, hatte sich der Außenminister durchgerungen, den Nato-Einsatz in Libyen zu würdigen. Zu lange hatte er aus Koalitionssicht nach dem Einmarsch der libyschen Rebellen in Tripolis die von Deutschland betriebenen Sanktionen als bedeutenden Beitrag zum Umsturz dargestellt. Erst musste Rösler diese Deutung revidieren, dann tat es auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Wäre Westerwelle am Wochenende nicht von seiner Ursprungsthese abgerückt, er wäre wohl nicht mehr zu halten gewesen.

+++ „Es kann nicht sein, dass der Schwanz mit dem Hund wedelt" +++

Der beschädigte Außenminister schweigt noch zu seiner Zukunft - vorerst. Die Gerüchte um seinen vorzeitigen Rücktritt müssen erst einmal andere kleinreden. Sein Ministeriumssprecher nannte gestern entsprechende Medienberichte "frei erfunden". Und dass Rösler bereits den bisherigen Staatsminister im Auswärtigen Amt, Werner Hoyer, als Nachfolger im Auge habe - "Unsinn". Regierungssprecher Steffen Seibert verneinte pflichtschuldig die Frage, ob die Kanzlerin sich Sorgen über die weitere politische Karriere des Außenministers mache. Merkel arbeite "vertrauensvoll" mit Westerwelle zusammen, sagte er.

Wie viel Vertrauen Westerwelle noch in seinem eigenen Haus entgegengebracht wird, darüber kursieren allerdings die unterschiedlichsten Deutungen. Der Applaus der 207 deutschen Botschafter und Generalkonsule blieb zumindest verhalten, als Westerwelle gestern die Botschafterkonferenz im Auswärtigen Amt eröffnete. Und der Applaus war umso kräftiger, als Westerwelles französischer Amtskollege Alain Juppé in seiner Gastrede betonte, dass durch die militärische Intervention der Nato in Libyen ein Blutvergießen verhindert worden sei. Auf die von Westerwelle zuletzt hervorgehobenen internationalen Sanktionsmaßnahmen ging Frankreichs Außenminister gar nicht erst näher ein.

Westerwelle konnte danach gar nicht anders, als noch einmal den Nato-Partnern beim Libyen-Einsatz seinen "Respekt" zu zollen. "Wir sind froh, dass die Herrschaft des Gaddafi-Regimes zu Ende ist", sagte er. "Gerade weil wir die Chancen und Risiken anders abgewogen haben, gilt unser Respekt dem Beitrag Frankreichs und unserer Verbündeten bei der Durchsetzung der Sicherheits-Resolution 1973." Deutschland sei auch künftig bereit, internationale Verantwortung zu übernehmen. Dazu könne als Ultima Ratio auch der Einsatz von militärischer Gewalt gehören. Grundsätzlich solle aber weiterhin eine "Kultur der militärischen Zurückhaltung" gelten.

Es sind Sätze wie diese, die Westerwelle vorerst im Amt halten könnten. Die Opposition hat ihr Urteil dennoch schon gefällt. Führende Politiker von SPD und Grünen sehen seinen Rücktritt als überfällig an. Wer wie Westerwelle den Patriotismus groß auf seine Fahnen schreibe, "sollte jetzt der deutschen Politik einen Dienst tun", sagte etwa Grünen-Parteichefin Claudia Roth. Auf Nachfrage bestätigte sie, dass sie damit den sofortigen Rücktritt des FDP-Politikers meinte. Der Grünen-Kovorsitzende Cem Özdemir verglich die deutsche Außenpolitik mit einer "Leerstelle". SPD-Fraktionsvize Gernot Erler sprach von einer "galoppierenden Demontage eines Ministers" durch seine eigene Partei.

Ausgerechnet CSU-Chef Horst Seehofer, eher bekannt als Westerwelle-kritisch, bemühte sich, für Ruhe zu sorgen. "Wir wollen, dass jedes Mitglied der Bundesregierung stark ist." Dies sei "der Fall", sagte der bayerische Ministerpräsident in München. Auch sei es sein fester Vorsatz, dass innerhalb des "bürgerlichen Lagers" nicht öffentlich übereinander diskutiert werde. Da aber hatte sich schon der CSU-Europaabgeordnete Bernd Posselt eingemischt und die Hoffnung geäußert, in Zukunft möge es wieder einen Außenminister der Unionsparteien geben.

Diese Debatte müsse aufhören, forderte der Hamburger FDP-Bundestagsabgeordnete Burkhardt Müller-Sönksen. "Auch wenn nicht jeder die Entscheidung des Außenministers mitgetragen hat, sich in der Libyen-Frage im Uno-Sicherheitsrat zu enthalten, haben sich am Ende doch große Teile der Koalition hinter ihn gestellt", sagte er dem Abendblatt. "Die FDP sollte lieber Westerwelles Erfolge hervorheben, statt ihn erneut zu kritisieren."

So jedenfalls hat sich die FDP nicht den Abschied aus der Sommerpause vorgestellt. Wenn sich die Bundestagsfraktion von heute an zur Herbstklausur auf Schloss Bensberg in Nordrhein-Westfalen trifft, spielen Inhalte wieder einmal eine Nebenrolle. Eigentlich wollen die FDP-Abgeordneten über die Strategie der kommenden Monate beraten, von der Euro-Rettung über Steuern, Bildung bis hin zu Bürgerrechten. Aber wen interessieren diese Strategien, wenn die Liberalen wegen ihres wichtigsten Ministers nur noch Kopfschütteln ernten? Die Frage, wie lange sie Westerwelle noch stützen will, wird die FDP sicher noch länger beantworten müssen.