Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) spricht über die Führung der Linkspartei und die brennenden Autos in Großstädten.

Berlin. Die Umfragen sehen die SPD von Klaus Wowereit klar vor Renate Künast und den Grünen. Der Regierende Bürgermeister kann sich eine Fortsetzung der rot-roten Koalition nach der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus vorstellen - obwohl sich die Parteispitze der Linken im Bund nach Kräften blamiert.

Herr Wowereit, nehmen Sie schon Glückwünsche entgegen?

Klaus Wowereit: Wir sind mitten im Wahlkampf, es muss gekämpft werden bis zum 18. September. Die SPD muss so stark werden, dass gegen sie keine Regierung gebildet werden kann. Dazu braucht es noch einen guten Endspurt.

Wäre Renate Künast eine gute Stellvertreterin?

Wowereit: Frau Künast selbst hat erklärt, dass sie Stellvertreterin nicht werden will. Ich werde sie nicht davon abhalten, sich wieder auf den Bundestag zu konzentrieren.

In der SPD wachsen Zweifel an der Regierungsfähigkeit der Linken. Warum nicht bei Ihnen?

Wowereit: Das wäre ja auch merkwürdig. Wie sollte ich nach zehn Jahren gemeinsamer Regierungsarbeit an der Regierungsfähigkeit der Linkspartei auf Landesebene zweifeln?

Die Bundesvorsitzende Ihres Koalitionspartners sucht nach Wegen zum Kommunismus, rechtfertigt die Mauer als logische Folge des Zweiten Weltkriegs und huldigt Fidel Castro zum 85. Geburtstag. Können Sie da zur Tagesordnung übergehen?

Wowereit: Da haben einige nichts gelernt aus der Geschichte. Ich habe am 13. August, dem 50. Jahrestag des Mauerbaus, deutliche Worte gegen die Verklärung der Berliner Mauer gewählt, und das ist in der Stadt auch verstanden worden. Der Geburtstagsgruß an Fidel Castro ist aus dem Schatzkästchen von Ewiggestrigen. Da muss vieles an Frau Lötzsch und Herrn Ernst vorbeigegangen sein. Der Berliner Landesverband hat sich klar von diesem Quatsch distanziert.

Bleibt die Linkspartei Ihr Wunschpartner?

Wowereit: Mir geht es nicht um Wunschpartner, sondern um die Frage, mit wem wir am meisten sozialdemokratische Politik umsetzen können. Ob das mit der Linkspartei, mit den Grünen oder mit der CDU der Fall ist, werden wir sehen - in den Sondierungsgesprächen nach der Wahl.

Was wird Ihre wichtigste Forderung sein?

Wowereit: Wer unser Koalitionspartner werden will, muss bereit sein, ohne Wenn und Aber in die Infrastruktur der Stadt zu investieren. Beim Thema Flughafen darf nicht gewackelt werden. Der neue Airport Berlin-Brandenburg Willy Brandt muss ein internationaler Flughafen sein, der auf Expansion ausgelegt ist - und kein Provinzflughafen.

SPD-Chef Gabriel sagt, jeder gewählte sozialdemokratische Ministerpräsident sei ein möglicher Kanzlerkandidat. Stimmt das?

Wowereit: Dazu ist alles gesagt. Die Entscheidung über die Kanzlerkandidatur fällt Ende 2012.

Einige Regierungschefs - auch Olaf Scholz in Hamburg - haben sich selbst aus dem Rennen genommen. Würden Sie sich zutrauen, Angela Merkel herauszufordern?

Wowereit: Ich kandidiere für das Amt des Regierenden Bürgermeisters. Das ist meine Aufgabe.

Können Sie sich vorstellen, dass der Kandidat in Vorwahlen nach US-Vorbild bestimmt wird?

Wowereit: Wir diskutieren das Thema Vorwahlen und Beteiligung von Nichtmitgliedern im Rahmen der Parteireform. Die Entscheidung, ob wir diese Möglichkeit schaffen, fällt auf unserem Bundesparteitag im Dezember.

Was finden Sie gut an Kanzlerin Merkel?

Wowereit: Persönlich schätze ich sie. Frau Merkel hat durchaus eine gewisse Eigenironie und kann auch ganz locker sein. Politisch sind wir natürlich Gegner. In der Großen Koalition konnte sie sich auf SPD-Minister stützen. Doch in der heutigen Konstellation hat sie wenig Hilfe. Mit dieser Boygroup von der FDP ist sie weitgehend auf sich selbst gestellt. Alleine kann Frau Merkel es nicht, das sieht man deutlich.

Ist eine Neuauflage der Großen Koalition denkbar?

Wowereit: In den Umfragen gibt es eine klare Mehrheit für Rot-Grün. Eine Große Koalition steht nicht auf der Tagesordnung.

Merkel will kleinere und mittlere Einkommen entlasten. Das müsste einem SPD-Politiker gefallen ...

Wowereit: Konkrete Vorschläge hat sie nicht gemacht. Und es gibt derzeit auch keinen Spielraum, dem Staat Finanzkraft zu entziehen. Was nutzt es den Menschen, wenn sie ein paar Euro weniger Steuern zahlen - und dafür der Kindergarten in ihrem Viertel schließen muss? Die SPD wird Steuersenkungen im Bundesrat ablehnen.

Die SPD will mit Steuererhöhungen in den Wahlkampf ziehen. Ein Erfolgsrezept?

Wowereit: Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, den Spitzensteuersatz auf 49 Prozent zu erhöhen. Auch die Gutverdiener müssen ihren Beitrag leisten.

Herr Wowereit, warum gehen in Berlin fast täglich Autos in Flammen auf?

Wowereit: Wir haben das ja auch in Hamburg und anderen Städten erlebt. Anfangs wurde das von manchen mit einer politischen Botschaft verbunden, was natürlich nie eine Straftat entschuldigen kann: Man wolle das Eigentum von Reichen zerstören. Heute scheint eher eine Mischung aus Pyromanen und Randalierern unterwegs zu sein. Diese Taten sind vergleichsweise leicht zu begehen, und das Ertappen auf frischer Tat ist extrem schwierig. Wir haben es mit einem ernsten Problem zu tun, das aber nicht so einfach zu lösen ist.

Worauf kommt es jetzt an?

Wowereit: Die Polizei muss konsequent und professionell vorgehen, und die Bürgerinnen und Bürger müssen zur Mithilfe animiert werden. Sie müssen wachsam sein, aber nicht im Sinne eines Denunziantentums. Sie sollen sich auch nicht um ihren Schlaf bringen und die ganze Nacht am Fenster stehen. Aber Menschen zum Beispiel, die später nach Hause kommen oder sehr früh arbeiten müssen, sollten schon ein wachsames Auge haben und die Polizei lieber einmal zu viel als zu wenig anrufen.

Sind Ausschreitungen wie in London auch in Berlin vorstellbar?

Wowereit: Ich sehe bei uns keine soziale Auseinandersetzung im Hintergrund, sondern schlicht kriminelle Brandstiftung. Wenn es aber jenseits der aktuellen Autozündler eine Lehre gibt aus London oder auch Paris, dann ist es die: Wir müssen rechtzeitig aktive Arbeit leisten, damit Wohnquartiere nicht zu Slums werden. In Berlin tun wir das seit Jahren, etwa durch unser Quartiermanagement in sozial belasteten Vierteln.

In Madrid hat der Besuch des Papstes gewaltsame Proteste ausgelöst. Im September kommt Benedikt XVI. nach Berlin. Können Sie ihn vor solchen Szenen bewahren?

Wowereit: Berlin heißt den Papst herzlich willkommen. Er wird sicher großen Zuspruch bekommen. Ich freue mich auf den Besuch. Gleichwohl: Die katholische Kirche hat eindeutige Positionen zu gesellschaftlichen Themen, die in einer Stadt wie Berlin höchst umstritten sind. Es gehört zu einer Demokratie, dass Andersdenkende ihre Meinung kundtun können - auch anlässlich eines Papst-Besuches. Selbstverständlich friedlich.

Macht es für Sie persönlich einen Unterschied, ob der Papst kommt oder der Dalai Lama?

Wowereit: Der Papst ist offizieller Staatsgast, der Dalai Lama nicht.

Wenn es in Deutschland zu Krawallen kommt, dann meist in Berlin und in Hamburg. Woran liegt das?

Wowereit: Die großen Städte sind immer auch Seismograf für gesellschaftliche Entwicklungen - im Positiven wie im Negativen. Dort zeigen sich Konflikte eher als im ländlichen Raum.

In Hamburg regiert seit einigen Monaten Olaf Scholz. Was können Sie von ihm lernen?

Wowereit: Olaf Scholz hat im Wahlkampf - wie wir - sehr konsequent das Thema Wirtschaft in den Mittelpunkt gestellt. Und auch er hat deutlich gemacht, dass es ein Teil der sozialen Gerechtigkeit ist, Arbeitsplätze zu schaffen. Sie sehen also: Wir denken beide sehr sozialdemokratisch.

Scholz und andere norddeutsche SPD-Regierungschefs pflegen einen nüchterneren Stil als Sie. Könnte man damit in der Hauptstadt erfolgreich sein?

Wowereit: (lacht) Berlin war ja auch mal Hansestadt. Insofern kennen wir uns mit der hanseatischen Mentalität ein bisschen aus.