War SED-Chef Walter Ulbricht die treibende Kraft beim Bau der Mauer? Oder traf allein der sowjetische Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow die Entscheidung? Im Vorfeld des 50. Jahrestages des Mauerbaus ist dieser Streit neu entflammt.

Nach Meinung der amerikanischen Historikerin Hope Harrison war es der SED-Chef, der den Mauerbau bei der sowjetischen Führung durchsetzte, und zwar gegen deren Willen. Für ihr Buch "Ulbrichts Mauer" hat die Zeitgeschichtlerin der George Washington University alle verfügbaren Akten in Berlin und Moskau eingesehen. Sie gelangt zu dem Schluss, dass Ulbricht Chruschtschow vor allem mit dem Hinweis auf das Ausbluten der DDR unter Druck gesetzt habe.

Der Berliner Historiker Manfred Wilke hingegen kommt in seinem neuen Buch "Der Weg zur Mauer" zum gegenteiligen Ergebnis. Wilke, der Mitglied der Enquetekommission des Bundestages zur Geschichte der SED-Diktatur ist, hat ebenfalls lange unter Verschluss gehaltene Akten deutscher und sowjetischer Archive studiert. Vor allem auf Grundlage der Protokolle der Gespräche zwischen dem ostdeutschern und dem sowjetischen Parteichef hat er Belege dafür gefunden, dass es allein Chruschtschows Entscheidung gewesen ist, Ost-Berlin mit der Mauer abzuriegeln.

Vielleicht gab es aber in Wahrheit auch gar keine so großen Meinungsverschiedenheiten. Denn Moskaus und Ost-Berlins Interessen standen im Einklang: Ulbricht wollte seine Macht nicht verlieren und war überzeugt, dass die DDR-Wirtschaft eine weitere Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte in den Westen nicht verkraften würde. Und Chruschtschow wollte die DDR als seinen wichtigen Außenposten auf keinen Fall aufgeben. Die logische Konsequenz war die Mauer.

Hope M. Harrison: "Ulbrichts Mauer. Wie die SED Moskaus Widerstand gegen den Mauerbau brach", Propyläen Verlag, Berlin, 24,99 Euro

Manfred Wilke; "Der Weg zur Mauer - Stationen der Teilungsgeschichte", Ch. Links Verlag, Berlin, 39,90 Euro