In der öffentlichen Meinung sind Banker raffgierige Monster ohne soziale Verantwortung. Essay über einen weniger bekannten Teil der Finanzwelt.

Ich hege Vorurteile gegen die Finanzwelt. Beim Gedanken an Banker, Trader, Broker, an Investment- und Portfolio-Manager habe ich Nadelstreifen vor Augen, Krawatten von Brioni und brillantbesetzte Manschettenknöpfe. Ich sehe Gelfrisuren nach guttenbergschem Geschmack, höre Palaver über Yachten und Pferde, rieche überladene Duftwässer, aber nirgends den Schweiß ehrlicher Arbeit. Nein, diese Welt schmeckt mir nicht.

Vielleicht sollte ich erwähnen: Persönlich kenne ich niemanden aus der Finanzbranche. Aber ich habe genug über diese Snobs und Dandys gehört und gelesen, um eine fundierte Meinung vertreten zu können. Die Banker verzocken sich - und der Steuerzahler begleicht die Zeche. So war es doch zuletzt. Mit solchen Menschen muss ich nun wirklich nichts zu tun haben.

Warum um alles in der Welt habe ich mir dann vorgenommen, Oliver Karius kennenzulernen? Warum will ich Zeit mit jemandem verbringen, auf dessen Visitenkarte die anstoßerregende Buchstabenfolge LGT zu lesen ist? Die Liechtensteiner Privatbank hatte bekanntlich ihre ganz eigene Art, mit deutschem Steuergeld zu wirtschaften. "Skandalbank" wurde sie genannt, als herauskam, dass Hunderte deutscher Steuerhinterzieher ihre Vermögen im Fürstentum parkten. Deutschlands bekanntester LGT-Kunde, unser früherer Post-Chef Klaus Zumwinkel, ist längst für seine Steuersünden verurteilt worden. Aber die LGT wird den Ruch der Unanständigkeit seitdem nicht mehr richtig los.

Zugegeben, damit ist die Frage noch nicht beantwortet, warum ich ausgerechnet den LGT-Manager Oliver Karius treffen will. Im Internet bin ich auf den englischsprachigen Lebenslauf des 40-jährigen Deutschen gestoßen. Die Vita irritiert mich. Einerseits liest sie sich wie die eines klassischen Yuppies, der mit kühlen Branchenbegriffen wie capital, grants, loans und equity investments nur so um sich wirft. Andererseits geht dieser Mann einer ziemlich ungewöhnlichen Arbeit nach. Er ist in einer philanthropischen Stiftung der LGT in Zürich beschäftigt, und er behauptet, die Lebensqualität benachteiligter Menschen verbessern zu wollen. Es klingt zu schön, um wahr zu sein: Bei der LGT gibt es Jobs für Wohltäter. Diese Bank im Besitz der fürstlichen Familie von und zu Liechtenstein soll ein Hort für Gutmenschen sein? Das will ich sehen.

Erfreulich schnell hat Oliver Karius auf meine E-Mail reagiert. Am Telefon haben wir nett miteinander geplauscht. Und: Er hat mich tatsächlich nach Zürich eingeladen. Selbstverständlich könne ich mir seine Arbeit bei der LGT Venture Philanthropy Foundation ansehen. Er werde zur gleichen Zeit zwar auch einen jungen Inder zu Gast haben, der sich fürs "Impact Investing" interessiere. Aber ich dürfe ruhig beim Meeting dabei sein. Danach könne man ja gemeinsam zum Lunch gehen, und abends würde er mich gern zu sich nach Hause zum Dinner mit seiner Frau einladen. Mein erster Gedanke: Was ziehe ich da bloß an? Wie muss man aussehen in dieser Welt des wohltätigen Geldes und der galant gestreuten Anglizismen? Ich entscheide mich für einen dunkelgrauen Anzug, ein weißes Hemd mit Manschetten und eine dunkelrote Krawatte. Es kann nicht schaden, als Gast bei einem Banker selbst ein bisschen bankermäßig auszusehen.

Ich bin zum ersten Mal in Zürich. Es ist warm, unter der zu fest geknoteten Krawatte gebe ich reichlich Schweiß an den Kragen ab. Lockern kommt nicht infrage. Schließlich bin ich gleich bei der LGT, und da sehen sie alle bestimmt wie gebohnert aus. Auf dem Weg vom Flughafen ins Zentrum sehe ich weit und breit keine Bankentürme. Europas Hauptstadt des getarnten Geldes gibt sich bescheiden. Die Milliarden auf den Nummernkonten können sich nur hinter den lieblichen Altbaufassaden verstecken. Vom Zürichsee her weht eine sanfte Brise in die Straßen. Aus den Vororten rumpelt im Minutentakt die Trambahn herein.

In einem kühlen Bürobau aus Waschbeton soll ich den Rest des sonnigen Tages verbringen. Ich gebe mir einen Ruck, betrete das nüchterne Treppenhaus, der Fahrstuhl bringt mich in den siebten Stock, Dachgeschoss, eine Glastür, ein Klingelknopf. Oliver Karius öffnet die Tür, lächelt, heißt mich willkommen. Er trägt keine Krawatte, nicht einmal ein Anzugsakko. "Ich dachte", platzt es aus mir heraus, "ich dachte, Sie tragen eine Krawatte". Er schmunzelt.

Oliver Karius ist groß, mindestens 1,90 Meter, eine Mischung aus Gerard Depardieu und Günther Netzer. Seine Nackenhaare finde ich zu lang fürs feine Bankenwesen. Immerhin, am hellblauen Hemd funkeln dunkelblaue Manschettenknöpfe. Aber da ist noch etwas anderes, das mir auffällt - an seinem Kinn. Eine Narbe mit zwei Nähten. Die eine zieht sich hoch zur Unterlippe, die andere verläuft weiter unten parallel zum Mund.

Wir haben keine Zeit für Small Talk. Oliver Karius führt mich an mehreren Stellwänden und merkwürdig halbierten Globen vorbei. Man habe das alles aufgebaut, um den Kunden die Ziele der Stiftung zu erklären, sagt er. Im Konferenzraum wartet wie angekündigt der junge Mann aus Indien. Apurv Jhawar ist 19 Jahre alt und trägt eine Fönfrisur. Er stammt aus Kalkutta, lebt in London, bald wechselt er zur Universität nach Boston. Apurv wirkt vornehm - aber auch er trägt keine Krawatte zu seinem Blazer. Von ihm erfahre ich, dass seine Familie in Indien mit Stahl und Immobilien handelt. Ach ja, und eine Zeitung habe man übrigens auch. Nach Zürich sei er aber gekommen, um im Auftrag seiner Familie zu recherchieren, wie man mit Geld Gutes tun kann. Ich löse meinen obersten Hemdknopf.

Apurv hat viele Fragen, und Oliver Karius antwortet gern. Er spricht ausgiebig vom "Impact Investing", und davon, wie er in Entwicklungsländern mit seinem Team kleine Unternehmen und Organisationen ausspäht und unterstützt. Diese sollen nicht nur einen sozialen oder ökologischen Anspruch haben, sie sollen auch schnell wachsen, und dafür brauchen sie natürlich Geld und Management-Know-how. Mal investiert die Stiftung 200 000 Dollar, mitunter auch eine Million. Die liechtensteinische Fürstenfamilie stellt jedes Jahr fünf bis zehn Millionen Dollar zur Verfügung. Auf diesem Wege sei schon eine Menge Geld in innovative Konzepte wie Slum-Schulen in Afrika oder Wasserreinigungsanlagen auf den Philippinen geflossen, sagt Oliver Karius. Zuletzt habe er 200 000 Dollar an eine Kette von Privatschulen in Kenia überwiesen, die Kindern ärmerer Schichten zu exzellenter Schulbildung verhelfen will. "Großartig", sagt Apurv. In Indien müsse es auch mehr von diesen Schulen geben.

Ich traue meinen Ohren nicht. Apurv, der vermögende Gut-Inder, und Oliver Karius, der rechtschaffene Gut-Banker, sprechen allen Ernstes darüber, wie sie Menschen helfen können. Sie fachsimpeln über Techniken der Frischwasser-Zubereitung, über erneuerbare Energien und medizinische Dienstleitungen. Ich lockere meine Krawatte.

Zum Lunch beim Italiener um die Ecke gibt es Pasta, danach muss Apurv wieder los, seinen Flieger nach London erwischen. Oliver Karius nimmt sich Zeit für meine Fragen.

Herr Karius, was bitte ist "Impact Investing"? "Das sind Investitionen mit einem ökologischen oder sozialen Mehrwert." Warum muss es ein Investment sein? Was haben Sie gegen Spenden? "Ich glaube an den marktwirtschaftlichen, unternehmerischen Ansatz. Ich finde, Philanthropie gehört in jede kluge Vermögensverwaltung. Das Spendenwesen hilft vielleicht bei Katastrophen, aber langfristig gesehen ist es nicht effektiv."

Wer spendet, will keinen Gewinn machen. Sie schon. Was ist daran sozial? "Wir unterstützen in der Tat auch Businessmodelle, die Gewinn abwerfen sollen. Aber: Jeden Überschuss reinvestieren wir in die Unternehmen. Die Firmen sollen wachsen. Wir sind keine Renditejäger. Und wenn Sie mich fragen, ob unsere Investments risikoreich sind, dann sage ich: Natürlich sind sie das!"

Keine Renditejagd? Kann man Sie dann noch als Banker bezeichnen? "Eher nicht. Ich bin ein verantwortungsvoller Investor, der Armut unternehmerisch bekämpfen will."

Sind Sie ein Philanthrop? "Ich bin ein Menschenfreund und sicher auch ein Überzeugungstäter. Ich stecke mein Geld nur in Investmentfonds, die in Nachhaltigkeit investieren."

Was verstehen Sie unter Nachhaltigkeit? "Wir müssen an die künftigen Generationen denken. Wie sollen wir neun Milliarden Menschen mit ausreichend Nahrung und sauberem Wasser versorgen? Das Öl geht aus, die Meere sind überfischt, das Trinkwasser wird knapp. Wir fahren diesen Planeten an die Wand. Wenn man die Leute fragt: Geht es euch besser als euren Eltern?, dann sagen alle Ja. Fragt man sie, ob es ihren Kindern einmal besser gehen wird, dann verstummen sie. So kann es doch nicht bleiben."

Den Abend verbringen wir vor den Toren Zürichs in einem Örtchen namens Meilen. Beim Rotwein auf der Terrasse seiner Erdgeschosswohnung bietet mir Oliver Karius das Du an. Ich lerne seine Frau Kate kennen, eine 36-jährige zierliche Amerikanerin, die als Schriftstellerin arbeitet, aber viel lieber Songs komponiert. Sie erzählt mir, wie sie Oliver im Herbst 2008 in Zürich traf, wie sie gemeinsam Afrika bereisten und im April dieses Jahres an einem verlassenen Strand bei Kapstadt heirateten. "Es war mein Traum, in den Dünen Ja zu sagen", sagt sie."Die Natur liegt uns beiden sehr am Herzen."

Kate hat eine Suppe und Salat zubereitet und den Grill angeworfen. Oliver trägt jetzt Bluejeans, ich stecke immer noch im Banker-Kostüm. Dass es auf dieser Reise gemütlich werden könnte, damit hatte ich nicht gerechnet. Beim zweiten Glas Rotwein erzählt mir Oliver von seiner Kindheit in Südafrika und Japan, seiner Herkunft als Sohn eines Bauingenieurs und einer Opernsängerin.

Er verrät mir seinen Traum, bald mit Kate nach Südafrika auswandern zu können, dorthin, wo er geboren wurde. "In Afrika ist noch mehr zu tun als hier im gesättigten Europa", sagt Oliver. Europa müsse den Nachbarkontinent ernster nehmen. Er sei zwar ein Anhänger der europäischen Idee, die ja Gott sei Dank die Gemeinsamkeiten und nicht das Trennende der Völker in den Mittelpunkt stelle. "Aber wo bitte bleibt dann Europas Verantwortung für Afrika?", fragt er."Wir können den Kontinent doch nicht komplett den chinesischen Investoren überlassen. Auch Europa muss dort Arbeitsplätze schaffen." In Afrika fasziniere es ihn, wie die Menschen mit ihrem Alltag umgehen, wie unternehmerisch kreativ sie seien. Dort lasse er sich inspirieren. "Mobiles Telefonbanking wurde in Kenia erfunden, nicht bei uns", sagt er. "Die Armut der Menschen verschleiert unseren Blick für ihr Potenzial."

Die Sonne ist untergegangen, und vom Zürichsee weht es merklich kühler. Oliver erzählt von seinem Lebensweg. Er habe immer an der Schnittstelle von Investment und Nachhaltigkeit gearbeitet, um neue Ideen zu fördern. Mit dem Diplom in Biologie in der Tasche ging er in den 90ern nach London und machte seinen Master in Umwelttechnologie. Sein erster Arbeitgeber war gleich ein Investmenthaus. Oliver managte einen Ethikfonds. Er profilierte sich, arbeitete für weitere Nachhaltigkeitsfonds - bis 2007 das Angebot der LGT kam, den philanthropischen Bereich der Bank mit aufzubauen. Seine bisher größte Herausforderung. Früher sei er belächelt worden, als er in München Biologie und Architektur studiert habe. Birkenstockschuhträger und Müslifresser habe man ihn genannt, einen Umweltaktivisten und Weltverbesserer. Damals habe er sich darüber geärgert. Heute kann sich der Investmentmanager über die früheren Sticheleien nur wundern. "Ich habe nie Birkenstocksandalen besessen, um Gottes willen!"

Der nächste Tag, zurück bei den Philanthropen der LGT im Züricher Waschbetonhaus. Ich trage ein hellblaues Hemd, keine Manschettenknöpfe. Die Krawatte ist tief in der Reisetasche verstaut. Oliver sitzt in seinem Büro, das kleiner ist als erwartet. Ein Afrika-Poster klebt an der Wand. Telefonkonferenzen stehen an, danach wieder Meetings. Er telefoniert mit einer Berliner Finanzberaterkanzlei, um auszuloten, wie er über ein Fondsmodell neue Kunden erschließen kann. Von der nachhaltigen Geldanlage sollen viel mehr Menschen überzeugt werden als bisher - nicht nur die wohltätigen Millionäre und Milliardäre. Hinter Olivers Schreibtischstuhl steht griffbereit ein gepackter Koffer. Er ist darauf vorbereitet, sofort abzureisen, wenn ein Kunde ruft. Und Oliver hat Kunden in der ganzen Welt.

Es wird Zeit, Abschied zu nehmen. Eine letzte Frage, Oliver. Was sind das für Narben an deinem Kinn? Oliver lächelt verschmitzt. "Es war in Tokio, ich war sieben Jahre alt und wollte natürlich die Mädchen in meiner Klasse beeindrucken. Also habe ich mich in der Schule aufs Treppengeländer geschwungen, um schön elegant runterzurutschen. Leider hatte ich zu viel Schwung und bin drei Meter in die Tiefe gestürzt. Die Wunde am Kinn musste genäht werden."

Zurück in Deutschland. Erst hier frage ich mich, wofür die Buchstaben LGT eigentlich stehen. "Liechtenstein Global Trust" lese ich im Netz. In der Sprache der Finanzwelt wird "Trust" mit "Vermögensverwaltung" übersetzt.

Dann aber muss ich an Olivers Erzählung aus seiner Kindheit denken, den mutigen, aber missglückten Versuch, die Mädchen zu beeindrucken. Das Erlebnis steht ihm seitdem ins Gesicht geschrieben. Damals wie heute reizt ihn die Lust am Risiko. Seine Investments in der Dritten Welt sind gewagt. Die Firmen, die er unterstützt, brauchen viel Zeit und können auch scheitern. Aber wie gesagt: Oliver, der Philanthrop mit Millionenbudget, will die Welt zum Guten verändern. Dass ihn die LGT dafür bezahlt, muss man der Bank zugutehalten. Die Finanzwelt hat vielleicht doch mehr zu bieten als nur Nadelstreifen und Gier. Sie hat auch Menschen wie Oliver. Mein Vertrauen hat er gewonnen, das will was bedeuten. Und das Wörtchen "Trust" im Namen der LGT bekommt mit einem Mal einen ganz anderen Klang.