Stuttgart 21 Geißler schlägt Kombination aus Kopf- und Tiefbahnhof vor. Stresstest-Präsentation brachte keine Annäherung von Projektgegnern und Bahn

Stuttgart. Das wollte der erfahrene Schlichter dann doch nicht auf sich sitzen lassen: Nach monatelangen Verhandlungen über das Bahnprojekt Stuttgart 21 samt Stresstest und dessen öffentlicher Diskussion so ganz ohne Ergebnis auseinanderzugehen, passt nicht in das Weltbild eines Heiner Geißler. Und so zog der frühere CDU-Generalsekretär am Freitagabend, als alle schon auseinandergehen wollten, sein vielleicht letztes Ass aus dem Ärmel. Mit den Worten, er wolle nicht den Raum verlassen, ohne den Versuch zu unternommen zu haben, eine Kompromisslösung in dem "verbitterten" Streit zu finden, schlug er eine Kombination aus Kopfbahnhof für den Nahverkehr und unterirdischer Station für die Fernzüge vor. Denn auch die Volksabstimmung über Stuttgart 21 werde keine friedliche Lösung bringen. Nun haben alle eine neue Nuss zu knacken. Nach der Schlichtung ist vor der Schlichtung.

Zuvor war acht Stundenlang ebenso hartnäckig wie ergebnislos verhandelt worden. Es gab dabei aber auch Momente, in denen man die Teilnehmer der Runde beneiden konnte. Etwa, als der Technikvorstand der Deutschen Bahn, Volker Kefer, anhand einer animierten Grafik erklärte, wie der Stresstest zur Leistungsfähigkeit des geplanten Tiefbahnhofs konstruiert wurde. Auf der Leinwand im Stuttgarter Rathaus zeigte Kefer eine eingleisige Strecke, auf der es einen Bahnhof mit einem zweiten Gleis gibt. Von links ließ Kefer einen Regionalexpress kommen, bugsierte ihn auf das zweite Gleis im Bahnhof und ließ ihn dort so lange warten, bis ein von rechts kommender ICE auf dem Hauptgleis vorbei war, sodass der Regionalexpress weiterfahren konnte. Dann zeigte Kefer, was passiert, wenn ein Zug Verspätung hat. Oder beide Züge, und wie sich Verspätungen abbauen lassen oder eben nicht. Alles Glück des Modelleisenbahners war da zu spüren. Und auch wenn man berücksichtigt, dass solche Dinge bei der Simulation des Eisenbahnverkehrs im Raum Stuttgart fast unermesslich komplex werden, lassen sich jene beneiden, die sich mit dieser Materie zu beschäftigen wissen.

Diese Beschäftigung wird der Öffentlichkeit nicht nur in Baden-Württemberg nun noch länger erhalten bleiben. Denn bei dieser letzten Schlichtungsrunde, in der unter Geißlers Leitung der von der Bahn durchgeführte Stresstest und dessen Begutachtung durch die Schweizer Expertenfirma SMA präsentiert und diskutiert wurde, kam es zwischen S-21-Gegnern und -Befürwortern zu keiner Einigung darüber, ob die 4,5 Milliarden Euro für den Tiefbahnhof gut angelegt sind oder nicht. Und mit Geißlers neuem Vorschlag wird die Diskussionslage nicht einfacher. Dabei hatte SMA-Präsident Werner Stohler so schön dargelegt, dass der geplante achtgleisige Tiefbahnhof eine Kapazität hat, mit der in der morgendlichen Spitzenzeit 49 Züge abgefertigt werden können. Dies wären 30 Prozent mehr, als derzeit auf dem bestehenden Kopfbahnhof zu jener Zeit fahren; und der Nachweis dieser Steigerung war die Bedingung, die bei der Schlichtung vereinbart worden war.

Die Bahn habe sich bei der Computersimulation an die Fahrplan-Vorgaben der grün-roten Landesregierung gehalten, "und insgesamt entspricht die zu erwartende Betriebsqualität des Tiefbahnhofs den Kriterien 'wirtschaftlich optimal'", sagte Stohler. Zwar gebe es viele "Kleinigkeiten", die von der Bahn noch berücksichtigt werden müssten. Grundlegende Einwände aber machte Stohler nicht.

Die aber kamen vom Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne), der als Protagonist der S-21-Gegner das Prüfsiegel "wirtschaftlich optimal" infrage stellte. Dieses Urteil besage nach den Kriterien der Bahn nur, dass Verspätungen nicht noch vergrößert würden. In der Schlichtung aber sei vereinbart worden, dass der Bahnhof "eine gute Betriebsqualität" haben müsse, was bedeute, dass eventuelle Verspätungen abgebaut werden könnten. Diese "gute" Qualität, nach neuesten Bahn-Kriterien heißt sie "Premiumqualität", erreiche der Tiefbahnhof laut SMA nicht. Als bloß "wirtschaftlich optimal" sei der Bahnhof schlechter als "gut", mithin befriedigend.

Wie verhärtet die Fronten blieben, zeigte sich auch daran, dass vom Aktionsbündnis der Gegner der ganze Test infrage gestellt wurde, weil darin keine Störungen wie liegen gebliebene Züge oder Signal-Ausfälle berücksichtigt würden. Zudem wurde gefordert, dass es einen neuen Vergleichstest geben solle, wo auch die Leistungsfähigkeit eines renovierten Kopfbahnhofs untersucht würde. Das lehnen die Bahn und Schlichter Geißler ab. Immerhin: Das Aktionsbündnis akzeptiert Geißlers neue Pläne. "Wir sehen in dem Vorschlag eine Möglichkeit zum Kompromiss", sagte die Sprecherin des Bündnisses, Brigitte Dahlbender, am Freitagabend im Stuttgarter Rathaus. Die Bahn müsse dann aber sofort einen Bau- und Vergabestopp verfügen.