Vor dem Papstbesuch kommt ein Dialog zwischen Laien und Kirchenführung in Gang. Zollitsch spricht von notwendiger Standortbestimmung.

Berlin/Mannheim. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass das vergangene Jahr für die Katholische Kirche in Deutschland ein annus horribilis gewesen ist. Ein Schreckensjahr. Nachdem der Rektor des Berliner Canisius-Kollegs den Missbrauch ehemaliger Schüler im Februar 2010 öffentlich gemacht hatte, kamen Fälle in einer dramatischen Kettenreaktion ans Licht: Aachen, Ansbach, Bamberg, Bonn, Essen, Ettal, Fritzlar, Hamburg, Heidenau, Homburg ... Am Ende schien der Missbrauch, dessen sich Priester und Laien unter dem Schutzmantel der katholischen Kirche schuldig gemacht hatten, die Republik wie ein hässliches Spinnennetz zu überziehen. Dass sich der Augsburger Bischof Walter Mixa trotz der gegen ihn erhobenen Misshandlungsvorwürfe noch wochenlang an sein Amt klammern konnte, diente den Kritikern inner- und außerhalb der Kirche als zusätzlicher Beweis für die Reformunfähigkeit einer in ihren Machtstrukturen erstarrten Institution.

In Zukunft soll nun vieles anders, besser werden. Er erkenne "eine neue Kommunikations- und Sprachfähigkeit" in seiner Kirche, hat Erzbischof Robert Zollitsch gerade in Mannheim gemeint, wo Laienchristen ihren Bischöfen und Ordensleuten zwei Tage lang tabulos die Meinung gesagt haben. Und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz fügte hinzu, das Wagnis habe sich gelohnt: "Die Standortbestimmung, wo wir im Glauben heute stehen, war notwendig. Ich bin beeindruckt von der großen Solidarität und Sympathie in Bezug auf unsere Kirche." Das Motto des Gesprächsforums "Im Heute glauben - wo stehen wir?" sei Grundlage eines von großem Respekt getragenen Redens über den Glauben und über die Kirche von morgen gewesen. "Die Richtung unseres Weges stimmt. Ich darf Ihnen versichern, dass wir diesen Weg weitergehen werden. In Mannheim durften wir erleben, was es heißt, im Glauben verbunden unterwegs zu sein."

Im vergangenen September, angesichts der Dimensionen des Missbrauchsskandals, hatte Zollitsch den deutschen Bischöfen seine Vorstellung von der Erneuerung der Kirche unterbreitet. Bischöfe, Priester und Laien, Ehrenamtliche und Hauptberufliche müssten künftig "auf authentische Weise miteinander verbunden sein", hatte Zollitsch damals in Fulda gesagt. Man müsse lernen, "eine Kirche des Hörens" zu werden. Was auch einschließe, dass man lernen müsse, mit unangenehmen Fragen umzugehen.

In Mannheim haben sich Zollitsch und seine Bischofskollegen in der 300-köpfigen Versammlung vor allem anhören müssen, dass die katholischen Laien echte Teilhabe von ihnen verlangen. Sie wissen nun, was ganz oben auf der Forderungsliste steht: die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen "an allen Leitungsfunktionen"; das Zugeständnis, dass Laien "ebenso viel Verantwortung wie der Klerus" übernehmen können; die Forderung nach einem neuen Umgang mit Geschiedenen, Wiederverheirateten und Homosexuellen, die "mit offenen Armen aufgenommen" werden sollen.

Das ist starker Tobak. Zumal die Veranstaltung im Vorfeld des Papstbesuchs stattfand. Benedikt XVI. wird ja vom 22. bis zum 25. September in Deutschland erwartet. Und dass hierzulande sogar schon das Gespenst einer drohenden Kirchenspaltung beschworen wurde, wird er in Rom zur Kenntnis genommen haben.

Von einer solchen Spaltung könne keine Rede sein, hat der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck nach der Mannheimer Tagung gemeint. Dafür gebe es keine Anzeichen. Im Gegenteil. "Das Treffen in Mannheim war ein deutliches Zeichen der Einheit der Kirche in unserem Land", sagte Overbeck. Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode formulierte es etwas vorsichtiger. In Mannheim, sagte Bode, habe "sich der Grundwasserspiegel des Vertrauens wieder gehoben".

Um dieses Vertrauen zu festigen, wird Zollitsch gemeinsam mit Overbeck, Bode und dem Erzbischof von München und Freising, Reinhard Marx, im August nach Castelgandolfo reisen. Dort will er Benedikt XVI. persönlich über den in Mannheim begonnenen Dialogprozess informieren. Damit der Heilige Vater im September nicht aus allen Wolken fällt.

Denn dass sich die Katholische Kirche in Deutschland durch diesen Dialog verändern wird, davon gehen alle Beteiligten aus. Die zunächst bis 2015 angelegte Initiative soll das durch den Missbrauchsskandal verloren gegangene Vertrauen zurückerobern und Perspektiven für die Kirche von morgen entwickeln. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, sprach in Mannheim von Zuversicht, mahnte aber zugleich konkrete Reformschritte an.