Schäuble galt als Rücktrittskandidat. Inzwischen ist der Finanzminister unverzichtbar für Angela Merkel.

Berlin. Wie so oft ließ Wolfgang Schäuble erst einmal die anderen sprechen. Den Vorstoß von FDP-Chef Philipp Rösler, man könne doch schon im kommenden Jahr wenigstens die Sozialabgaben senken, quittierte der Finanzminister mit vielsagendem Schweigen. Auf so etwas sollten bitte schön seine Parteifreunde reagieren - der Finanzminister hat andere Sorgen, so die Botschaft. Unionsfraktionsvize Michael Meister übernahm die Aufgabe - und das Ganz im Sinne des Finanzministers. "Die Parteivorsitzenden haben sich auf einen klaren Fahrplan geeinigt, daran war auch der Parteivorsitzende der FDP beteiligt, und man sollte jetzt endlich mal bei den Punkten, auf die man sich verständigt hat, bleiben", schimpfte Meister.

Wolfgang Schäuble hat es in diesen Tagen gar nicht nötig, sich und seinen Konsolidierungskurs mit öffentlichkeitswirksamen Argumenten zu verteidigen. Warum sollte er auch etwas wiederholen, was er schon am Vortag gesagt hat? "Wir haben wenig Spielraum", ist der Satz, den Schäuble förmlich in Stein gemeißelt hat. Ein Satz, der vor Monaten schon galt und erst im Herbst gelten soll, wenn die Koalition über den Spielraum von Entlastungen verhandeln will. Allenfalls könne man über die kalte Progression reden, ist eine weitere Aussage Schäubles, die auch im Herbst noch Bestand haben soll.

Vermutlich nie hat sich Schäuble in der Rolle des Staatssanierers so wohlgefühlt wie heute. In seiner Ablehnung gegenüber Steuersenkungen weiß er die Mehrheit der Deutschen hinter sich. Und im Steuer-Kleinkrieg mit Rösler gibt er sich derart gelassen, dass so mancher FDP-Politiker beim Gedanken an den Finanzminister nur ungläubig den Kopf schüttelt. Führende Liberale hatten sich im vergangenen Herbst fest auf Schäubles baldigen Abschied aus der Politik eingestellt. Jetzt wissen sie: An dem 68-Jährigen kommen sie nicht mehr vorbei. Der hartleibige Minister gilt als unverzichtbar im Kabinett. Natürlich hat das auch mit der Euro-Krise zu tun, aber viel mehr schätzen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Unionsfraktion Schäubles kompromisslose Haltung gegenüber der FDP. Der 68-Jährige füllt die Rolle des Bad Guys, an dem sich die Liberalen abarbeiten sollen, mit fast diebischer Freude aus. Dank Schäuble kann die Kanzlerin im Steuerstreit mal wieder die Rolle der Moderatorin ohne konkrete Festlegung spielen. Dafür darf Schäuble unermüdlich auf die Haushaltsdisziplin hinweisen und bei der Kabinettsdisziplin ungeniert eine Sonderrolle einnehmen. So hat sich Merkels Mir-doch-egal-Minister kurzerhand zum wichtigsten Verbündeten der Kanzlerin befördert.

Vor einem Dreivierteljahr sah Schäubles Welt noch ganz anders aus. Man hatte ihn schon abgeschrieben. Meldungen kursierten, der gesundheitlich angeschlagene Senior im schwarz-gelben Kabinett habe Merkel seinen Rücktritt angeboten. Wochenlange Klinikaufenthalte, eine nicht verheilende Wunde nach einer Operation, dann Äußerungen seines Bruder über den "sauschlechten" Zustand des Ministers warfen ein neues, grelles Licht auf Schäuble. Über seine Querschnittslähmung und sein Leben im Rollstuhl sprach man eigentlich nicht. Auf einmal sprachen alle darüber. Seit dem Pistolenattentat von 1990 hatte Schäuble weiter schonungslos an seiner Karriere gearbeitet. Aufzuhören war nie ein Thema gewesen. Schäuble kam noch im Herbst zurück, doch vorerst wurde es nicht besser. Nachdem er bei einer Pressekonferenz seinen Sprecher Michael Offer vor laufenden Kameras wegen nicht rechtzeitig verteilter Zettel zusammengestaucht hatte, ließ sich Schäubles Vertrauensmann von der Aufgabe entbinden. Prompt sprach die Republik über den schroffen Führungsstil des Ministers. Inzwischen hat Schäuble einen neuen Pressemann, und die Meldungen über Allüren und Krankheit wirken wie aus einer anderen Zeit. Er selbst bezeichnete 2010 als "lausiges Jahr". Heute trifft man auf einen Schäuble, der vor allem dann zufrieden wirkt, wenn er die FDP auf Abstand hält. Erst am Mittwoch zerpflückte er genüsslich den Vorschlag von FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen. "Wie man mit der Abschaffung des Soli kalte Progression bekämpfen soll, überschreitet meine Fantasie", beendete er das Thema mit der ihm eigenen Spur Überheblichkeit.

Brüderle ist nicht das einzige Schäuble-Opfer. Dass der Finanzminister auch wenig vom neuen Vizekanzler und Wirtschaftsminister Rösler hält, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Nach dem gestrigen Tag kann man davon ausgehen, dass zum ohnehin frostigen Verhältnis noch einige Minusgrade hinzugekommen sind. Während Rösler im Tagestakt versucht, das liberale Wahlversprechen von deutlichen Entlastungen für die Bürger der Erfüllung näherzubringen, gibt sich Schäuble von Tag zu Tag weniger beeindruckt. Seinen Job sieht er allein in der Haushaltssanierung. Die permanenten Forderungen des Koalitionspartners? In der Wahrnehmung Schäubles scheinen sie schlicht irrelevant. Er, das fiskalische Gewissen der Republik, nahm auch den Entlastungsbeschluss für 2013 nur "zur Kenntnis". Es gibt Haushälter in der Koalition, die zugeben, dass Schäuble so einen Beschluss ohne Zahlen-Fundament nicht ernst nehmen könne. Dabei hat der Minister konkrete Zahlen im Blick: 2012 will er nur noch Kredite in Höhe von 27,2 Milliarden Euro aufnehmen. Bis 2015 soll die Neuverschuldung auf 14,7 Milliarden Euro sinken. Nichts anderem gilt sein Ehrgeiz. Merkels Schatzkanzler hat die Schuldenbremse im Blick, nicht den Koalitionsfrieden.

Wenn sich im Herbst 2013 Kabinett und Parlament neu konstituieren, wird Schäuble 71 Jahre alt sein. Es heißt, Merkel werde ihn nie zum Aufhören drängen. Er selbst müsse entscheiden, wann Schluss sei. Schäubles Plan - zumindest haushaltstechnisch - geht bis 2015. Inzwischen würde es niemanden wundern, wenn Schäuble auch bei der eigenen Planung eher langfristig denkt.