Schleswig-Holsteins Finanzminister Wiegard fordert große Reform bis 2020. Kirchhof-Modell stößt in der Koalition auf geteiltes Echo

Berlin. Auf einmal wollte niemand mehr etwas wissen von dem geplanten Koalitionsgipfel, der für ein Ende des Dauerstreits sorgen sollte - vor allem beim Thema Steuern. Sowohl bei der Union als auch bei der FDP hieß es gestern: Es sei immer klar gewesen, dass die Runde nur einberufen werden sollte, wenn eine Aussicht bestehe, konkrete Ergebnisse zu präsentieren.

Aus dem mit Erwartungen verbundenen Termin von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und FDP-Chef Philipp Rösler vor der parlamentarischen Sommerpause wird nun offenbar nichts. Denn konkrete Pläne über Steuersenkungen will die Koalition erst im Herbst verkünden. So plädierte CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt dafür, "dass wir keinen Schnellschuss machen, sondern eine fundierte Entscheidung treffen". Es sei nicht entscheidend, ob der Beschluss im Juli oder im September getroffen werde. Bei der FDP räumte man ein, dass die genaue Ausgestaltung der Reform sich schwierig gestalte. Es gelte aber der Entschluss der Vorsitzenden von CDU, CSU und FDP, in dieser Legislaturperiode die Bürger steuerlich zu entlasten. Auch gestern protestierten wieder mehrere Ministerpräsidenten der CDU und SPD gegen das Vorhaben.

Schleswig-Holsteins Finanzminister Rainer Wiegard (CDU) empfahl Berlin, erst bis 2020 eine Reform auszuarbeiten. "Es stört mich, wenn man in der Diskussion über Steuersenkungen nur auf diese Legislaturperiode sieht", sagte er dem Abendblatt. "Wir haben eine Vielzahl bekannter Probleme im Steuerrecht. Die sollten wir in einem einheitlichen Konzept bis 2020 lösen - 2020 deshalb, weil dann auch der Länderfinanzausgleich neu geregelt wird, die Schuldenbremse voll wirkt und der Solidarpakt Ost ausläuft." Steuervereinfachung habe dabei für ihn Vorrang.

Eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes brachte derweil Schleswig-Holsteins CDU-Landeschef Christian von Boetticher ins Gespräch. Das neue Konzept des Staatsrechtlers Paul Kirchhof für eine radikale Vereinfachung des Steuersystems stieß auf ein geteiltes Echo. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte in der Unionsfraktion nach Angaben von Teilnehmern, die Debatte darüber sollte niedriger gehängt werden. Er glaube nicht, dass Deutschland so weit sei, von allen Ausnahme-Tatbeständen im Steuerrecht Abschied zu nehmen. Der Vorstoß des früheren Verfassungsrichters, künftig nur noch Einkommen-, Erbschaft-, Umsatz- und Verbrauchsteuer zu erheben und für die Einkommensteuer einen Einheitssatz von 25 Prozent festzusetzen, wurde hingegen in der FDP gelobt. Deren Vizefraktionschef Volker Wissing sagte, im Kern stimmten die Ideen des Heidelberger Wissenschaftlers mit Überlegungen der FDP überein. Mit Kirchhofs Modell würden auch die Tausenden Paragrafen im Steuerrecht auf 146 reduziert werden. Kirchhof hatte als Unionskandidat für das Amt des Bundesfinanzministers bereits im Wahlkampf 2005 für ein vereinfachtes Steuerkonzept geworben.

Thüringens Regierungschefin Christine Lieberknecht (CDU) forderte die Umsetzung des Konzepts, auch Nord-Finanzminister Wiegard mahnte: "Man sollte sich das Konzept von Paul Kirchhof sehr genau ansehen. Es lohnt sich. Das eine oder andere Element kann durchaus auch in andere Vorschläge einfließen." Er gab aber zu bedenken, dass Deutschland nicht reif für einen einheitlichen Einkommensteuersatz sei. "Man möchte, dass der, der mehr verdient, auch einen höheren Steuersatz hat."