Rösler und Merkel einig über Entlastungen. Auch der Rentenbeitrag könnte sinken. Nordländer kündigen Widerstand an

Berlin. Mehr als zwei Jahre sind vergangen, seit der damalige FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle deutliche Steuersenkungen zur Bedingung für eine schwarz-gelbe Koalition machte. Die Koalition kam zustande, doch der große Wurf in der Steuerpolitik blieb vorerst aus. Nun scheint es, als ob Westerwelles Nachfolger Philipp Rösler den markigen Worten des Vorgängers Taten folgen lässt. Er sei sich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) "vollkommen einig", dass die Regierung in dieser Frage einen "klaren Kurs" fahren müsse, sagte der Vizekanzler gestern.

Von einer Entlastung von zehn Milliarden Euro für die Mittelschicht ist nun die Rede. Das ist zwar weit entfernt von einstigen FDP-Vorstellungen, doch kurz nach Bekanntwerden der Pläne liefen mehrere Ministerpräsidenten umgehend Sturm.

Das Saarland werde einem solchen Vorhaben im Bundesrat nicht zustimmen, weil dadurch die Einhaltung der Schuldenbremse völlig unmöglich werde, kündigte Saar-Ministerpräsident Peter Müller im Abendblatt an. Der CDU-Politiker betonte, die Konsolidierung der Staatsfinanzen müsse auch weiterhin Vorrang vor Steuerentlastungen haben. Wer immer mehr Schulden anhäufe, riskiere, dass künftige Generationen von den Zinslasten erdrückt und die Gestaltungsspielräume für die Politik immer kleiner würden. Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) rüffelte die Berliner Koalitionäre mit den Worten: "Aufschwung darf nicht zu einem Überschwang führen." Allein die markigen Antworten der Unions-Regierungschefs auf die Entlastungsideen der Bundesregierung ließen bereits gestern erahnen, dass der Bundesrat zur unüberwindbaren Hürde für Steuersenkungen zu werden droht.

Auch die Regierungen im Norden reagierten in seltener Einigkeit mit Skepsis. Während Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz von einer Hilfsaktion für die in ihrer Existenz bedrohte FDP sprach, kündigte Niedersachsen an, die Steuerpläne der Koalition in Berlin sehr genau prüfen. "Die Länder können nur zustimmen, wenn sie sich das finanziell leisten können", sagte Regierungssprecher Rainer Enste in Hannover. Die Haushaltsstabilität müsse gewährleistet sein, das sei "sehr wichtig". Denn die Bundesländer stünden vor dem ambitionierten Ziel, die Neuverschuldung bis 2020 auf null zu bringen. Schleswig-Holsteins Finanzminister Rainer Wiegard (CDU), einer der prominentesten Fürsprecher einer großen Steuerreform, monierte: Steuersenkungen um ihrer selbst willen sollten nicht das Ziel sein. "Wir müssen ein einfacheres und gerechteres Steuersystem schaffen", nannte Wiegard als vorrangiges Ziel. Wenn es dann in diesem Rahmen auch zu Steuerentlastungen komme, müssten diese gegenfinanziert werden.

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) kündigte wie zuvor das Saarland an, dass sein Land im Bundesrat den Plänen die Zustimmung verweigern werde. Man könne nicht gleichzeitig die Schuldenbremse einhalten, Milliarden in die Energiewende investieren und zusätzlich die Steuern senken, rechnete Sellering vor. Diese Position habe auch die Kanzlerin bisher vertreten, sagte der SPD-Politiker und warnte Merkel, vor der FDP einzuknicken. Auch Bremen wies auf die Schuldenbremse hin, die nach den Worten von Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) keine Steuersenkungen vertrage.

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) sieht dies allerdings anders. Das IfW plädierte für eine Abschwächung der kalten Progression. "Diese heimlichen Steuererhöhungen spülen dem Staat 2011 und 2012 insgesamt 9,5 Milliarden Euro an Mehreinnahmen in die Kassen", sagte IfW-Experte Alfred Boss, der dem Kreis der Steuerschätzer angehört. Mit diesen Mehreinnahmen könne zwar auch das Staatsdefizit gesenkt werden. "Doch je näher die Bundestagswahl 2013 rückt, desto größer ist die Versuchung für die Regierung, Wahlgeschenke zu verteilen", sagte Boss. "Dann drohen neue Subventionen - angefangen von der Gebäudesanierung bis hin zu Elektroautos. Dann sollte man das Geld doch lieber den Bürgern zurückgeben." Die kalte Progression sorgt dafür, dass Arbeitnehmer bei Lohnerhöhungen in eine höhere Besteuerung hineinrutschen und damit ein Teil des Verdienstzuwachses nicht bei den Beschäftigten landet, sondern beim Staat.

Sollte die Koalition mit den Plänen für Steuerentlastungen scheitern, könnte sie noch die Abschaffung des Solidaritätszuschlags angehen. Auch dieses Thema besprechen die Koalitionäre derzeit. Auch eine Senkung des Rentenbeitragssatzes gilt dank der sprudelnden Steuereinnahmen als denkbar. Auf der Grundlage der Wirtschaftsannahmen der Bundesregierung sei eine Verringerung von 19,9 auf 19,8 Prozent des Bruttolohns möglich, teilte die Deutsche Rentenversicherung Bund mit. Auch die Renten könnten zum 1. Juli 2012 wieder steigen. Rechnerisch sei eine Rentenerhöhung im nächsten Jahr um rund 1,3 Prozent möglich.