Polens Staatspräsident Komorowski hält eine entspannte Berliner Rede

Berlin. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass erstens die deutsch-polnischen Beziehungen die Aufgeregtheiten vergangener Jahre hinter sich gelassen haben und dass zweitens die Europäische Union anscheinend ganz fest in sich ruht: Dann hat ihn Polens Staatspräsident Bronislaw Komorowski mit seiner Berliner Rede an der Humboldt-Universität überzeugend geliefert. Und zwar durch die fast mit Wohligkeit getränkte Spannungslosigkeit seiner Darlegungen. Eingeladen hatte ihn dazu Bundespräsident Christian Wulff, der damit eine Tradition seines Vorvorvorgängers Roman Herzog aufnahm, den eigenen Redeplatz großherzig an ausländische Politiker abzutreten.

Wenige Wochen vor dem Beginn der polnischen EU-Ratspräsidentschaft, so hatte mancher erwartet, würde der polnische Staatspräsident eine aufwendige, politisch spitze und betont programmatische Rede halten. Er hat dann zwar durchaus grundsätzlich gesprochen und das Friedens-, Wohlstands- und Jahrhundertprojekt EU gebührend gelobt. Doch hat er auf alle Zuspitzung verzichtet, seinem Ministerpräsidenten Tusk die Butter nicht vom Brot genommen und sich in vornehmer Zurückhaltung, ja Allgemeinheit geübt.

Schon das Datum legte es freilich nahe, tief in die Geschichtstruhe zu greifen. Sprach er doch im Audimax der für die Deutschen so symbolträchtigen Humboldt-Universität genau 20 Jahre nach der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags durch Kanzler Helmut Kohl und Polens Premier Jan Krzysztof Bielecki. Auch das Datum der Unterzeichnung damals, die den Grundstein für eine langsame Annäherung beider Länder legte, war höchst symbolisch gelegt - schließlich war und ist der 17. Juni auch der Tag, an dem des Aufstands von 1953 in Ost-Berlin und der ganzen DDR gedacht wird.

Komorowski hat daher das gebührend gepriesen, was nicht nur durch dieses Datum beide Länder - Deutschland später als Polen - verbindet: den Traum der Freiheit. Er erwähnte die Aufstände und Streiks in Danzigs Werften, davor die Arbeitererhebungen in Posen (Poznan), den Ungarnaufstand, den 17. Juni. Der schönen Formulierung der Übersetzerin zufolge sagte er: "Die Freiheit ist etwas so Gewaltiges - wenn sie losgeht, kann man sie nicht mehr bremsen." Dem kontrastierte Komorowski die schreckliche Vergangenheit, die beide Länder hinter sich gebracht haben. Er erwähnte die fünf Millionen Polen, die während der NS-Zeit ihr Leben verloren; er erwähnte den Holocaust, den die Deutschen auf polnischem Boden organisierten; und er erwähnte auch die Leiden, die Deutschen widerfahren fahren. Etwa der deutschen Familie, die 1945 aus Breslau fliehen und ihr Haus verlassen musste - das Haus, in das die aus dem Osten Polens vertriebene Familie Komorowski dann einzog.

Es gleicht einem Wunder, dass diese beiden Länder heute fast so etwas wie Freundschaft verbindet - wie zum Beispiel eine Allensbach-Studie soeben ergeben hat: Kaum noch etwas von dem wechselseitigen Hass, mindestens Misstrauen; in beiden Ländern denkt man positiv über den jeweiligen Nachbarn, die Polen deutlich positiver über die Deutschen - als umgekehrt die Deutschen über die Polen. Komorowski hat im guten Sinne eine Sonntagsrede gehalten und noch einmal in Erinnerung gerufen, wie weit es das vereinte und vom Kommunismus befreite Europa gebracht hat. Die geschichtsträchtigen Querelen der Vergangenheit hat er beschwiegen: mangels Bedeutung, nicht weil er sie unter den Teppich kehren wollte. Polen steht heute politisch und wirtschaftlich gut da, seine politische Klasse ist stolz auf das Erreichte und meldet eine Art Führungsanspruch an. Bei Komorowski klang das nur ganz fein durch. Wie die Rede überhaupt recht diplomatisch ausfiel: Wohlwollend lobte der Staatspräsident den Euro - den sein Land freilich vorerst lieber nicht haben will. Bedenkt man, dass gerade mit dem Griechenland-Problem eine Schicksalsstunde der EU schlagen könnte, dann hatte die Rede etwas überaus Entspanntes. Die gegenwärtige Krise war nur wie ein Wetterleuchten am Horizont erkennbar. Beruhigend, dass in so aufregenden Zeiten so viel Normalität herrschen kann.

Gleichwohl hat Komorowski den alteingesessenen Westeuropäern beiläufig die Leviten gelesen. Recht deutlich hat er die EU als westliche Wertegemeinschaft ins Spiel gebracht. Was sie derzeit im Norden Afrikas an ideeller Hilfestellung leiste, widerspreche dem eigenen Anspruch, stets für Freiheit und Verantwortung einzutreten. Mit Papst Johannes Paul II. ging er so weit, Europa unsere Heimat zu nennen. Und mit listigem Stolz verwies er - ein einziges Mal - auf den allerersten Entwurf für eine europäische Verfassung.

Dieser Entwurf stammt aus der Feder des später als Biologe berühmt gewordenen Wojciech Jastrzebowski, der nach einer vergeblichen revolutionären Erhebung auf die Idee kam, der Freiheit müsse man ein europäisches Haus geben. Seine Schrift von 1831 trägt den schönen Titel "Gedanke vom ewigen Frieden zwischen den zivilisierten Nationen". In Europa haben wir den heute. Schön, dass es möglich ist, ihn auf langweilige Weise zu preisen.