Heute findet der Krisengipfel zu den Startschwierigkeiten des Bildungspaketes statt. Hamburgs Sozialsenator fordert einen Werbe-Stopp.

Hamburg/Berlin. Vor dem heutigen Krisentreffen zu den Startschwierigkeiten des Bildungspaketes für Kinder aus armen Familien hat Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) die Werbemaßnahmen des Bundes für die neuen Leistungen scharf kritisiert. In einem Brief an Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), der dem Abendblatt vorliegt, forderte er sogar, die aus Berlin geführten Kampagnen für das Bildungspaket zu stoppen. Er bitte sie, "die Kampagne des Bundes nicht weiterzuführen", so Scheele. Die vom Arbeitsministerium durchgeführte Öffentlichkeitsarbeit sei in Hamburg "nicht förderlich" gewesen, sondern habe "eher zur Verwirrung der Leistungsberechtigten geführt", heißt es in dem Schreiben.

Von der Leyen steht bereits seit Tagen in der Kritik. Zuvor war bekannt geworden, dass bislang nur ein Bruchteil der Berechtigten die Leistungen für Kinder beantragt haben. Seit dem 1. April können Hartz-IV-Familien und Wohngeldempfänger auf Antrag finanzielle Unterstützung für ihre Kinder bekommen - etwa für Nachhilfe, Sportvereine oder Musikunterricht. Zudem steht Schülern ein Basispaket zu, mit dem sie für 100 Euro pro Schuljahr Ranzen, Hefte oder Stifte erhalten können. Rund 2,5 Millionen Kinder sind deutschlandweit berechtigt, in Hamburg können 78 000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene vom Bildungspaket profitieren. Es ist Teil des neuen Hartz-IV-Gesetzes, das in einem monatelangen Vermittlungsverfahren und nach heftigen Streitereien zwischen Regierung und Opposition zustande gekommen war. Heute soll ein runder Tisch mit Vertretern von Ländern und Kommunen über die jetzt aufgetretenen Probleme beraten. Von der Leyen hatte bereits angekündigt, dass die Frist zur Beantragung rückwirkender Leistungen für die Monate Januar bis März bis zum Sommer verlängert werden könnte. Ursprünglich sollte diese Frist Ende April enden.

Sozialsenator Scheele begründete seine Kritik an von der Leyens Werbemaßnahmen mit einigen Beispielen. So verweise die Ministerin in ihrem Werbezettel darauf, dass Interessierte sich zuerst an Kreis- oder Stadtverwaltung wenden sollten. "Andererseits verweisen Sie zwei Seiten weiter auf die grundsätzliche Zuständigkeit der Jobcenter", heißt es in dem Brief. Von der Leyen selbst sprach sich gestern dafür aus, die betroffenen Eltern direkt anzuschreiben, um sie über die Möglichkeiten zu informieren. Dafür seien aber die Kommunen und nicht die Ministerin zuständig, sagte später jedoch ihr Sprecher. Kritik an diesem Vorgehen kam auch von der FDP. Die familienpolitische Sprecherin der Liberalen im Bundestag, Miriam Gruß, sagte dem Abendblatt, es sei "unbedingt notwendig", Kontakt zu den Familien aufzunehmen. "Diese wichtige Aufgabe auf die ohnehin überlasteten Kommunen abzuwälzen halte ich für problematisch." Das beste Bildungspaket für Kinder helfe nichts, wenn die Leistungen nicht von den Eltern abgerufen würden. Gruß plädierte dafür, über Nachbesserungen nachzudenken, sollten die Anlaufschwierigkeiten weiter bestehen bleiben.

Von der Leyen appellierte an die Eltern, ihre Verantwortung wahrzunehmen: "Sie sind ja in der Lage, ihren Hartz-IV-Regelsatz und die Mietkosten zu beantragen. Warum sollen sie keinen Antrag für das Bildungspaket der Kinder stellen können?" Der Bund der Steuerzahler ging noch einen Schritt weiter: "Die betroffenen Familien werden von selbst die Anträge ausfüllen, wenn sie vom Bildungspaket profitieren wollen", sagte Vizepräsident Rainer Holznagel dem Abendblatt. "Der Staat ist nicht in der Bringschuld, seine Maßnahmen auf Heller und Pfennig bei den Betroffenen auszuzahlen."

Zudem sei das Verhältnis zwischen Leistungen und Verwaltungsaufwand nicht stimmig. "136 Millionen Euro allein für Bürokratie sind eindeutig zu viel", kritisierte Holznagel mit Blick auf die Verwaltungsausgaben. "Es wäre deshalb besser gewesen, den Regelsatz für Kinder in Hartz-IV-Familien anzuheben, als dieses bürokratische Monstrum zu erfinden." Von der Leyen müsse zur Vernunft kommen. "Sie sollte endlich wirkliche Hilfsmaßnahmen für bedürftige Kinder in den Vordergrund stellen und weniger schlagwortartige Maßnahmen bewerben, die die Betroffenen nicht annehmen", mahnte er.