Deutsche Schüler verfehlen EU-Bildungsziele. Auch Hamburger Lehrer überfordert

Hamburg/Berlin. Unterrichten ist für viele Lehrer in den vergangenen Jahren deutlich anstrengender geworden. Davon ist mehr als jeder zweite Pädagoge (57 Prozent) überzeugt, wie eine gestern in Berlin veröffentlichte Allensbach-Studie zur Schul- und Bildungspolitik in Deutschland zeigt. Trotz aller Schwierigkeiten, die ihr Beruf mit sich bringt, würde sich eine große Mehrheit von 76 Prozent der befragten Pädagogen aber wieder für den Lehrerjob entscheiden.

Die Studie zeigt auch das überwiegend kritische Bild, das Lehrer von ihren Schülern zeichnen. Fast 60 Prozent der Pädagogen halten die Jugendlichen für selbstbezogen, mehr als 70 Prozent sieht eine überwiegend materialistisch geprägte junge Generation. Dabei ist es genau die Entwicklung der Persönlichkeit der jungen Menschen, die neun von zehn Lehrern zu ihren zentralen Aufgaben an der Schule zählen - Erziehung zur Achtung der Meinung anderer steht an der Spitze dieser Werte. Ausprägung von Ehrlichkeit und Rücksichtnahme folgen. Doch viele Lehrer sagen auch: Die Chance, diesem Auftrag gerecht zu werden, sind angesichts der Verhältnisse an den Schulen sehr gering.

Die Gewerkschaft Deutscher Lehrerverband in Hamburg kritisiert zudem die Arbeitsbedingungen der Pädagogen an den Schulen. "Lehrer sollen ein Vertrauensverhältnis zu ihren Schülern aufbauen. Doch dafür bleibt bei 26 Unterrichtsstunden überhaupt keine Zeit", sagt der Vorsitzende Helge Pepperling dem Hamburger Abendblatt. Lehrer würden zu viel unterrichten und hätten zu wenig Zeit für Gespräche unter vier Augen mit ihren Schülern. Dabei spielen vor allem zwei Aspekte eine wichtige Rolle: Zum einen plädieren mehr als 60 Prozent für mehr Freiheiten an den Schulen, etwa bei der Gestaltung der Lehrpläne. Ebenso viele halten die Vorgaben der Schulbehörde im Alltag im Klassenzimmer für nur schwer umsetzbar.

Zum anderen wünschen sich Lehrer oft etwas mehr Engagement der Eltern. 78 Prozent haben aber schon häufiger die Erfahrung gemacht, dass Eltern bei der Erziehung überfordert sind. Knapp drei Viertel (72 Prozent) der befragten Lehrer beobachten zudem, dass Eltern oftmals zu wenig Zeit für ihre Kinder haben. "Viele Schüler werden heute nicht ausreichend von ihren Eltern auf die Schule vorbereitet", sagt Pepperling vom Lehrerverband. Den Schülern fehle es an Disziplin und Konzentrationsfähigkeit.

Deutlich geht aus der Studie von Allensbach jedoch hervor, dass die Förderung der Eltern sehr stark mit der sozialen Herkunft der Familie zusammenhängt. So beklagen drei Viertel der Hauptschullehrer, aber nur 28 Prozent der Gymnasiallehrer, dass sich die Eltern kaum für die schulischen Leistungen ihrer Kinder interessieren. Bedenklich sei auch, "dass die Chancen von Hauptschülern durch Lehrer immer negativer, die von Gymnasiasten immer positiver eingeschätzt werden", sagt die Geschäftsführerin des Allensbach-Instituts, Renate Köcher.

Im EU-weiten Vergleich landen deutsche Schüler nach einem gestern veröffentlichten Bildungsbericht unterdessen im Mittelfeld. So tun sich hierzulande 18,5 Prozent der 15-Jährigen schwer in der Disziplin Lesen. Bis 2010 - die Zahlen werden für Sommer erwartet - sollte ihr Anteil laut EU-Vorgaben auf 17 Prozent sinken. Schwächer als andere ist Deutschland auch, wenn es um den Anteil der Abiturienten und Hochschulabsolventen geht. 73,7 Prozent der 22-Jährigen haben in Deutschland das Abitur oder eine Lehre in der Tasche. Im EU-Schnitt schaffen das mehr, nämlich 78,6 Prozent. Auch die Schulabbrecher-Quote ist weiterhin ein Problem. In der Bundesrepublik beenden 11,1 Prozent der 18- bis 24-Jährigen die Schule ohne Abschluss. Laut EU soll der Anteil auf höchstens zehn Prozent gesenkt werden. Die Unterschiede zwischen den Mitgliedsländern sind dabei riesig: Während Polen mit 5,3 Prozent am besten abschneidet, bildet Malta mit 36,8 Prozent das Schlusslicht.

Der Bildungsexperte der SPD-Fraktion im Bundestag, Ernst-Dieter Rossmann, beklagt mit Blick auf diese Zahlen zu geringe Investitionen in die Bildungsinfrastruktur. "Zum OECD-Durchschnitt klafft da eine Lücke von 20 Milliarden Euro", sagte er dem Abendblatt. "Speziell auch die Versäumnisse bei der Bildung von eingewanderten Kindern und Jugendlichen wirken leider nach." Der Pinneberger Abgeordnete betonte, man brauche "eine große Gemeinschaftsleistung von Bund, Ländern und Kommunen statt des elendigen Konkurrenzdenkens der Länder untereinander."

Zwei der von der EU vereinbarten Ziele werden von Deutschland jedoch erreicht: Seit 2000 ist die Anzahl der Absolventen mathematischer, naturwissenschaftlicher und technischer Fächer durchschnittlich um 37 Prozent gestiegen. Damit wird das angestrebte Ziel deutlich übertroffen. Die Bundesrepublik erreicht die Vorgaben zudem in einem anderen Punkt: 95,6 Prozent der Kinder besuchen eine Vorschule. In vielen Feldern an der Spitze sind erneut die skandinavischen Länder. So tun sich etwa in Finnland nur 8,1 Prozent der Schüler mit dem Lesen schwer. "Die skandinavischen Länder haben eine andere Bildungstradition ohne das völlig falsche statische Begabungsdenken in Deutschland", so Rossmann. Und noch ein Faktor ist nach seiner Ansicht für den Erfolg der Nordländer ausschlaggebend: mehr Wertschätzung für Lehrer und Pädagogen.