Die Landesverbände Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein gehen auf Distanz zur Parteispitze, um Wahlen zu gewinnen.

Berlin. Schon wieder so eine Umfrage. Schon wieder würde es nicht für Rot-Grün, sondern nur für Grün-Rot reichen, sollte an diesem Sonntag im Land gewählt werden. Gestandene Sozialdemokraten müssen derzeit bittere Nachrichten ertragen. In Baden-Württemberg wird die SPD bald dem ersten grünen Ministerpräsidenten zur Macht verhelfen, und im Bund könnte sich das Szenario bei der Bundestagswahl 2013 wiederholen: Die SPD erreicht in der aktuellen Forsa-Umfrage 24 Prozent, die Grünen 27.

Die SPD ringt um Gehör, ums Profil, um die Aufarbeitung der vergangenen Niederlagen. Aber Luft zum Durchatmen hat sie nicht. Die Vorherrschaft im linken Lager droht sie an die Grünen zu verlieren. Und sie hat noch viel mehr zu verlieren in diesem Jahr. Die Sozialdemokratie im Norden befindet sich im Dauerwahlkampf. Im Mai wird in Bremen gewählt, im September in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Noch ist die SPD die Nummer eins in diesen Ländern und stellt die Regierungschefs. 2012 geht der Wahlkampf weiter: Dann wird in Schleswig-Holstein, der einstigen SPD-Hochburg, gewählt. Eine weitere Schmach wie 2009 kann sich die SPD in Kiel nicht erlauben.

Doch die Lage der Bundespartei drückt die Stimmung in den Nord-Verbänden. Mit der SPD, wie sie sich in der Parteizentrale mit dem als sprunghaft geltenden Sigmar Gabriel darstellt, will man hier vom Wähler lieber nicht in Verbindung gebracht werden. Für führende Genossen im Norden wirkt die SPD wie eine Partei ohne Thema. Die Verbände haben sich daher einen strikten Kurs als Regionalpartei verordnet.

Wer Norbert Nieszery, den Fraktionschef der Sozialdemokraten im Schweriner Landtag, auf die Bundespartei anspricht, bekommt nur wenig Gutes über die Kollegen zu hören. "Mit Ausnahme von Manuela Schwesig fehlt es der SPD im Bund an politischer Überzeugungskraft - und das selbst gegenüber einer extrem schwachen und chaotischen Bundesregierung", sagt Nieszery im Gespräch mit dem Abendblatt. Er ist der Meinung, dass die Bundes-SPD die Menschen nicht mehr erreicht. "Auf Bundesebene ist die SPD offensichtlich nicht in der Lage, wichtige Themen, die die Menschen tief bewegen, kraftvoll und glaubhaft zu besetzen. Da sind wir hier in Mecklenburg-Vorpommern oder auch in Hamburg wesentlich besser." Es geht Nieszery um klare Bekenntnisse, etwa zum Afghanistan-Mandat der Bundeswehr. Als einziges SPD-geführtes Land hat sich Mecklenburg-Vorpommern wiederholt gegen diesen Einsatz gestellt. "Und da stehen wir auch alle hinter", betont er.

Ministerpräsident und SPD-Landeschef Erwin Sellering will bei der Wahl am 4. September im Amt bestätigt werden - und noch stehen die Chancen gut. Gegen den Bundestrend stehen die Sozialdemokraten in den Umfragen sogar besser da als bei der Wahl 2006. Was den Koalitionspartner angeht, so geben sich die Genossen in Schwerin maximal flexibel. Eine Fortsetzung der Koalition mit der CDU ist genauso möglich wie ein Bündnis mit der Linkspartei, die in den Umfragen drittstärkste Kraft ist.

Robert Habeck: Hoffnungsträger von der Förde

In Bremen wird es schon am 22. Mai ernst. Vieles deutet darauf hin, dass Bürgermeister Jens Böhrnsen nach der Bürgerschaftswahl mit den Grünen weiterregieren kann. Große Sorgen machen sich die Genossen an der Weser nicht - immerhin regieren sie bereits seit August 1945 in der Hansestadt. Ununterbrochen. Damit die Fortsetzung der Erfolgsgeschichte nicht in Gefahr gerät, will man in Bremen am liebsten auch nur über Themen sprechen, die die Stadt bewegen. Und da sieht sich die SPD in bester Verfassung. Landeschef Andreas Bovenschulte stellt fest: "Natürlich könnte die allgemeine Lage der SPD besser sein. Aber wir sind hier in der Hansestadt sehr gut aufgestellt, insbesondere auch mit unserem Spitzenkandidaten Jens Böhrnsen. In den Umfragen stehen wir gut da und wir haben eine hohe Glaubwürdigkeit." Vor allem die Energiepolitik, die jetzt die Grünen so beflügle, sei für die Bremer SPD schon lange ein Thema.

In den Umfragen hat die SPD zugelegt. Der Abstand zu den Grünen, die vor der CDU landen könnten, ist ausreichend. Es gibt kaum noch Orte in der Republik, wo die Genossenwelt noch so in Ordnung ist wie hier. Wenn man hier doch über die Lage der Gesamt-SPD spricht, kocht die Wut über die Regierungsjahre wieder hoch. "Bis heute hat sich die SPD nicht vollständig davon erholt, dass sie unter der Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Sozial- und Arbeitsmarktpolitik ins Rollen gebracht hat, bei der vor allem auch die eigenen Leute Abstriche hinnehmen mussten", meint Bovenschulte. "Das hat sich eingebrannt in das kollektive Gedächtnis der Wähler. Und es hat Vertrauen gekostet, das jetzt mühevoll wieder aufgebaut werden muss."

Den Vertrauensaufbau muss die SPD in Schleswig-Holstein seit dem Machtverlust vor anderthalb Jahren im Eiltempo vornehmen. Wegen eines verfassungswidrigen Wahlrechts wird die Landtagswahl vorgezogen, am 6. Mai 2012 wird der neue Landtag bestimmt. Und die SPD steht wieder gut da, auch besser als im Bund. Für Rot-Grün kann es reichen. Dabei hatte der Landesverband genauso wenig Zeit wie die Bundes-SPD, sich zu erholen. Die Wahlen im Bund und im Land hatten schließlich am selben Tag stattgefunden. Aber Landeschef Ralf Stegner hält seinen Verband für beweglicher und vielleicht auch für fleißiger als die SPD im Bund. "Wir sind in Schleswig-Holstein an manchen Punkten schon da, wo die Bundespartei noch hin will. Wir haben zukunftstaugliche Antworten auf wichtige energiepolitische Fragen, ein eigenes Steuerkonzept entwickelt, sind bildungspolitisch vorne und beim Thema 'gute Arbeit' ordentlich aufgestellt", zählt er die Fakten des Aufbruchs auf.

Er selbst hat keine Chancen mehr, Ministerpräsident zu werden. Die Spitzenkandidatur luchste ihm der Kieler Oberbürgermeister Torsten Albig ab. Aber Stegner sitzt als Landes- und Fraktionschef fest im Sattel. Noch funktioniert der Burgfrieden. Und mit einem Wahlkampf mit Landesthemen nach erfolgreichem Hamburger Vorbild soll er noch lange halten. "Wir werden mit der Wahl in Schleswig-Holstein die Vorlage für die Bundestagswahlen 2013 liefern", ist Stegner überzeugt. "Wenn wir hier die rot-grüne Mehrheit schaffen, wird auch im Bund der Regierungswechsel eingeläutet." Ob dann aber die SPD den Kanzler stellt, ist ungewiss. Damit wollen sich die Sozialdemokraten im Norden vorerst lieber nicht beschäftigen.