Trotz des Umfragerekords verschreibt sich die Partei, demütig zu bleiben. Noch hält die SPD zu ihrem Wunschpartner

Berlin. Den Praxistest in Baden-Württemberg haben die Grünen noch gar nicht angetreten. Doch das Vertrauen der Wähler in die Partei hat bundesweit erneut einen Höhepunkt erreicht. Während Grüne und SPD in Stuttgart die neue Regierung aushandeln und Winfried Kretschmann demnächst erster grüner Ministerpräsident werden soll, haben sich die Grünen im neuen Wahltrend von "Stern" und RTL von 21 auf 28 Prozent verbessert. Laut der Forsa-Umfrage landet die SPD nur noch bei 23 Prozent. Grün-Rot hätte damit die absolute Mehrheit - und die Grünen könnten erstmals den Bundeskanzler stellen. Sowohl bei der SPD als auch bei den Grünen rieben sich die Verantwortlichen erst einmal die Augen, als sie die Zahlen sahen. Aber den Fragen nach einer parteiinternen Debatte um eine Kanzlerkandidatur gingen die Spitzen-Grünen vorsichtshalber aus dem Weg.

Als eine der wenigen, die zum Umfragerekord Stellung bezog, gehörte Grünen-Chefin Claudia Roth. Sie warnte vor vorschnellen Schlüssen: "Wir erleben gerade, dass die Stimmungen der Wählerinnen und Wähler stark schwanken." Das habe mit der Verunsicherung zu tun, die die schwarz-gelbe Bundesregierung durch einen unglaubwürdigen Zick-Zack-Kurs verbreite. Die Menschen suchten Halt und gute politische Konzepte. "Wir sind uns der damit einhergehenden Verantwortung bewusst", so die Grünen-Chefin. "Wir lassen uns aber von Umfragewerten nicht ablenken, sondern unser Job als Grüne ist es, dort, wo wir bei den letzten Wahlen breite Unterstützung erfahren haben, jetzt ordentliche Politik zu machen."

Bloß nicht abheben, scheint weiter die Devise in der Grünen-Zentrale zu sein. Sollte sich der Umfragewert festigen, käme die Partei aber kaum an der K-Frage für 2013 vorbei. Und da hätte Renate Künast die besten Chancen, erste grüne Bundeskanzlerin zu werden. Laut Forsa bekommt die Fraktionschefin die größte Zustimmung: 48 Prozent der Befragten meinen, dass sie in der bundesdeutschen Politik eine wichtige Rolle spielen solle. Parteichef Cem Özdemir kommt mit 46 Prozent auf den zweiten Platz, gefolgt von Kofraktionschef Jürgen Trittin mit 40 Prozent. Es folgen Kretschmann (39 Prozent) und Koparteichefin Roth (36 Prozent).

Bei den Sozialdemokraten gab man sich nach außen entspannt über das grüne Umfragewunder. Man wolle die Bundesregierung 2013 ablösen, und das gehe nur mit starken Grünen, meinte etwa der parlamentarische Geschäftsführer Thomas Oppermann. Auch SPD-Präsidiumsmitglied Ralf Stegner mahnte die eigenen Reihen, gelassen zu bleiben: "Es wird auch nach Baden-Württemberg Länder geben, in denen die Grünen Chancen haben, stärker zu werden als die SPD. Das müssen wir ertragen können", sagte Stegner dem Abendblatt. In den meisten Ländern seien die Verhältnisse aber klar: "Die SPD steht vor den Grünen." Man bevorzuge die Grünen als Koalitionspartner, "aber wir ketten uns nicht an die Partei".

Stegner sprach sich zugleich dafür aus, sich künftig der FDP stärker zu öffnen. "Die FDP wird sich von der Union lösen müssen und wird auf die SPD zukommen. Davon bin ich fest überzeugt." Es gebe Bereiche, "in denen wir nicht weit auseinander sind, etwa in den Bürgerrechtsfragen". Stegner betonte: "Wenn wir Sozial- und Bildungspolitik ernsthaft miteinander diskutieren können, dann wird die FDP ein Gesprächspartner, dem wir uns nicht verschließen." Wenn die FDP aber ihren Steuersenkungstrip nicht verlasse und die Sozialsysteme weiter kaputt machen wolle, werde es schwierig. Der designierte FDP-Chef Philipp Rösler wirke zwar weniger marktliberal als Guido Westerwelle, aber seine Gesundheitspolitik mache bisher wenig Hoffnung auf einen Politikwechsel bei den Liberalen.