Opposition: Merkel und Westerwelle verspielen Glaubwürdigkeit. Auch US-Präsident Obama wegen Militäreinsatz in der Kritik

Hamburg/Berlin. Die Position der Bundesregierung in der Libyen-Krise hat zu einem erbitterten Streit quer durch die Parteien in Berlin geführt. Die wohl schärfste Kritik äußerte der frühere Außenminister und Grünen-Politiker Joschka Fischer. Die deutsche Außenpolitik sei eine "Farce" und die Enthaltung im Uno-Sicherheitsrat zur Libyen-Resolution ein "skandalöser Fehler", schrieb Fischer in der "Süddeutschen Zeitung". Deutschland habe damit seine außenpolitische Glaubwürdigkeit verloren und seinen Anspruch auf einen ständigen Sitz im Uno-Sicherheitsrat "in die Tonne getreten". Ihm bliebe nur noch die "Scham für das Versagen unserer Regierung".

Der ehemalige Außenamts-Koordinator für die deutsch-amerikanischen Beziehungen, Hans-Ulrich Klose (SPD), nannte die Haltung der Bundesregierung in der "tageszeitung" einen "gravierenden Fehler". Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) präsentiere sich als "Friedensengel" und habe damit "die Spaltung im Bündnis vertieft". Es sei immer die Grundlage deutscher Außenpolitik gewesen, keine Alleingänge zu unternehmen, sondern gemeinsam mit den Bündnispartnern vorzugehen.

Der SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann sagte im ZDF-"Morgenmagazin", die Bundesregierung könne nach ihrer Enthaltung im Sicherheitsrat die internationale Staatengemeinschaft nicht mehr kritisieren. Allerdings sei es richtig, keine Soldaten nach Libyen zu schicken.

Der Fraktionschef der Grünen, Jürgen Trittin, meinte ebenfalls, es sei zwar richtig gewesen, sich nicht an dem Militäreinsatz in Libyen zu beteiligen. Doch hätte man diese richtige Haltung auch anders ausdrücken können als durch eine Enthaltung. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Westerwelle erweckten den Eindruck, als "sei die Unterstützung der Opposition in Libyen kein ernsthaftes Anliegen deutscher Politik", sagte Trittin.

Der stellvertretende Fraktionschef der Linken, Jan van Aken, forderte einen sofortigen Waffenstillstand. Er fühle sich "an den Irak 2003" erinnert, sagte van Aken. Falls es nicht in den nächsten Tagen zu einer Waffenruhe komme, dann drohe Libyen "endgültig im Kriegschaos" zu versinken.

Die Beteiligung deutscher Soldaten an Awacs-Überwachungsflügen über Afghanistan zur Entlastung der in Libyen eingesetzten Alliierten nannte van Aken einen "Gipfel der Heuchelei". "Ich kann doch nicht gegen den einen Krieg sein und gleichzeitig den anderen Krieg verschärfen". Die Bundesregierung will dies heute beschließen. Angela Merkel bedauerte die Kritik an der Position der Bundesregierung - auch aus den eigenen Reihen. "Unsere Diskussion über die Abstimmung zu Libyen macht mich traurig", sagte Merkel vor der Unionsfraktion. Es habe schwerwiegende Gründe für die Enthaltung gegeben. Auch Westerwelle wies die Kritik zurück und betonte: "Wir wären heute vor der Frage, ob deutsche Soldaten nach Libyen gehen." Man könne nicht im Sicherheitsrat für einen Einsatz stimmen und anschließend bei der Nato dagegen sein. Die Behauptung, Deutschland sei international isoliert, treffe nicht zu.

Während alliierte Kampfflugzeuge und Marschflugkörper auch gestern wieder Ziele in Libyen zerstörten, Gaddafis Truppen ungeachtet dessen ihre Angriffe auf die Rebellen fortsetzten und Tausende Menschen vor den Kämpfen auf der Flucht waren, ist auch in den USA eine lebhafte Libyen-Debatte angelaufen. Abgeordnete sowohl der Republikaner als auch der Demokraten warfen US-Präsident Barack Obama vor, mit dem Militäreinsatz seine verfassungsmäßigen Kompetenzen überschritten zu haben. Er hätte zunächst den Kongress einschalten müssen.

Obama verteidigte sich in einem Brief an den Kongress mit dem Hinweis, er verfüge sehr wohl über das Recht, Militärschläge anzuordnen, sofern sie nach Zeit und Intensität begrenzt seien. Auf Staatsbesuch in Santiago de Chile fügte Obama hinzu, die USA würden in Kürze die volle Verantwortung für die Flugverbotszone an die Verbündeten abtreten. Wie die "New York Times" schrieb, sei das Pentagon derzeit nach Kräften bemüht, die USA aus einem dritten Militäreinsatz in einem islamischen Land - nach Irak und Afghanistan - so rasch wie irgend möglich herauszuhalten, vor allem aus Rücksichtnahme auf die islamische Welt.

Das US-Militär hatte gestern seinen ersten Verlust zu melden: Ein Kampfjet vom Typ F-15 E stürzte in Libyen ab, die beiden Piloten konnten sich mit dem Schleudersitz retten und wurden von US-Spezialisten geborgen.