Die Kommission soll einen “Ausstieg mit Augenmaß“ erarbeiten. Doch der Bundesverband der Erneuerbaren Energien kritisiert das Gremium

Berlin. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern zum großen Gipfel zur Zukunft der Atomkraft in ihr Amt einlud, demonstrierten draußen rund 100 Atomkraftgegner mit Trillerpfeifen gegen die Energiepolitik der Bundesregierung. "Abschalten: jetzt und endgültig", skandierten sie mit Blick auf die acht bereits vorübergehend abgeschalteten Atomkraftwerke.

Eine Woche ist es her, dass die Regierung beschlossen hatte, die ältesten Meiler vom Netz zu nehmen. Nach der Atomkatastrophe in Japan soll nun ein "Rat der Weisen" auf Wunsch der Kanzlerin erörtern, wie ein "Ausstieg aus dem Atomzeitalter mit Augenmaß" vollzogen werden könne. Dazu werde eine Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung eingesetzt, sagte Merkel nach einem Spitzentreffen mit dem Bundesumweltminister, dem Bundeswirtschaftsminister sowie einigen Unions-Ministerpräsidenten.

Konkrete Ergebnisse des Treffens gab die CDU-Chefin jedoch nicht bekannt. So ist weiter offen, welche Sicherheitsstandards künftig für die 17 deutschen Reaktoren gelten und nach welchen Maßstäben sie überprüft werden sollen. Auch bleibt unklar, ob die abgeschalteten ältesten AKWs dauerhaft stillgelegt werden, ob die gerade erst beschlossene Laufzeitverlängerung zurückgenommen und wie schnell in Deutschland der Übergang zu erneuerbaren Energien bewerkstelligt wird.

Den Vorsitz der Kommission übernehmen laut Merkel der frühere Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) und der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Matthias Kleiner. Auch Philosophen und Unternehmer gehören dazu - so auch Atombefürworter wie BASF-Chef Jürgen Hambrecht. Töpfer sprach sich in der "Frankfurter Rundschau" dafür aus, die sieben älteren deutschen Atomkraftwerke dauerhaft stillzulegen. Das sei möglich, ohne die Stromversorgung zu gefährden. Deutschland könne schneller aus der Kernkraft aussteigen. Die "Brücke ins Zeitalter der erneuerbaren Energien" könne kürzer angelegt werden als bisher geplant.

Während die ethische Debatte nun in einer neuen Kommission geführt werden soll, ist die Reaktorsicherheitskommission (RSK) weiterhin für die Überprüfung der Sicherheit der Meiler zuständig. Das Gremium aus 16 ehrenamtlichen Mitgliedern gibt es seit 1958. Es berät das zuständige Bundesumweltministerium in Fragen zur Sicherheit von Atomanlagen. Geht es nach Merkel, soll das Gremium nach der Katastrophe in Japan nun neue Fragen zur Reaktorsicherheit erarbeiten und zudem einen Arbeitsplan für deren Überprüfung erstellen. Als Themen nannte die Kanzlerin neben der Erdbeben- und Flutsicherheit auch die Gefahr von Cyber-Angriffen sowie das Risiko "kumulativer Ereignisse" - also mehrerer Unglücke gleichzeitig wie jetzt in Japan.

Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) kritisierte die Berufung des Expertengremiums. "Um aus der risikoreichen Atomkraft auszusteigen, braucht es keine neue Kommission, sondern verlässliche Technologien, die sie nachhaltig und zu bezahlbaren Preisen ersetzen kann", sagte Björn Klusmann, Geschäftsführer des BEE, dem Hamburger Abendblatt. Deutschland könne sofort acht Atomkraftwerke ersetzen, ohne dass es zu Versorgungsengpässen oder höheren Strompreisen komme. "Noch vor dem Jahr 2020 können die Erneuerbaren problemlos alle Reaktoren in Deutschland ersetzen."

Nach Angaben des BEE würden die Unternehmen für erneuerbare Energien mit der Investition von rund 150 Milliarden Euro in neue Erzeugungskapazitäten bis 2020 den Ausstieg aus der Atomkraft nicht nur vollständig kompensieren, sondern auch darüber hinaus bezahlbaren und umweltverträglichen Strom liefern.

Die Opposition mutmaßt zudem, dass die Regierung sich über die Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg retten will und letztlich nur einige wenige Meiler als "Bauernopfer" dauerhaft vom Netz müssen, womöglich jeweils einer von jedem Betreiber, etwa Biblis A (RWE), Neckarwestheim 1 (EnBW), Isar 1 (E.on) und Krümmel (Vattenfall). "Das ganze AKW-Moratorium wird immer mehr zur Farce", sagt Grünen-Fraktionsvize Bärbel Höhn.