FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger über den Wahlkampf und die Kehrtwende in der schwarz-gelben Atompolitik

Berlin. Roman Heflik und Nina Paulsen

Für FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger ist es eine anstrengende Woche gewesen. Das schwere Erdbeben am vergangenen Freitag hat nicht nur Japan erschüttert, sondern auch die deutsche Politik kräftig aufgewirbelt: In der Bundesrepublik ist die Atomdebatte erneut entbrannt und hat die schwarz-gelbe Bundesregierung zu einem schnellen und radikalen Wandel ihrer Energiepolitik getrieben. Die erst im Herbst beschlossene Laufzeitverlängerung wurde ausgesetzt, acht alte Meiler sind vom Netz.

Für die Opposition ist das pure Wahlkampftaktik von Union und FDP. Die Regierungsparteien sind in Erklärungsnot. So kurz vor den Landtagswahlen ist das eine kritische Situation. Homburger pendelt jetzt viel zwischen Wahlkampfterminen und Sitzungen in Berlin hin und her. Im Interview mit dem Hamburger Abendblatt verteidigt sie den Kurs ihrer Partei.

Hamburger Abendblatt:

Frau Homburger, können Sie im Moment eigentlich noch ruhig schlafen?

Birgit Homburger:

Ja. Warum?

Union und FDP haben eine radikale Kehrtwende in ihrer Atompolitik hingelegt, um sich über die anstehenden drei Landtagswahlen zu retten. Fürchten Sie nicht, dass dieses Manöver schiefgeht?

Homburger:

Nein. Wir haben uns beim Energiekonzept an der Sicherheit der Kernkraftwerke orientiert. Unsere Sicherheitsphilosophie ist völlig klar: Entweder ein Kernkraftwerk entspricht den geltenden Sicherheitsbestimmungen, dann muss man es betreiben dürfen. Wenn nicht, muss es sofort abgeschaltet werden. Das müssen SPD und Grüne auch so sehen, sonst hätten sie in ihrer Regierungszeit die Kernkraftwerke sofort stilllegen müssen.

Wenn das schon immer alles so klar war, bräuchten wir ja jetzt keine neue dreimonatige Sicherheitsüberprüfung.

Homburger:

Wir können nach den Ereignissen in Japan nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Es geht jetzt nicht um die Überprüfung der Kernkraftwerke nach den bisher geltenden Regeln. Vielmehr muss das Regelwerk selbst überprüft werden.

Aber was ist neu? Die Gefahren von einem Flugzeugabsturz auf ein Kraftwerk oder etwa die eines Erdbebens im Rheingraben werden seit Jahren diskutiert.

Homburger:

Deshalb entsprechen unsere Kraftwerke auch höchsten Sicherheitsanforderungen. Nach wie vor haben wir keine gesicherten Erkenntnisse über die Abläufe in den japanischen Unglücksreaktoren. Wir wissen aber, dass die Notstromaggregate nicht wegen des Erdbebens, sondern wegen des Tsunamis ausgefallen sind. Daraus ziehen wir die Lehre, dass zukünftig die Mehrfachsicherung mit Notstromaggregaten auf verschiedene Räume verteilt werden muss. Auch wenn es in Deutschland keinen Tsunami gibt, kann es einen Wassereinbruch geben. Sorgen mache ich mir aber auch um die ausländischen Kernkraftwerke nahe der deutschen Grenze - etwa das im französischen Fessenheim. Deshalb war es wichtig, dass die Bundesregierung auch in Europa gleich die Initiative ergriffen hat.

Wann können wir vollständig auf Atomenergie verzichten? Umweltminister Norbert Röttgen sagt, in etwa zehn bis 15 Jahren. Stimmen Sie zu?

Homburger:

Ich glaube nicht, dass man das seriös vorhersagen kann. Das scheitert schon an den Rahmenbedingungen: Zwar gewinnen wir in Norddeutschland viel Windenergie, haben aber massive Probleme, den Strom zum Verbraucher zu bringen. Wenn allein die Planung für einen Netzausbau mehr als zehn Jahre in Anspruch nimmt, wird es zu lange dauern, bis wir das Zeitalter der erneuerbaren Energien erreichen. Wir brauchen deshalb ein neues Gesetz, das die Planung beim Netzausbau beschleunigt.

Möglicherweise wird es aber daran scheitern, dass viele Menschen nicht wollen, dass eine Stromleitung über ihrem Dach hängt.

Homburger:

Wenn wir zukunftsfähig werden wollen, müssen wir eine Lösung finden. Dazu gehört, dass alle, die die regenerativen Energien fördern wollen, Überzeugungsarbeit leisten. Auch SPD und Grüne müssen daran mitarbeiten. Außerdem fordert die FDP die Einführung eines Mediationsverfahrens im Planungsrecht.

Der Netzausbau wird ins Geld gehen. Dazu wurden acht Atommeiler gestoppt. Wird das den Strompreis in die Höhe treiben?

Homburger:

Kurzfristig wird es eher wenig Auswirkung haben. Bleiben sie dauerhaft abgeschaltet, sind Strompreiserhöhungen nicht auszuschließen.

Die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg stehen unmittelbar bevor. Werden Ihnen die Wähler das neue Öko-Image abkaufen?

Homburger:

Es geht nicht um ein Öko-Image. In dieser Situation war entschlossenes Handeln nötig. Wir wollen eine zuverlässige, bezahlbare und umweltverträgliche Energieversorgung sicherstellen.

Trotzdem scheinen die Bürger das nicht zu honorieren. Die Grünen legen in den Umfragen zu, die FDP verliert. Was machen die Liberalen falsch?

Homburger:

Die Menschen verbinden das Thema Atomausstieg mit den Grünen. Zudem wird die Debatte in Deutschland sehr emotional geführt - dementsprechend emotional wird in so einer Situation auch reagiert.

In allen drei Ländern könnte die FDP aber herbe Verluste einfahren oder sogar aus den Parlamenten fliegen. Wie wollen Sie das Ruder jetzt noch herumreißen?

Homburger:

Indem wir unsere klare Linie halten. Im Moment dominiert das Thema Kernenergie, dennoch interessieren sich die Menschen auch noch für andere Themen wie Bildung, Wirtschaft oder Bürgerrechte. Eine Situation wie diese hatten wir noch nie, und niemand kann voraussagen, wie sich das am Ende auswirken wird.

Flammt die Personaldebatte wieder auf, wenn es im FDP-Stammland Baden-Württemberg zu einer Niederlage kommt?

Homburger:

Die Personaldebatten in der FDP sind vorbei. Mit unserer Geschlossenheit werden wir die Wahl gewinnen.

Frau Homburger, waren Sie eigentlich jemals neidisch auf Karl-Theodor zu Guttenberg?

Homburger:

Nein.

Aber er hat sich mit Ihrem Kernprojekt, der Bundeswehrreform, kräftig profilieren können. Das müsste Sie doch stören?

Homburger:

Die Aufmerksamkeit liegt nun mal beim ausführenden Minister, auch wenn er eine Idee der FDP umsetzt. Aber die Aussetzung der Wehrpflicht ist ein Erfolg der FDP. Ich habe bei den Koalitionsverhandlungen darauf bestanden, den Wehrdienst auf sechs Monate zu verkürzen - so kurz, dass man ihn genauso gut auch aussetzen konnte. Dass dann die Union so schnell einlenkt, hätte ich mir nie träumen lassen.

Bei der Reform hapert es aber noch an vielen Ecken - vor allem bei der Personalgewinnung. Im Moment gibt es nicht genug freiwillige Soldaten.

Homburger:

Der neue Bundesverteidigungsminister muss jetzt dafür sorgen, dass die Bundeswehrreform zügig umgesetzt wird. Wir brauchen eine Umgestaltung der Kreiswehrersatzämter, die sich jetzt aktiv um Nachwuchs kümmern müssen. Gleichzeitig brauchen wir ein Attraktivitätsprogramm für die Bundeswehr.

Die Regierung will die Wehrpflicht zum 1. Juli endgültig aussetzen. Bis dahin dürften die Probleme kaum gelöst sein.

Homburger:

Es zeigt sich jetzt, dass Herr zu Guttenberg vieles angestoßen, aber auch viele Baustellen hinterlassen hat. Für uns ist klar: Es bleibt bei der Bundeswehrreform und bei der Aussetzung der Wehrpflicht.

Sozialverbände und das Familienministerium fürchten, dass sich auch für den neuen Bundesfreiwilligendienst nicht genug junge Leute melden werden.

Homburger:

Ich bin überzeugt, dass wir schnell genügend Freiwillige finden. In den letzten Jahren hatten wir immer mehr Bewerber als Plätze für das freiwillige soziale Jahr. Wegen des demografischen Wandels müssen wir aber früher oder später auch ältere Menschen mit ihrer großen Lebenserfahrung nach ihrem Ausscheiden aus dem Berufsleben für die Freiwilligendienste gewinnen.