Japan steht kurz vor einer nuklearen Katastrophe. Das Hamburger Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zu den möglichen Folgen des GAUs.

Hamburg/Fukushima. In Fukushima ist gestern das schlimmste Szenario eingetreten: Aus den Katastrophen-Reaktoren im Nordosten Japans entweicht massiv radioaktive Strahlung. Das Hamburger Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zu den möglichen Folgen des GAUs:

Wie gefährlich ist der gestern gemessene Spitzenwert der Strahlenbelastung von 400 Millisievert?

Mit einer akuten Strahlenkrankheit ist zu rechnen, wenn ein Mensch über einen kurzen Zeitraum (ein bis zwei Stunden) einer Strahlung von 500 bis 1000 Millisievert (mSv) ausgesetzt ist. Entscheidend ist der Zeitraum, in dem eine Dosis von 1000 mSv erreicht ist. Bei einer Belastung von 400 mSv wäre dies in zweieinhalb Stunden der Fall. In Deutschland wird im Falle eines Reaktorunglücks bei zehn mSv der Aufenthalt in Gebäuden empfohlen. Bei 100 mSv wird die betroffene Region evakuiert. Die natürliche Strahlung beträgt etwa zwei mSv pro Jahr.

Welche Belastungen traten in Tschernobyl und Harrisburg auf?

In Tschernobyl lag die Radioaktivität bei mehreren Tausend mSv. Die Hälfte der Arbeiter in der Kraftwerksruine, die einer Dosis von 6000 mSv und mehr ausgesetzt waren, starb. Ab einer Belastung von 350 mSv siedelten die Behörden Anwohner um. In Harrisburg (US-Bundesstaat Pennsylvania) gab es im 1979 eine teilweise Kernschmelze. Dabei entwichen geringe Mengen von radioaktivem Xenon-133 und Jod-131. Rechnerisch führte dies zu einer Maximaldosis von 0,85 mSv.

Wie können die Arbeiter im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi vor der Strahlung geschützt werden?

Die einfachste Maßnahme ist, sich an weniger belasteten Orten (Steuerzentrale o. ä.) aufzuhalten. Dies wird nur eingeschränkt möglich sein. Gasmasken und Anzüge schützen vor radioaktivem Staub, Betonschilde oder Bleimatten, sofern vorhanden, vor Strahlung.

Wie kann sich die japanische Bevölkerung schützen?

"Sie sollte sich in Gebäuden aufhalten und Radio hören, um die neuesten Entwicklungen mitzubekommen", sagt Mathias Steinhoff, Strahlenschutzexperte beim Öko-Institut Darmstadt. Zudem wurden Jodtabletten verteilt. Sie dürfen erst eingenommen werden, wenn große Mengen Radioaktivität freigesetzt wurden, etwa in Form von Jod-131 und Jod-133. Da die Tabletten sehr hoch dosiert sind, drohen Nebenwirkungen. Deshalb dürfen sie nicht vorsorglich geschluckt werden.

Besteht in Deutschland irgendeine Gefahr durch den GAU in Japan?

Nein. Fast 9000 Kilometer Luftlinie liegen zwischen Fukushima und Deutschland. Selbst wenn die radioaktive Wolke gegen die übliche Westwinddrift der gemäßigten Breiten auf kürzestem Wege nach Deutschland wehen würde, bräuchte sie mehrere Wochen. Die wichtigste radioaktive Substanz, Jod-131, ist aber bereits nach acht Tagen zur Hälfte zerfallen (Halbwertszeit). Zudem verdünnt sich die Wolke auf ihrem Weg stark und wird durch Regen ausgewaschen. Vermutlich werden Messstationen in Europa in einigen Wochen eine leicht erhöhte Radioaktivität registrieren, die aber weit unterhalb einer gesundheitlich bedenklichen Schwelle liegen wird.

Welche strahlenden Substanzen werden frei, und wie wirken sie?

Zwei Substanzen haben eine besondere Bedeutung für die menschliche Gesundheit: radioaktives Jod (vor allem die Varianten Jod-131 und Jod-133) und Cäsium (-134 und -137). Das radioaktive Jod reichert sich in der Schilddrüse an, zerfällt dort weiter und schädigt dabei das umliegende Gewebe. Cäsium wird vom Körper, ähnlich wie Kalium, in den Stoffwechsel eingebunden und gelangt in die Zellen. Dort strahlt es in unmittelbarer Nähe zum Zellkern, dem Träger des Erbmaterials.

Welchen Einfluss haben die Substanzen auf Nahrungsmittel?

Hier spielt Cäsium-137 eine wichtige Rolle, da es erst nach 30 Jahren zur Hälfte verschwunden ist. Es werde kaum von Pflanzen aufgenommen, reichere sich aber über die Nahrungskette an, wenn Futterpflanzen etwa durch Regen, kontaminiert sind, so Steinhoff. Kurzfristig kann japanische Milch auch mit radioaktivem Jod belastet sein.

In Deutschland gilt ein Grenzwert von 370 Becquerel (Bc, Kernzerfälle pro Sekunde) für einen Liter Milch und Säuglingsnahrung sowie 600 Bc für andere Nahrungsmittel, auch für Importware. Die Kontrollbehörden der Länder wollen in nächster Zeit verstärkt japanische Produkte untersuchen.

Wird man Fische aus dem Nordwestpazifik noch essen können?

"Noch gibt es keine Bedenken", sagt Dr. Michael Welling, Sprecher des Von-Thünen-Instituts, das auch Fischereiforschung betreibt. "Die freigesetzten radioaktiven Elemente werden im Meer zunächst stark verdünnt. Das langlebige Cäsium kann sich jedoch über die Nahrungskette anreichern, bis in die großen Fische, die dann gefangen werden. Zunächst könnten Algen, die etwa für Sushi verwendet werden, belastet sein. Algen haben einen relativ regen Stoffwechsel, hier muss man eine mögliche radioaktive Belastung im Blick haben."